Wie viele Frauen sitzen in Europas Parlamenten und Regierungen?

Yaël Braun-Pivet, Präsidentin der französischen Nationalversammlung
Yaël Braun-Pivet, Präsidentin der französischen Nationalversammlung Copyright Michel Euler / AP
Von euronews
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Wie stellt sich das zahlenmäßige Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Abgeordneten im Europäischen Parlament, in den Parlamenten der EU-Staaten und in Regierungen dar? Wie war die Entwicklung in den vergangenen Jahren?

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Erstmals sitzt eine Frau der französischen Nationalversammlung als Parlamentspräsidentin vor. Yaël Braun-Pivet wurde in das Amt gewählt, kurz nachdem Elisabeth Borne Ministerpräsidentin geworden war. Borne ist die zweite Frau in diesem Amt, die erste war Edith Cresson. Sie leitete die französische Regierung 1991 und 1992 für insgesamt elf Monate.

Dass jetzt zwei Frauen die französische Regierung anführen beziehungsweise der Nationalversammlung vorsitzen, gilt als Beleg für ein wachsendes zahlenmäßiges Gleichgewicht zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht in der französischen Politik.

Die Zahl der weiblichen Abgeordneten im französischen Parlament ist durch die Wahl im Juni von 224 auf 215 gesunken. Insgesamt verfügt das Parlament über 577 Sitze. Frankreich ist eines der EU-Länder, in denen der Frauenanteil im Parlament zwischen 2003 und 2021 am meisten zugenommen hat. Wie auch in Italien hat sich die Anzahl von weiblichen Abgeordneten mehr als verdreifacht: In Frankreich stieg der Anteil von 12 auf 39 Prozent, in Italien von 10 auf annähernd 36 Prozent.

Höchster Frauenanteil in schwedischem Parlament

In Schweden war der Frauenanteil im Parlament 2021 innerhalb der EU mit 47 Prozent am höchsten, es folgten Finnland, Belgien, Österreich, Dänemark, Spanien, Portugal und Frankreich. Island, das nicht Mitglied der Europäischen Union ist, liegt mit Schweden ungefähr gleichauf. Der Frauenanteil im schwedischen Parlament ist der höchste, den es in einem Abgeordnetenhaus eines EU-Staates bislang gab.

Der Frauenanteil in Parlamenten der EU-Staaten (und Großbritanniens) seit 2003

In keinem Parlament eines EU-Staates gibt es ein ausgeglichenes Verhältnis oder eine Mehrheit an weiblichen gegenüber männlichen Abgeordneten.

Schweden, Finnland und Belgien sind die drei EU-Staaten, in denen es überdauernd die höchsten Frauenanteile im Parlament gibt: Nämlich 46 Prozent, 42 Prozent beziehungsweise 39 Prozent im Zeitraum 2003 bis 2021.

Bulgarien ist das einzige Land in der EU, in dessen Parlament der Frauenanteil zwischen 2003 und 2021 gesunken ist, und zwar von 25,9 auf 24,6 Prozent.

In drei EU-Staaten waren mit Stand 2021 weniger als 20 Prozent der Parlamentsabgeordneten weiblich, das Schlusslicht war das ungarische Parlament mit einem Frauenanteil von 13 Prozent.

Durch die Parlamentswahl im April 2022 änderte sich diese Zahl kaum, der Prozentsatz der weiblichen Abgeordneten in Ungarn beträgt 13,6. Blickt man auf den Zeitraum 2003 bis 2021 waren rund 10 Prozent der Abgeordneten des ungarischen Parlaments weiblich.

In Malta und Rumänien liegen die Werte mit 11 beziehungsweise 13 Prozent knapp darüber.

Im Europäischen Parlament beträgt der Anteil an weiblichen Abgeordneten seit der Europawahl 2019 39 Prozent. Die Mehrheit der EU-Staaten verfügt im Europäischen Parlament über einen höheren Anteil an weiblichen Abgeordneten als im jeweiligen Nationalparlament. Nur sechs EU-Staaten bilden diesbezüglich die Ausnahme: Zypern, das durch keine weiblichen Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten ist, Belgien, Rumänien, Kroatien, Litauen und Österreich.

Bis auf wenige Ausnahmen (Malta und Ungarn) haben viele EU-Staaten, in deren Nationalparlamenten es einen geringen Frauenanteil gibt, auch einen kleinen Prozentsatz an weiblichen Abgeordneten im Europäischen Parlament.

