FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai räumt in der Affäre um das "D-Day-Papier" seinen Posten. Er habe "unwissentlich" falsch über das interne Dokument informiert, gibt er als Begründung an.
Das sogenannte „D-Day-Paper“ setzt die FDP-Spitze zunehmend unter Druck. Am Freitagmittag traten zunächst Generalsekretär Djir-Sarai und wenig später auch Bundesgeschäftsführer Reymann zurück.
Das am Donnerstag veröffentlichte Dokument mit dem Titel "D-Day Ablaufszenarien und Maßnahmen" enthielt eine Formulierung über den „Beginn der offenen Feldschlacht“ als Teil des Kommunikationsplans der Partei. Die Verwendung militärischer und historischer Begriffe für den Plan, aus der Ampelkoalition auszusteigen, sorgte in der Öffentlichkeit und vor allem bei der SPD für Empörung. Auf acht Seiten, die die FDP auf ihrer Website veröffentlicht hat, kann man die Überlegungen der Parteistrategen, wie und wann der „ideale Zeitpunkt“ für einen Austritt aus der Ampelkoalition wäre, einsehen.
Die jüngsten Enthüllungen könnten Bundeskanzler Scholz neue Sympathien einbringen, nachdem er bereits wegen der Entlassung von Finanzminister Lindner in die Kritik geraten war. Das inzwischen veröffentlichte Dokument legt nahe, dass die FDP den Bruch der Ampelkoalition offenbar geplant hatte. Diese Information stützt die Einschätzung von etwa 40 % der Deutschen, die die Verantwortung für das Scheitern der Bundesregierung größtenteils der FDP zuschrieben – laut einer Umfrage von infratest dimap im Auftrag der ARD Anfang November. Nur 19 % der Befragten machten die SPD für das Scheitern verantwortlich. Diese Zahlen könnten sich nach den neuen Entwicklungen noch weiter verändern.
Schaden von der Spitze abwenden
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai erklärte in einer äußerst kurzen Pressekonferenz, er ziehe jetzt die Konsequenzen aus dem "Strategiepapier", obwohl er keine Kenntnis darüber gehabt habe. "Ich habe unwissentlich falsch über ein internes Dokument informiert. Dies war nicht meine Absicht, da ich selbst keine Kenntnis von diesem Papier hatte. Weder von der Erstellung noch von der inhaltlichen Ausrichtung. Dafür entschuldige ich mich. Für einen solchen Vorgang ist der Generalsekretär verantwortlich." Er übernehme mit seinem Rücktritt die politische Verantwortung, "um Schaden von meiner Glaubwürdigkeit und der FDP abzuwenden."
Djir-Sarai nahm damit Bezug auf seine Äußerung vom 18. November, als erste Medienberichte aufkamen, es sei ein entsprechendes Papier innerhalb der FDP im Umlauf gewesen. „Das stimmt nicht", meinte er zu dem Zeitpunkt noch. "Dieser Begriff (D-Day) ist nicht benutzt worden.“
Feuer gemacht für einen Rücktritt hatte ihm der FDP-Nachwuchs, die Jungen Liberalen.
"Um weiteren Schaden von der Partei abzuwenden, habe ich Bijan Djir-Sarai als Juli-Bundesvorsitzende dazu aufgefordert, von seinem Amt zurückzutreten", so deren Bundesvorsitzende Franziska Brandmann. "Das Papier, das gestern öffentlich wurde, ist einer liberalen Partei unwürdig", betonte Brandmann. Nicht nur die Öffentlichkeit müsse den Eindruck gewinnen, über Wochen getäuscht worden zu sein, sondern auch die eigene Partei.
Auch von Parteigrößen wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann gab es Kritik. Sich mit Ausstiegsszenarien auseinander zu setzen, sei richtig gewesen, sagte die FDP-Politikerin auf X. Jedoch wäre die "Wortwahl der Sache nicht dienlich" gewesen.
Kurz nach Djir-Sarai räumte auch FDP-Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann seinen Schreibtisch: "Ich tue dies, weil ich eine personelle Neuaufstellung der Partei im Hans-Dietrich-Genscher-Haus ermöglichen möchte. Die FDP steht vor einer wichtigen Bundestagswahl, die eine Richtungswahl für Deutschland ist. In diesen Wahlkampf sollte die FDP mit voller Kraft und ohne belastende Personaldebatten gehen", so Reymann.
Reymann hat einen handfesten Grund für seinen Rücktritt – er outete sich als Verfasser des Strategiepapiers: „Das Dokument ist ein Arbeitspapier, das der Bundesgeschäftsführer zum ersten Mal am 24.10.2024 um 15:38 Uhr erstellt hat“, schrieb er in einer Erklärung.
"Offene Feldschlacht" gegen eigene Koalition
Das FDP-Papier skizziert ein "Kernnarrativ", das im Falle eines Austritts verbreitet werden sollte. Die FDP sieht die tiefen Konflikte zwischen den Ampelparteien, insbesondere zwischen Rot-Grün und der FDP, als so schwerwiegend an, dass die Bundesregierung selbst zum größten Standortrisiko geworden sei. Eine „Richtungsentscheidung“ sei notwendig. Nur Neuwahlen würden den Stillstand beenden, weswegen ein Koalitionsbruch laut FDP gerechtfertigt sein.
Die FDP-Führung soll davon nichts gewusst haben - obwohl Reymann ein enger Vertrauter Lindners ist. In seiner Erklärung fügte Reymann hinzu: "Dieses technische Papier ist kein Gegenstand der politischen Beratung von gewählten Mandatsträgern und Regierungsmitgliedern gewesen, sondern eine rein interne Vorbereitung für das Szenario eines Ausscheidens der FDP aus der Ampelkoalition."
Lindner sagte am Freitag gegenüber der Rheinischen Post auf die Frage, ob die FDP ein falsches Spiel gespielt habe: „Nein, denn zu jedem Zeitpunkt ging und geht es uns um den Politikwechsel, den dieses Land braucht. Die Ampel konnte ihn nicht mehr liefern.“
Laut Lindner handelte es sich um ein "Papier im Entwurfsstadium", das Mitarbeiter verfasst hätten und das in die Öffentlichkeit gebracht worden sei. "Jenseits der Details will ich aber sagen, dass es professionell ist, wenn Mitarbeiterstäbe Eventualitäten durchspielen. Der Kanzler hat sich ja auch drei unterschiedliche Reden schreiben lassen."
Der ehemalige Koalitionspartner und SPD-Vorsitzende Lars Klingenbeil warf der FDP vor, eine Feldschlacht gegen eine Regierung zu führen, der sie selbst angehöre. Es sei gut, dass die Bürger nun wüssten, wie es zum Koalitionsbruch gekommen sei und sich selbst ein Bild machen könnten.
Am 6. November kam es zum Bruch der Ampel-Koalition, als Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Finanzminister und FDP-Politiker Christian Lindner entließ. In Deutschland sind für den 23. Februar Neuwahlen angesetzt. Bis dahin steht die FDP, die durch mehrere Rücktritte geschwächt wurde, vor der Herausforderung, sich neu zu ordnen.