Herr Botschafter, wie kritisiert man Israel - und wie nicht?

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Wir haben mit Israels Botschafter in Berlin, Yakov Hadas-Handelsman, über Israelkritik und Antisemitismus gesprochen - und darüber, wie man das eine vom anderen unterscheiden kann.

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Selbstverständlich darf man Israel kritisieren. Das sagt Yakov Hadas-Handelsman, Israels Botschafter in Berlin. Allerdings gibt er zu bedenken, dass Israelkritik oft nur der Deckmantel ist, hinter dem sich nichts anderes als Antisemitismus verbirgt. Wir haben mit Hadas-Handelsman über Israelkritik gesprochen, über Antisemitismus und darüber, wie man legitime Kritik von Antisemitismus abgrenzen kann.

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Herr Hadas-Handelsman, darf man Israel kritisieren?

Yakov Hadas-Handelsman
Ja, selbstverständlich darf man Israel kritisieren. Allerdings sehe ich diese Frage kritisch, denn sie beinhaltet schon eine Vorverurteilung. Ich habe noch nie gehört, dass jemand fragt, ob man Staat X oder Staat Y kritisieren darf. Ich kenne keine Deutschlandkritik oder auch keine Syrienkritik. Aber ganz grundsätzlich: Ja, man darf Israel kritisieren. Übrigens: Wir in Israel sind Weltmeister in Selbstkritik. Und ich bin sehr stolz darauf, dass wir Israelis diese Selbstkritik pflegen. Denn Selbstkritik ist, wenn sie nicht übertrieben wird, etwas sehr Gutes. Und ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen auf der ganzen Welt so selbstkritisch wären, wie die Israelis.

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Wie kritisiert man denn Israel und wo ist die Grenze zum Antisemitismus?

Yakov Hadas-Handelsman
Das ist ganz einfach: Ohne doppelten Standard. Für Israel müssen dieselben Kriterien gelten wie für alle anderen Länder der Welt auch. Das ist aber oft nicht der Fall. Es gibt da die “drei Ds”, um zu klären, ob eine Aussage antisemitisch ist. Die Ds stehen für Dämonisierung, Doppelstandard und Delegitimierung des Staates Israel. Das sind die Kriterien, ob etwas legitime Kritik oder ob es antisemitisch ist.

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Ist Israelkritik in Ihren Augen per se antisemitisch?

Yakov Hadas-Handelsman
Eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel “Gespaltene Mitte – feindselige Zustände” belegt, dass Antisemitismus in Deutschland inzwischen vor allem unter dem Deckmantel der Israelkritik verbreitet ist. So stimmten laut der Umfrage 40 Prozent der Befragten dem folgenden Satz ganz oder teilweise zu: “Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.” Das entlarvt, dass es überhaupt nicht um Kritik an der Politik Israels geht. Oder schauen Sie sich an, wie viele Resolutionen die UN in den vergangenen Jahren gegen Israel verhängt haben, während Mörder in Syrien ungestraft bleiben. Ein anderes Beispiel: In einer Fußgängerzone in Delmenhorst haben sogenannte Aktivisten unter dem Slogan “Israel ist illegal” Unterschriften gesammelt.

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Damit wird also das Existenzrecht Israels bestritten.

Yakov Hadas-Handelsman
Der Staat Israel wurde 1948 auf Beschluss der Vereinten Nationen gegründet. Juden haben in diesem Gebiet schon immer gelebt. Aber anstatt damals die Teilung des Gebietes, und damit auch einen Staat Palästina zu akzeptieren, griffen die arabischen Nachbarstaaten und auch die Palästinenser selbst Israel immer wieder an mit dem erklärten Ziel, Israel auszulöschen. Ich habe noch nie gesehen, dass ein anderes Land öffentlich als illegal bezeichnet würde.

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Gibt es ein konkretes Beispiel, wo jemand seinen Antisemitismus hinter Israelkritik verbirgt?

Yakov Hadas-Handelsman
Es gibt zum Beispiel diese BDS-Bewegung, die angeblich nur gegen die Besatzung des Westjordanlandes ist. Sie sagen, sie wollen Produkte aus Siedlungen boykottieren. Aber tatsächlich geht es um viel mehr als nur um diesen Protest gegen die israelische Regierung. Eine Grundforderung ist die sogenannte Rückkehr von Millionen in alle Welt verstreuten Palästinensern an den Wohnort ihrer Vorfahren. Dieser künstliche Flüchtlingsstatus wird bereits in der vierten Generation erhalten. In Wirklichkeit geht es darum, den jüdisch-demokratischen Charakter Israels auszulöschen. Das Eintreten gegen die Besatzung ist nur eine Fassade. Dahinter steckt Antisemitismus.