Frauenanteil je Mitgliedsland im EU-Parlament sowie in den Nationalparlamenten

Im maltesischen Parlament liegt der Anteil an weiblichen Abgeordneten bei 13 Prozent, im Parlament in Straßburg sind 33 Prozent der maltesischen Abgeordneten weiblich. Die derzeitige Vorsitzende des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, kommt aus Malta. Sie ist die dritte Frau in diesem Amt.

In 22 Prozent der Nationalparlamente der EU-Staaten haben Frauen den Vorsitz inne.

Unterschiede zwischen Parlamenten und Regierungen

Zieht man die Geschlechteranteile in den Regierungen zu Rate, erkennt man einen höheren Frauenanteil als in den Parlamenten. In keinem europäischen Nationalparlament lag der Anteil der weiblichen Abgeordneten bisher über dem der männlichen, bei Regierungen sieht das anders aus. Finnland und Schweden sind die beiden EU-Staaten, in denen es die meisten Regierungen mit einem Frauenanteil von mehr als 50 Prozent gab.

In fünf EU-Staaten (Griechenland, Malta, Slowakei, Ungarn, Zypern) lag der Anteil der weiblichen Regierungsmitglieder zwischen 2003 und 2021 unter 15 Prozent. Den niedrigsten Wert wies Ungarn mit einem Durchschnitt von 8 Prozent auf.

Europaweit lag der Mittelwert der weiblichen Regierungsmitglieder im genannten Zeitraum bei 26 Prozent, im Jahr 2021 waren es 33 Prozent, also jeweils vergleichbare Werte wie in den Parlamenten.

Einem Bericht des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE) zufolge waren mit Stand 2018 zwei Drittel der männlichen Regierungsmitglieder für Staatsministerien verantwortlich oder für wirtschaftliche Aufgabenbereiche zuständig. 40 Prozent der weiblichen und 19 Prozent der männlichen Regierungsmitglieder leiteten Ministerien mit gesellschaftlichen und/oder kulturellen Arbeitsbereich. Dem Europäischen Parlament zufolge gibt es diesbezüglich kaum Veränderungen.

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In sieben der 27 EU-Staaten waren Frauen Staatsoberhaupt oder standen an der Spitze der Regierung. Nimmt man europäische Staaten hinzu, die nicht zur EU gehören, kommt man auf zwölf Frauen in elf Staaten.

Hinderliche Einflussfaktoren

Den Vereinten Nationen nach besteht ein Zusammenhang zwischen politischer Teilhabe von Frauen und dem gesellschaftlichen Vorhandensein mehrerer Aspekte, darunter: Ungleichgewichte zwischen Frauen und Männern in Bezug auf den Zugriff auf Ressourcen, in Bezug auf Hausarbeit und familiäre Aufgaben. Ebenso als Einflussfaktoren zu nennen sind den Vereinten Nationen zufolge Geschlechtervorurteile, eine von sexistischen Ansichten durchzogene politische Kultur, fehlende weibliche Vorbilder sowie geschlechtsbezogene Gewalt.

Ein Bericht, der von der Interparlamentarischen Union und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates erstellt und 2018 veröffentlicht wurde, erbrachte unter anderem das Ergebnis, dass 85 Prozent der weiblichen Parlamentsabgeordneten in Europa im Parlament Opfer psychologischer Gewalt wurden, dass an 68 Prozent sexistische Bemerkungen gerichtet wurden und 25 Prozent Opfer geschlechtsbezogener Gewalt wurden.

Während die politische #metoo-Bewegung immer noch darum kämpft, den Stimmen weiblicher Gewaltopfer Gehör zu verschaffen, insbesondere in Frankreich oder Belgien, hat das Europäische Parlament vor dem Fortbestehen des Problems gewarnt:

„Das Ausmaß an Missbrauch und Gewalt gegen Frauen im politischen und öffentlichen Leben, weil sie Frauen sind, und manchmal auch wegen ihrer verstärkten Präsenz, ist an sich ein wachsendes Problem", so das Parlament in einem Bericht.

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„Es besteht auch die Gefahr, dass Frauen davon abgehalten werden, sich in die Politik einzubringen, weil sie das Umfeld als vergiftet empfinden."

„Die politischen Laufbahnen von Frauen sind kürzer als jene von Männern"

Fiona Texeire, Mitbegründerin der Beobachtungsstelle für geschlechtsbezogene und sexuelle Gewalt in der Politik und Gastgeberin einer Gesprächssendung zu diesem Thema, ist der Meinung, dass dies dazu beiträgt, Frauen von der Macht fernzuhalten.

