Wie positioniert sich Deutschland in der aktuellen Verteidigungspolitik? Ein Blick auf den Koalitionsvertrag der Union und SPD.
Vergangene Woche haben die Union und die SPD den Koalitionsvertrag unterzeichnet. CDU-Chef Friedrich Merz, und wohl künftiger Kanzler, hatte am Wahlabend des 23. Februar versprochen, noch vor Ostern eine neue Regierung zu bilden.
Die erfolgreichen Verhandlungen verkündete er vergangene Woche mit dem Slogan: "Germany is back on track." Aber wie ändert sich die deutsche Verteidigungspolitik mit dem Koalitionsvertrag?
Die deutsche Verteidigungspolitik im Koalitionsvertrag
Seit Beginn der russischen Vollinvasion im Februar 2022 durchgeht Deutschland eine sicherheitspolitische Zeitenwende, angestoßen vom scheidenden Bundeskanzler Olaf Scholz.
Auch im Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode von Union und SPD spielen Sicherheit und Verteidigung eine zentrale Rolle. Die Koalition – und damit möglicherweise auch die nächste Bundesregierung – bekennt sich zu einer Außen- und Sicherheitspolitik, die sowohl Frieden in Freiheit als auch Sicherheit gewährleistet.
Ihr erklärtes Ziel: "Wir wollen uns verteidigen können, um uns nicht verteidigen zu müssen." Dazu sollen Europa und vor allem Deutschland eigenständig ihre Sicherheit gewährleisten können.
"Bedrohungslage steht vor Kassenlage"
Um die Verteidigungsfähigkeit gewährleisten zu können, muss in die Bundeswehr investiert werden.
Gegenüber dem ZDF sagte der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner: "Wir sind blanker als blank." Die Bundeswehr habe einen erheblichen Teil ihres Bestands an die Ukraine abgegeben, gleichzeitig sei die Nachbestellung von Material zu spät erfolgt und der Ausbau der Rüstungsindustrie sei nur schleppend vorangekommen.
Um die Aufrüstung zu beschleunigen, hat der alte Bundestag vergangenen Monat ein schuldenfinanziertes Sondervermögen gibilligt. Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben bis zu einem Prozent des BIP, was rund 44 Milliarden Euro entspricht, unterliegen zwar weiterhin der Schuldenbremse, alles darüber hinaus kann jedoch unbegrenzt durch Kredite finanziert werden.
SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius begrüßte die Lockerung mit der Begründung, dass "die Bedrohungslage vor der Kassenlage stehe."
So bekennen sich Union und SPD zu der Einführung eines mehrjährigen Investitionsplans für die Bundeswehr. Die Verteidigungsausgaben sollen demnach bis zum Ende der Legislaturperiode "deutlich und stringent" steigen, mit einem Beschleunigungsgesetz und Vorhalteverträgen für kritische Ressourcen, wie zum Beispiel Munition.
Mit dem Sondervermögen hat Deutschland bereits das zwei-Prozent-Ziel erreicht. Ob die von den USA geforderten 5 Prozent angestrebt werden, ist unklar.
Fokus auf Brigade Litauen
Im Koalitionsvertrag wird eine Bundeswehr angestrebt, die als "Vorbild im Kreis unserer Verbündeten" gilt und eine tragende Rolle in der Abschreckungsstrategie der NATO übernimmt.
Besonderes Gewicht kommt dabei der in Litauen stationierten Brigade zu, die der 10. Panzerdivision des Heeres zugeordnet ist. Die Einheit soll rund 5.000 Soldatinnen und Soldaten umfassen und bis zum Jahr 2027 vollständig einsatzbereit sein.
Nukleare Teilhabe weiterhin von entscheidender Bedeutung
Die nukleare Teilhabe ist Teil der Abschreckungsstrategie der NATO, die es Mitgliedsstaaten ermöglicht, ohne eigene Atomwaffen, in die Einsatzplanung und -durchführung von Nuklearwaffen eingebunden zu werden.
In Deutschland sind demnach Atomwaffen der Amerikaner in der Militärbasis sind mitunter in Büchel, Rheinland-Pfalz, stationiert.
Der Koalitionsvertrag besagt, dass die nukleare Teilhabe, also auch die Beziehungen zu den USA, von entscheidender Bedeutung seien.
Mit dem Inkrafttreten der Pariser Verträge 1955 wurde die Bundesrepublik Teil der NATO und der Westeuropäischen Union. Sie verzichtete auf die sogenannten ABC-Waffen (atomare, biologische und chemische Massenvernichtungsmittel) und wurde im Gegenzug unter den nuklearen Schutzschirm der USA gestellt.
Mit Donald Trumps zweiter Amtszeit geriet auch seine Verpflichtung gegenüber dem Bündnis sowie seine Bereitschaft, es im Ernstfall militärisch zu verteidigen, zunehmend in Zweifel.
Im Koalitionsvertrag heißt es dennoch, dass "unser Bekenntnis zur NATO und zur EU unverrückbar bleibt. Das transatlantische Bündnis und die enge Zusammenarbeit mit den USA bleiben für uns von zentraler Bedeutung."
Wehrpflicht: Ja oder nein?
Bereits vor dem Ende der Koalitionsverhandlungen hat die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht Deutschland polarisiert. Sie kann nicht wieder instandgesetzt werden, wie sie vor über zehn Jahren ausgesetzt wurde. Jegliche Änderung müsste mit einer Änderung des Grundgesetzes, also einer zwei Drittel Mehrheit im Bundestag, verabschiedet werden.
Anstelle einer Wehrpflicht soll dem Koalitionsvertrag demnach ein neuer, freiwilliger Wehrdienst inspiriert vom schwedischen Modell eingeführt werden.
Unter dem schwedischen Modell versteht man eine "selektive" Wehrpflicht, bei der alle jungen Menschen eines Jahrgangs erfasst und bewertet werden, aber nur ein Teil, vorrangig freiwillig Interessierte, nach Eignung zum zwölfmonatigen Dienst eingezogen wird. Im Bedarfsfall kann die Einberufung jedoch auch gegen den Willen erfolgen.
Die wohl neue Bundesregierung möchte diesen freiwilligen Wehrdienst mit Anreizen durch sinnvolle Aufgaben und Qualifikationsangebote fördern. Zudem soll die Bundeswehr diverser werden, sprich mehr Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte sollen Teil der Truppe werden.
Verteidigung - auch aus dem All?
Neben der Verteidigung auf unserem Planeten befasst sich die Koalition auch mit dem Weltall. Im Vertrag heißt es: "Raumfahrt ist eine Zukunfts- und Schlüsseltechnologie und auch für unsere Sicherheit und unsere militärischen Fähigkeiten zentral."
Geplant ist demnach der Ausbau nationaler und europäischer Programme sowie die Stärkung der Cybersicherheit- und abwehr.
"Ein Schwerpunkt bei den Nachrichtendiensten wird die stärkere gemeinsame Ausrichtung auf den Cyber- und Informationsraum sein, auch durch die Schaffung einer neuen spezialisierten technischen Zentralstelle unter Einbeziehung der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich."