Gulasch-Kapitalismus: EU entlässt Ungarn aus Defizitverfahren

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Von Euronews
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Ungarn scheint aus dem Gröbsten raus. Eine Staatspleite scheint kein Thema mehr. Die Wirtschaft wächst ein bisschen – während Europa im Schnitt schrumpft. “Ungarn geht es besser” lobt sich die Regierung des konservativen Viktor Orban selbst in einer Broschüre – ihr entkommt keiner. Sie geht an alle Haushalte.

Orban regiert seit Mitte 2010. Seine Wirtschaftspolitik gilt als unberechenbar, vor allem bei ausländischen Investoren. Am Lebensstandard – ein Drittel unter EU-Durchschnitt – hat sich seither nichts geändert.

Eine Frau in Budapest:

“Wir können uns nicht sicher fühlen. Keiner weiß, wie es mit der Europäischen Union in der Zukunft weitergeht. Die finanzielle Situation – in der ganzen Welt, nicht nur in Europa – ist so, dass man nie sicher sein kann, ob und wann man selbst Hilfe benötigt.”

Brüssel geht davon aus, dass Budapest in diesem Jahr mit 2,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) an Budgetdefizit auskommt. Bei 0,2 Prozent Wirtschaftswachstum und 2,6 Prozent Inflationsrate.

Die Finanzkrise ab 2007 hatte Ungarn besonders stark getroffen. Leistungsbilanz und Staatshaushalt stark defizitär, die privaten Haushalte kräftig verschuldet – oft in Fremdwährungen. Der Staatsbankrott drohte – ein Rettungspaket über 20 Milliarden Euro musste her.

Viele Ökonomen warnen, Ungarn, jetzt schon gesundzuschreiben.

Die EU-Finanzminister trauen sich: Sie haben das Verfahren zu übermäßigen Defiziten nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt gegen Ungarn eingestellt – nach 9 Jahren.

Mit Reuters

Doloresz Katanich, euronews:

“Von Luxemburg aus ist uns jetzt der ungarische Wirtschaftsminister Mihaly Varga zugeschaltet. Wie bewerten Sie die Entscheidung der EU-Finanzminister, das Defizitverfahren gegen Ungarn nach neun Jahren einzustellen?”

Mihaly Varga, ungarischer Wirtschaftsminister:

“Ungarn hat es 2011 und 2012 geschafft, sein Haushaltsdefizit auf unter 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken. Deshalb der Vorschlag, das Defizitverfahren nach neun Jahren zu stoppen. Der Rat für Wirtschaft und Finanzen (Ecofin-Rat) hat das vorbehaltslos abgesegnet. Ungarn kann also nach neun Jahren einen Strich unter dieses Thema ziehen.”

euronews:

“Sie haben diese Woche ein weiteres Sparprogramm angekündigt, und zwar in Höhe von 100 Milliarden Forint (333 Millionen Euro). Das, obwohl das ungarische Haushaltsloch deutlich geschrumpft ist und bereits bekannt war, dass die EU-Kommission erwägt, das Defizitverfahren einzustellen. Warum ist es dennoch notwendig?”

Mihaly Varga:

“Aus zweierlei Gründen: Erstens: Ungarn will sich nicht in die Liste der Länder einreihen, die ihr Haushaltsdefizit kurzzeitig senken, um dann doch wieder ein Defizitverfahren angehängt zu bekommen.

Die Europäische Kommission sagt Ungarn für 2014 ein Defizit von 2,9 Prozent des Bruttoinlandproduktes voraus. Die ungarische Regierung hat entschieden, einige weitere Nachbesserungen vorzunehmen, um zu gewährleisten, dass das tatsächliche Defizit sogar unter diesem Wert liegen könnte.

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Zweitens: Die Infaltionsrate ist momentan so niedrig wie in den vergangenen 38-39 Jahren nicht mehr. Das ist eine gute Nachricht für die Wirtschaft und für die Bürger, aber haushaltspolitisch birgt das Unsicherheiten. Deshalb hat die Regierung beschlossen, im Parlament eine Korrektur des Haushalts einzubringen. Die Regierung schlägt vor, andere Einnahmequellen zu sichern, um die Ausfälle auszugleichen, beispielsweise durch die Finanztransaktionsteuer für Banken.”

euronews:

“In den Empfehlungen der Europäischen Kommission für Ungarn wird zu Bedenken gegeben, dass sich die Sondersteuern, beispielsweise für Banken und Telekommunikationanbieter, negativ auf das Wachstum auswirken könnten. Werden sie jetzt etwas daran ändern?”

Mihaly Varga:

“Ungarns Steuerpoltik war in den letzten drei Jahren sehr diszipliniert. 2013 und 2014 haben wir ein Defizit von unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht und wir wollen es unter dieser Grenze halten. Auch, wenn dafür möglicherweise zusätzliche Maßnahmen erforderlich sein sollten.

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Trotz der bevorstehenden Wahlen wollen wir keine Gelder verschwenden. Wir wollen die Staatsschulden nicht erhöhen.”

euronews:

“Welche Maßnahmen planen Sie, um Wachstum zu fördern?”

Mihaly Varga:

“Die ungarische Wirtschaft erwartet jetzt möglicherweise eine Wachstumsperiode. Der Staat muss Investitionen fördern und hierzu die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Manche davon kommen von der EU. Um dieses Geld effizienter zu nutzen, werden die Ministerien entscheiden, in welchen Bereichen der Wirtschaft sie am dringendsten benötigt werden.”

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