„Wenn man neu in einer politischen Partei oder einer öffentlichen Einrichtung ist, hört man oft Empfehlungen wie 'hüte dich vor diesem und jenem' oder 'hüte dich vor diesem und jenem, der dafür bekannt ist, sich unangemessen zu verhalten' und so weiter", so Texeire.

„Die Folge ist: Wenn diese Männer machtvolle Ämter innehaben, meiden Frauen, die diese Männer meiden, gleichzeitig auch die Macht insgesamt und bewegen sich allmählich von dieser weg. Wir haben weniger Möglichkeiten als unsere männlichen Kollegen."

Ihre Schlussfolgerung ist jener des Europäischen Parlaments ähnlich.

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„Die politischen Laufbahnen von Frauen sind kürzer als jene von Männern. Frauen mit langen beruflichen Laufbahnen, die mit höherer Wahrscheinlichkeit in der Politik stattfinden, sind mit geringerer Wahrscheinlichkeit in der Politik vertreten als Männer", sagte sie.

„Die Zahl der Frauen mit politischen Laufbahnen, die mehrere Jahrzehnte andauern, ist überschaubar: Martine Aubry, Ségolène Royal, Roselyne Bachelot, Michèle Alliot-Marie...", zählt sie französische Beispiele auf.

Die Zeitspanne, in der Frauen das Wahlrecht erhielten, erstreckt sich in den EU-Staaten von 1900 bis 1960. Recht schnell nach der Erlangung des Wahlrechts zogen Frauen in die jeweiligen Parlamente ein.

Dennoch hat das Jahrhundert oder halbe Jahrhundert der Anwesenheit von Frauen in den Parlamenten nicht zu einem deutlichen Anstieg ihrer Anzahl geführt.

Laut einer Studie des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE) steigt der Anteil der Frauen dreimal schneller, wenn Gesetze zur Förderung der Geschlechtergleichheit erlassen werden.

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Das Institut zählte elf EU-Staaten auf, die seit dem Jahr 2000 Gesetze zur Einführung einer Geschlechterquote bei Parlamentswahlen erlassen haben. Frankreich war im Juni 2000 das erste EU-Land, Italien im Jahr 2017 das letzte.

Auswirkung der Geschlechterquote auf die Anzahl von weiblichen Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung

Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Kluft zwischen Ländern mit und ohne Geschlechterquoten vergrößert.

Im Jahr 2011 hatten Länder ohne Geschlechterquoten einen durchschnittlichen Frauenanteil von fast 24 Prozent gegenüber 23 Prozent in Ländern mit Quoten. Im Jahr 2021 hatte sich der Unterschied zugunsten der Mitgliedstaaten mit Geschlechterquoten (knapp über 32 Prozent) gegenüber fast 29 Prozent in den anderen Ländern umgekehrt.

Die Anzahl an weiblichen Parlamentsabgeordneten ist in EU-Staaten mit Geschlechterquote stärker angestiegen

Ausgeglichene Verhältnisse 2033 bzw. 2050?

Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen sagt voraus, dass Länder mit Geschlechterquote im Jahr 2033 und Länder ohne Quote im Jahr 2050 ausgeglichene Verhältnisse zwischen den Geschlechtern erreichen könnten. Das Europäische Parlament hat in einem Bericht festgestellt, dass Geschlechterquoten notwendig, aber ungenügend sind.

In dem Bericht wird die Bedeutung von Unterstützung und von Schulungen betont, die helfen können, um sich für politische Ämter zu bewerben oder Zugang zu Geldmitteln zu erlangen, um einen Wahlkampf bestreiten zu können.

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„Sobald Frauen gewählt sind, können die Parlamente eine Reihe von Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass das Umfeld 'sicher und frauenfreundlich' ist, indem sie auf Männer ausgerichtete Arbeitsweisenen ändern und Belästigungen bekämpfen", so das Parlament.

Texeire sagt jedoch, dass die Frauen, die zwischen 2017 und 2022 in der französischen Nationalversammlung saßen, nicht von einer echten Verhaltensänderung berichteten, die mit der erhöhten Anzahl weiblicher Abgeordneter einherging.

„Es gibt natürlich einen Anschein, aber es hat keine strukturelle Veränderung in den Institutionen gegeben. Die Gleichverteilung hat zu einer verstärkt weiblicheren Ausrichtung der Positionen geführt, aber die Art und Weise, wie Macht ausgeübt wird, hat sich nicht geändert", sagte sie.

„Die echten Entscheidungspositionen sind immer noch von einem männlichen Machtansatz geprägt."

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