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Ein weiteres Argument, das man immer wieder hört, lautet: Ich bin nicht antisemitisch, ich bin nicht antiisraelisch, sondern antizionistisch.

Yakov Hadas-Handelsman
Zionismus ist die nationale Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes. Ich kenne keine andere nationale Befreiungsbewegung, die so in Zweifel gezogen wird. Kaum jemand würde sagen, ich bin gegen ein vereintes Deutschland. Es gibt niemanden, der das Existenzrecht Deutschlands oder des französischen Volkes bezweifelt! Aber ich bin Demokrat und liberal, und wenn jemand sagen will, er ist Antizionist, dann soll er das eben sagen. Aber er kann dann nicht behaupten, er sei nicht gegen Israel. Ohne Zionismus gibt es kein Israel. Antizionismus dient als Deckmantel für Antisemitismus.

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Speist sich die Kritik an Israel und auch die Solidarität, die die Palästinenser erfahren, Ihrer Ansicht nach aus Antisemitismus?

Yakov Hadas-Handelsman
Leider sehr oft. Zunächst: Man kann durchaus solidarisch mit den Palästinensern sein, ohne automatisch gegen Israel oder Antisemit zu sein. Aber in der Realität ist das oft nicht der Fall. Ich beobachte sehr häufig, dass sich die Solidarität mit den Palästinensern auf eine Dämonisierung Israels beschränkt. Echte Solidarität mit den Palästinensern würde bedeuten, sich auch innerpalästinensischen Problemen zuzuwenden, beispielsweise der Gewaltherrschaft der Hamas, der Tatsache, dass die Fatah im Westjordanland keine Wahlen abhält, der Erziehung der Kinder zu Selbstmordattentätern, und das nicht nur von Seiten der Hamas, sondern auch von der Fatah. Wenn es dann heißt, Israel ist an allem schuld, dann ist das keine Solidarität mit den Palästinensern, sondern Antisemitismus.

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Sehen Sie in Europa und Deutschland einen Anstieg des Antisemitismus?

Yakov Hadas-Handelsman
Ja, leider ist das so. Und das ist eine der größten Schanden des 21. Jahrhunderts. Es ist eine Schande, wenn Antisemitismus in der Welt existiert, eine größere, wenn er in Europa existiert, und die größte, wenn er in Deutschland existiert. Es spielt keine Rolle, was die Quellen des Antisemitismus sind. In Deutschland sagt man, er komme vor allem von Seiten der Islamisten. Für diejenigen, die betroffen sind, spielt es aber keine Rolle, wer die Täter sind oder warum sie zu Tätern wurden.

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Warum wird jemand Antisemit?

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Yakov Hadas-Handelsman
Die Ursachen sind komplex. Unsere Welt ist ein globales Dorf, und sie ist komplizierter geworden. Man kann nicht mehr sagen, jemand ist ein Terrorist oder Antisemit, weil er am Rande der Gesellschaft lebt, weil er sich diskriminiert fühlt, weil er ein Loser ist. Das stimmt so nicht. Es gibt keine leichte Erklärung. In Deutschland sind jetzt viele Menschen eingewandert, von denen eine Menge antisemitische Gefühle mitbringen, damit sind sie großgeworden. Aber um noch mal auf die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zurückzukommen: Ich glaube, viele Antisemiten in Deutschland sind gar keine Personen mit Migrationshintergrund, das sind andere Leute. Eines ist wichtig: Antisemitismus betrifft zwar vor allem uns Juden, aber nicht nur. Denn die, die heute antisemitisch sind, besonders, wenn es nicht der traditionelle Antisemitismus ist, diese Leute sind immer anti irgendetwas. Heute sind sie gegen Juden, morgen sind sie gegen Muslime. Und ich verstehe nicht, warum sich so viele Muslime in die Schlange der Antisemiten stellen, denn sie wären die nächsten, gegen die es geht. Daher kann es sich eine Gesellschaft nicht leisten wegzuschauen, wenn es Antisemitismus gibt.

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Ist Israel ein Apartheidsstaat?

Yakov Hadas-Handelsman
Das ist genau wie zu sagen, dass Israel wie die Nazis ist. Israel ist kein Apartheitdsstaat. In Israel gibt es 20 Prozent der Bevölkerung, die keine Juden sind. Sie haben dieselben Rechte, denselben Status, die arabische Bevölkerung ist im Parlament überproportional vertreten, Araber machen alles, sie leiten Kliniken, sind Professoren an Unis, meine Frau ist Krankenschwester, ihre Chefin war lange Jahre ein Araberin. Apartheid ist ein Slogan. Und es braucht nicht erst jemand aus Südafrika zu kommen, um zu erklären, dass das Unsinn ist.

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Herr Hadas-Handelsman, vielen Dank für das Gespräch.

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