Tony Blair: "Es gibt eher ein Referendum als einen 'No-Deal'"

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Von Darren McCaffrey
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Der ehemalige britische Premierminister und überzeugter Europäer wirbt für ein zweites Referendum.

Es war eine dramatische Woche in der britischen Politik, in der die britische Premierministerin eine Abstimmung über ihren ausgehandelten Brexitdeal verschob, sie mit einem Misstrauensvotum konfrontiert wurde und in der sie bei den europäischen Staats- und Regierungschefs um mehr Zusicherungen für den irischen Backstop warb. Aber die britische Politik bleibt blockiert. Die Forderungen nach einem zweiten Referendum werden lauter. Und unter denjenigen, die ein zweites Referendum fordern, ist der ehemalige britische Premierminister Tony Blair, der sich hier den Fragen von euronews stellt.

Euronews-Reporter Darren McCaffrey:"Herr Blair, man kann Sie mit Fug und Recht als einen engagierten Anwalt für die europäische Union bezeichnen, aber wenn man sich Europa heute ansieht, haben wir eine italienische Haushaltskrise, wir haben ein wachsendes Problem in Bezug auf die Sorgen der Menschen zum Thema Migration, und in Osteuropa ist der Autoritarismus auf dem Vormarsch. Man könnte meinen, Großbritannien verlässt die Europäische Union, kurz bevor das europäische Schiff Schiffbruch erleidet."

Tony Blair, ehemaliger britischer Premierminister:"Seit ich in der Politik bin, gab es in Europa immer wieder Krisen, und diese Krisen wurden immer von Euroskeptikern genutzt, um zu behaupten, dass das europäische Projekt zerbrechen wird. Aber es zerbrach nie. Die EU gibt es und es wird sie weiter geben. Denn es gibt starke mächtige Gründe für die Europäische Union, in einer Welt, die in den nächsten Jahren zunehmend von Großmächten dominiert werden wird - Amerika, China, möglicherweise Indien. Europa, und alle Länder in Europa müssen zusammenhalten, müssen stark bleiben, um ihre Werte und Interessen zu schützen. Das ist ein wichtiger Grund für die EU. Sie wird am Ende all diese periodischen Krisen bewältigen - so schwer sie auch sein mögen."

Der Brexit ist hauptsächlich schlecht für Großbritannien

Euronews:"Schauen wir uns einige der Themen an, die in der EU gerade diskutiert werden: zum Beispiel der Vorschlag einer europäischen Armee von Emmanuel Macron und Angela Merkel. Unterstützen Sie eine europäische Armee?"

Tony Blair:"Nein, aber sie wollen auch keine europäische Armee in dem Sinne, dass man alle Soldaten zusammenfasst. Was sie wollen, ist eine europäische Verteidigungszusammenarbeit. Ich begann diesen Prozess bereits im Jahr 2000 mit dem damaligen französischen Präsidenten. Ich halte die europäische Verteidigungszusammenarbeit für sehr sinnvoll. Das ist ein Grund - übrigens, wenn Großbritannien die EU verlässt, wird es keine effektive europäische Verteidigung geben - das ist also ein weiterer Grund, warum eine meiner Botschaften an die europäischen Staats- und Regierungschefs ist, dass der Brexit schlecht für Großbritannien ist, hauptsächlich schlecht für Großbritannien, aber auch schlecht für Europa. Der Brexit schwächt Europa in einer Zeit, in der es stark sein muss."

Euronews:"Sie ziehen durch die Lande und trommeln für ein zweites Referendum. Und ich glaube, man kann behaupten, sie versuchen, europäische Staatschefs von den Vorzügen einer zweiten Abstimmung zu überzeugen. Mit wem haben Sie gesprochen und welche Reaktionen gab es?"

Tony Blair:"Ich gebe die Leute, mit denen ich spreche, nicht preis. Das waren Vieraugengespräche. Aber ich denke, es ist klar, mit wem ich gesprochen habe. Als ich vor einem Jahr anfing, die Diskussion über ein zweites Referendum anzuschieben, hieß es, 'das wird nie was'. Meiner Meinung nach hat sich die Stimmung in den vergangenen Monaten geändert. Jetzt fragen sich die Menschen 'könnte es passieren?' Europäische Staats- und Regierungschefs müssen den nächsten Schritt tun und erkennen, dass die Wahrscheinlichkeit dafür immer größer wird, und dass sie sich darauf vorbereiten müssen. Denn eine wichtige Komponente eines solchen Referendums wird sein, ob die EU bereit ist, den nicht nur britischen Bedenken in Bezug auf Einwanderungsfragen, sondern auch den europaweiten Bedenken gerecht zu werden. Und ich denke, man kann die richtige Art von Deal zusammenstellen, bei dem es nicht nur um Großbritannien, sondern auch um die EU geht - um Punkte beispielsweise wie, dass die Freizügigkeit in Europa fair und gerecht funktionieren muss, sie darf nicht zu Dumpinglöhnen führen und sie darf den einzelnen Ländern keine Probleme bereiten."

Europäische Mühlen mahlen langsam

Euronews:"Aber ist das nicht das Problem, dass für die Menschen hier in Großbritannien Freizügigkeit etwas ganz anderes bedeutet, als für die Menschen vom Kontinent. Die Kontinentaleuropäer sind eher besorgt über die außereuropäische Migration nach Europa. Und zweitens zum Thema dieses Grundrechts der Bewegungsfreiheit der Europäer, sprechen Sie von einer Reform dieser Freizügigkeit. Das wird Jahre dauern, in Europa geschieht nichts schnell. Wie wollen Sie die Briten vor einem zweiten Referendum, wenn es dann eins gäbe, von der Reformbereitschaft der EU zu diesem Thema überzeugen?"

