Frankreichs Gefängnisse sind überfüllt. Nun sucht die Regierug nach Zellen im Ausland, um dort Gefangene unterzubringen. Doch ist das wirklich die Lösung oder nur Symbolpolitik?
Frankreich hat ein Problem. Den Gefängnissen geht der Platz aus. Fast 83.000 Gefängnisinsassen zählt das Land, bei nur 62.000 Zellen. Eine Überbelegung von 25 Prozent. Nur Zypern und Rumänien stehen im europäischen Vergleich noch schlechter da.
Die Regierung versucht es nun mit einer radikalen Idee: sie will im Ausland Zellen anmieten. Aber ist das wirklich eine Lösung? Die Ankündigung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im nationalen Fernsehen stößt auf Kritik.
Belgische Gefangene in den Niederlanden, dänische im Kosovo
Der Plan ist nicht neu. Belgien hatte zwischen 2010 und 2016 mehr als 650 Zellen in der niederländischen Stadt Tilburg gemietet. Und Dänemark zahlt aktuell mehr als 210 Millionen Euro an den Kosovo, um dort 300 Plätze für 10 Jahre zu bekommen.
Estlands Gefängnisse wiederum sind halb leer, das Land möchte damit bald Geld verdienen. Geschätze jährliche Einnahmen: 30 Millionen Euro.
Doch das Modelll der Anmietung im Ausland ist mit logistischen, rechtlichen und ethischen Problemen verbunden, das zeige der belgisch-niederländische Vertrag von 2010, so Experten.
Rechtliche und ethische Probleme
"Holland vermietete seine Gefängnisbetten an Belgien mit eigenem Personal, aber nach belgischem Recht. Das niederländische Personal musste geschult werden, um zu verstehen, wie die Dinge in den belgischen Gefängnissen funktionieren", erklärt Dominique Simmonot, Frankreichs Generalkontrolleurin für Gefängnisse eine unabhängige öffentliche Einrichtung, die für die Kontrolle der französischen Gefängnisse zuständig ist. "Und zweitens waren Familienbesuche aufgrund der Visabestimmungen und der Entfernung äußerst kompliziert. Am Ende hat Belgien das Projekt aufgegeben. Ich sehe also keinen Grund, das Experiment zu wiederholen", sagte sie Euronews.
Kritiker warnen auch vor zu hohen Kosten. Belgien beispielsweise zahlte jährlich 40 Millionen Euro an die Niederlande. Dänemarks Kosovo-Deal kostet das Königreich pro Tag fast 200 Euro pro Insasse. Und Frankreich gibt pro Gefangenem schon jetzt zwischen 100 und 250 Euro pro Tag aus.
Annabelle Bouchet, stellvertretende Generalsekretärin der Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten (SNEPAP-FSU) und langjährige Bewährungshelferin, hält die Idee ebenfalls für nicht realistisch: "Es gibt einige sehr konkrete Punkte, die es meiner Meinung nach sehr schwierig machen, eine solche Idee umzusetzen. Warum ist das so? Erstens aus finanzieller Sicht. Die Anmietung von Räumlichkeiten im Ausland ist mit Kosten verbunden. Und die Lage der französischen Staatsfinanzen ist heute so, dass überall Haushaltskürzungen vorgenommen werden müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es rentabel ist, Strafgefangene in eine andere Einrichtung außerhalb unserer Grenzen zu schicken", erklärte sie gegenüber Euronews.
Experten sehen Unterbringung im Ausland kritisch
Als Bewährungshelferin wies Annabelle Bouchet auch auf die mögliche Belastung bei der Wiedereingliederung hin. Sie warnte davor, dass die Unterbringung von Gefangenen weit weg von ihren Familien und Unterstützungsnetzwerken die langfristige Rehabilitation der Gefangenen beeinträchtigen könnte.
"Die Abschiebung von Menschen, die verurteilt und inhaftiert wurden, bedeutet, dass sie weit von ihren Familien entfernt sind, aber auch weit von den Arbeitsplätzen und den Akteuren, die ihnen eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft ermöglichen", so Bouchet.
Anfang dieses Jahres schlug der französische Justizminister Gérald Darmanin vor, modulare Gefängniseinheiten zu bauen, um Häftlinge unterzubringen, die kürzere Strafen verbüßen. Auch Präsident Macron unterstützt den Bau von 5.000 neuen modularen Haftplätzen.
Doch Experten bezweifeln, dass die Verlegung von Gefangenen ins Ausland oder der Bau weiterer Gefängisse das Problem der Überbelegung lösen werden.
Um die Zahl der Gefangenen zu verringern, plädiert Annabelle Bouchet, die frühere Bewährungshelferin, für alternative Strafmaße, eine bessere psychologische Betreuung der Insassen und Suchtberatung. "Nicht alle Menschen, die krank sind und aufgrund ihrer Sucht oder psychischen Probleme Straftaten begehen, sollten heute im Gefängnis sitzen. Wir müssen über eine andere Lösung nachdenken, denn das Gefängnis ist nicht die Antwort auf alles."