Die in den sozialen Medien in sieben Sprachen kursierende Behauptung, laut der Mitglieder des Europäischen Parlaments den Einsatz von US-gelieferten Raketen gegen Russland begrüßt hätten, ist falsch.
Die Meldung ging viral in den sozialen Medien: Mitglieder des Europäischen Parlaments (MdEP) hätten angeblich den Einsatz von US-gelieferten Raketen durch die Ukraine zum Angriff auf die russische Region Brjansk begrüßt.
Eine Analyse von Euroverify hat ergeben, dass es sich hierbei um "Fake News" handelt.
Am 20. November wurde ein Video, das Mitglieder des EU-Parlaments beim Applaudieren im Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Straßburg zeigt, auf X geteilt. Veröffentlicht wurde die Nachricht von Radio Genoa, einer für die Verbreitung von Hass und Fehlinformationen bekannten Plattform.
In dem Beitrag wurde behauptet, die Abgeordneten reagierten auf die "Genehmigung zum Abschuss amerikanischer Raketen von der Ukraine nach Russland". Das Posting wurde über 1,6 Millionen Mal aufgerufen.
In Wahrheit hatten die Abgeordneten auf eine Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj reagiert, die anlässlich des 1000. Tages seit Ausbruch des russischen Krieges in der Ukraine gehalten wurde.
Die Rede fand am 19. November statt, dem Tag, an dem die Bestätigung vom US-Außenministerium eintraf, dass Präsident Joe Biden die Ukraine ermächtigt, mit von den USA gelieferten Langstreckenraketen tiefer in russisches Gebiet einzudringen.
Der ukrainische Präsident hatte Bidens Entscheidung jedoch überhaupt nicht in seiner Rede erwähnt. Die Ansprache ist in voller Länge auf der Website des Europäischen Parlaments zu sehen und wurde vom Büro des ukrainischen Präsidenten veröffentlicht. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass die Abgeordneten die Entscheidung Bidens begrüßt hätten.
Die falschen Anschuldigungen sind seitdem im Internet viral gegangen. Das Euroverify-Team sah bei seinen Recherchen, dass die Meldung auf Facebook, Instagram, Telegram und X kursierte – in englischer Sprache als auch auf Tschechisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Portugiesisch und Spanisch.
Wie kam es zur Saat der Fehlinformation?
Das ursprüngliche Filmmaterial geht auf einen Beitrag des Europaabgeordneten Tomasz Froelich von der rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD) auf X zurück.
Er hatte das Material aus dem Plenum des Parlaments in Straßburg veröffentlicht und darauf hingewiesen, dass der Beifall für Selenskyj am selben Tag kam, an dem die ukrainischen Streitkräfte eine technologisch fortschrittliche Rakete mit hoher Reichweite, bekannt als ATACMS, auf russisches Gebiet abfeuerten.
Der Beitrag, der ursprünglich auf Deutsch veröffentlicht wurde, lautet unter anderem: "Fast das gesamte EU-Parlament steht auf für Selenskyj, während zeitgleich die Ukraine, nachdem die USA grünes Licht erteilt haben, die erste ATACMS-Rakete auf Russland abfeuert."
An keiner Stelle behauptet Froelich jedoch, dass die Abgeordneten diesem Schritt Beifall gezollt hätten.
Das bedeutet: Sein Beitrag wurde aus dem Zusammenhang gerissen, um zu suggerieren, dass der Plenarsaal als Reaktion auf den Raketenangriff applaudierend aufgestanden sei. Euroverify geht davon aus, dass diese Unterstellung zunächst von Radio Genoa stammte und dann von einer Reihe von Nutzern sozialer Medien über verschiedene Plattformen und Sprachen verbreitet wurde.
Was wissen wir über Radio Genoa?
Der X-Account mit dem Namen Radio Genoa ist in letzter Zeit wegen seiner viralen Inhalte in die Kritik geraten, die oft mit Fehlinformationen gespickt sind oder mit Halbwahrheiten Spaltungen hervorrufen.
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Inhalte die Behauptung, Europa befinde sich in einer Krise, wobei häufig Geschlechtsidentität, Migration und etablierte Institutionen dafür verantwortlich gemacht werden. Das Konto unterstützt auch offen rechtsextreme Politiker, darunter den Niederländer Geert Wilders.
Im September 2023 teilte Elon Musk einen Beitrag von Radio Genoa, in dem er die Rettungsaktionen deutscher NGO-Schiffe im Mittelmeer kritisierte und zu einem Sieg der Alternative für Deutschland (AfD) bei den deutschen Wahlen aufrief.
Daraufhin reagierte das Auswärtige Amt auf X mit: "Ja. Und das nennt man Leben retten."
Heute verfügt das Konto über das sogenannte blaue Häkchen auf X, das laut den eigenen Richtlinien der Plattform nur vergeben werden sollte, wenn ein Konto "keine Anzeichen von Irreführung oder Täuschung" aufweist.
Während einige Untersuchungen die Radio Genoa-Plattform mit pro-russischen Propagandisten in Verbindung gebracht haben, behauptet ein Beitrag des Kontos vom Juli, dass gegen seinen Ersteller und Administrator, Antonio Mastantuono, eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet wurde, aber keine Beweise gefunden wurden.