Tony Blair:"Zunächst einmal stimmt es, dass die größte Sorge der Briten, geschweige denn der Europäer, die Einwanderung von außerhalb Europas ist, insbesondere die Einwanderung aus mehrheitlich muslimischen Ländern. Da gibt es die Befürchtung, dass es damit verbundene kulturelle und sogar Sicherheitsfragen gibt. Aber die Freizügigkeit ist auch ein Thema. Es ist auch im übrigen Europa ein Thema. Deshalb heißt es zum Beispiel in einigen europäischen Ländern, wenn sie aus einem anderen europäischen Land kommen und sie nach ein paar Monaten keinen Job und die Mittel gefunden haben, sich selbst zu versorgen, werden sie ausgewiesen.Deshalb hat der französische Präsident für eine europäische Entsenderichtlinie geworben und sie eingeführt, und er hat sich dafür eingesetzt, dass man keine Wanderarbeiter aus einem anderen Teil Europas beschäftigen darf, um die lokalen Löhne zu unterbieten. Es ist also ein Problem für ganz Europa. Meiner Meinung nach kann man ein Paket zusammenschnüren. Und dieses Paket könnte sehr schnell umgesetzt werden, denn es gibt viele Dinge, die man auch im Rahmen der Freizügigkeit tun kann."

Euronews:"Aber wir alle wissen, dass Europa sehr lange braucht, um sich auf etwas zu einigen. Dass sich 27 Mitgliedstaaten - mit Großbritannien an Bord vor einem Referendum - auf eine Reform der Freizügigkeit einigen, scheint fast unmöglich zu sein."

Tony Blair:"Da bin ich nicht Ihrer Meinung. Die Entsenderichtlinie beispielsweise ist am Ende ziemlich schnell durchgegangen. Wenn die Leute es wollen, können sie sich einigen. Ich habe eine lange Erfahrung mit dem Europäischen Rat und weiß daher, wie Europa funktioniert. Wenn Sie eine große Vertragsänderung anstreben, die Volksabstimmungen in allen Ländern und so weiter erfordert, dann ist das eine andere Sache."

Hauptthema Freizügigkeit

Euronews:"Würde das dem britischen Volk reichen, für das das ein wichtiges Thema ist und es ist einer der Grundpfeiler von Theresa Mays Deal - und auch Jeremy Corbyn sagte mir neulich, dass es mit der Freizügigkeit in dieser Form nicht mehr weitergehen kann."

Tony Blair:"Ja, aber in diesem Zusammenhang muss man wirklich die britischen Probleme mit der Freizügigkeit isoliert betrachten. Denn seit dem Referendum hat Großbritannien jetzt eine klare Vorstellung davon, wer diese europäischen Migranten sind. Und wenn man anfängt, die verschiedenen Kategorien durchzugehen, merkt man zum Beispiel, dass wir die hoch qualifizierten Migranten brauchen. Das ist akzeptiert.Wir brauchen die gering qualifizierten Saisonarbeiter. Das wird inzwischen auch von den meisten Menschen akzeptiert. Wir brauchen die Mitarbeiter im nationalen Gesundheitsdienst. Wir brauchen die Studenten. Eigentlich geht es um kleine Zahl von Menschen. Und übrigens, die Ironie seit dem Referendum im Juni 2016 ist, dass die innereuropäische Migration zurückgegangen, die Migration von außerhalb Europas jedoch gestiegen ist. Das ist also weniger kompliziert, als man meint. Und auch die Lösung ist einfacher, als man glaubt."

Euronews:"Wie ich bereit sagte, ist Großbritannien in einer Situation, in der politisch nichts mehr geht. Glauben Sie, dass das Land vielleicht an einem Punkt ist, an dem man eine Regierung der nationalen Einheit braucht, - so wie während des Krieges?"
Tony Blair:"Man kann sich eine Regierung der nationalen Einheit mit den beiden derzeit regierenden Parteien nur schwer vorstellen. Meiner Meinung nach gibt es einen Bedarf - ich glaube wirklich nicht, dass es so kompliziert ist, wie die Leute denken. Und Sie wissen, dass ich als jemand spreche, der 25 Jahre lang Parlamentsmitglied und 10 Jahre lang Premierminister war. Es ist sehr einfach. Das Parlament muss einen gangbaren Weg finden, wenn die Regierung nicht dafür bereit ist. Wo sie Schritt für Schritt über die Optionen abstimmen. Man könnte für den Deal von Theresa May stimmen. Man könnte eine Lösung á la Norwegen haben. Man könnte für ein Freihandelsabkommen nach kanadischem Vorbild stimmen. Man muss über diese drei Optionen abstimmen. Wenn man sich nicht auf eine dieser Optionen einigen kann, muss man sich entscheiden, ob man ein Referendum abhalten will. Wenn man sich nicht auf ein zweites Referendum einigt, kommt man zurück zu den drei Optionen. Es ist wirklich nicht kompliziert. Was ich wirklich bizarr und auch fehlgeleitet finde - sowohl in Großbritannien als auch von EU-Seite - ist, dass man die ganze Zeit von einem 'No-Deal' spricht. Es wird keinen 'No-Deal' geben, es sei denn, es gibt eine Reihe von Unvorhersehbarkeiten in der Regierung und im Parlament. Also sage ich nicht, dass es unmöglich ist. Aber warum sollte das Parlament das tun? Im Parlament gibt es eine große Mehrheit gegen einen 'No-Deal'. Man wird definitiv ein Referendum einem 'No-Deal" vorziehen. Also meiner Meinung nach ist nicht der 'No-Deal' die Gefahr. Die Gefahr ist, dass wir am Ende eine Art verpfuschten Brexit haben, was offen gesagt das Abkommen ist, das im Moment auf dem Tisch liegt."

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