Ex-Kapitän zu Sea-Watch: "Bin stinkwütend auf das, was passiert ist"

Ex-Kapitän zu Sea-Watch: "Bin stinkwütend auf das, was passiert ist"
Copyright Stefan Schmidt
Von Anne Fleischmann mit dpa
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Fall der Sea-Watch-Kapitänin Rackete: "Ist das nicht peinlich, dass wir uns um 40 Leute streiten?"

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Die deutsche Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete kommt frei. Ein Ermittlungsrichter im sizilianischen Agrigent hob den Hausarrest gegen die 31-jährige auf.

Italiens Innenminister Matteo Salvini erklärte jedoch, Rackete solle wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit des Landes verwiesen werden.

Rackete war am Samstag mit dem Rettungsschiff "Sea-Watch 3" unerlaubt in einen italienischen Hafen eingelaufen. An Bord hatte sie 40 Migranten. Dreizehn waren aus medizinischen Gründen schon zuvor an Land gelassen worden.

Stefan Schmidt hat das Schiff damals nach dem Kauf getauft. Er ist ehemaliger Kapitän und kann nachvollziehen, wie es Rackete gerade vermutlich geht. Euronews hat mit ihm gesprochen.

"Ich bin stinkwütend auf das, was jetzt passiert, weil das ist eine Geschichte die mir schon passiert ist 2004", sagt Schmidt.

Ex-Kapitän Stefan Schmidt war schon einmal in der Situation von Carola Rackete

Schmidt war 2004 in einer ähnlichen Situation wie Rackete. Damals war er Kapitän der "Cap Anamur", die 37 Flüchtlinge aus dem Sudan an Bord hatte. Er und das Team an Bord rettete die Menschen. Sein Plan war eigentlich, die Migranten in Porto Empedocle in Sizilien an Land zu bringen und anschließend wieder auszulaufen.

Doch dazu kam es nicht. Schmidt sagt, dass die Erlaubnis zum Einlaufen zwar erst gegeben wurde. Als sich das Schiff in der 12-Meilen-Zone befand, wurde diese jedoch zurückgezogen. Eine Woche lang hätte die Crew keine Informationen bekommen, wieso ihr Schiff nicht im Hafen anlegen darf.

Unsere Krankenschwester an Bord hat ihnen in den letzten drei, vier Tagen dann schon Beruhigungsmittel in den Morgentee getan.
Stefan Schmidt

"Nach der Woche wurde vom Innenministerium gesagt, jetzt sind die schon so lange an Bord, jetzt sind es keine Schiffbrüchigen mehr", erinnert sich Schmidt.

Die Situation an Bord war zunächst in Ordnung, so Schmidt. "Wir waren eine eingeschworene Gemeinschaft. Wir haben auch Hilfe bekommen vom Erzbischof von Agrigent. Der hat zwei Mönche geschickt, die konnten auch die Sprache, weil die im Sudan mal als Missionare gearbeitet haben. Die waren wirklich super."

Die Geistlichen hätten sich mit den Flüchtlingen zusammengesetzt und geredet. Anfangs reichte das aus. Doch die Menschen an Bord wurden immer nervöser. "Unsere Krankenschwester an Bord hat ihnen in den letzten drei, vier Tagen dann schon Beruhigungsmittel in den Morgentee getan", erzählt Schmidt. "Und als dann zwei trotz dieser Sache von Bord springen wollten, weil sie es nervlich nicht mehr ausgehalten haben, da habe ich das Ultimatum gestellt an den italienischen Staat.“

Italien erteilte keine Erlaubnis zum Einlaufen

Italien hielt dieses Ultimatum jedoch nicht ein. Morgens um acht Uhr habe Schmidt Erlaubnis erbeten, um 12 Uhr mittags in den Hafen einzulaufen. Die Erlaubnis kam nicht.

Daraufhin ergriff Schmidt von seinem Recht, einen internationalen Notfall auszrufen. "Denn immer wenn ein Mensch in Gefahr ist, ein Menschenleben in Gefahr ist, darf ein Kapitän jeden Hafen anlaufen. Die Gesetze gibt es. Und ich habe Gott sei Dank in der Seefahrtsschule bei dem Seerecht gut aufgepasst", erklärt Schmidt.

Auf das Anlegen folgte die Festnahme

Die 37 Migranten konnten von Bord gehen. Schmidt wurde zusammen mit dem damaligen Chef der Organisation Cap Anamur, Elias Bierdel, festgenommen. Zu diesem Zeitpunkt wussten sie noch nicht, dass sich ihr Verfahren fünf Jahre hinziehen würde.

Die Polizisten haben uns erstmal an einer Eisdiele ein Eis ausgegeben.
Stefan Schmidt

„Wir wurden zunächst ganz freundlich gebeten in das Polizeihauptquartier zu kommen, dann wurden wir verhört. Wir sollten das Protokoll unterschreiben, haben wir aber nicht gemacht – Elias, Vladimir und ich. Weil in dem Protokoll gar nicht drinstand, was wir gesagt hatten. Das war aber vergebliche Liebesmühe, weil vor Gericht später stand unsere Unterschrift da drunter. Die wurde von Anfang an, ich glaube sogar vom Polizeidirektor selbst, gefälscht", erzählt Schmidt.

"Dann wurden wir ins Gefängnis gefahren. Die Polizisten haben uns erstmal an einer Eisdiele ein Eis ausgegeben und sich dafür entschuldigt, was sie da machen müssen. Im Gefängnis waren wir die Helden. Nicht nur bei den Wärtern, sondern auch bei den Gefangenen. Die haben ihre letzte Flasche Bier mit uns geteilt. Es war eine groteske Situation.“

Die Solidarität der Menschen sei groß gewesen, erzählt Schmidt. „Wir hatten schon den riesen Unterschied gemerkt zwischen den Behörden in Italien und den Menschen." Als er und Bierdel im Gefängnis waren, seien die Menschen zu Hunderten auf die Straßen gegangen und hätten für sie demonstriert.

Solidaritätsbekundungen und Demonstrationen für Rackete

Auch Rackete bekommt momentan Unterstützung aus der Bevölkerung. Aus Deutschland - aber auch aus anderen Ländern - kommen Solidaritätsbekundungen. In den sozialen Netzwerken äußerten sich unter anderem der deutsche Außenminister Heiko Maas und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und forderten ihre Freilassung.

Es gibt mehrere Spendenaufrufe. Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer geht davon aus, dass insgesamt mehr als eine Million Euro gespendet wurde. Bei einem Aufruf von Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf kamen allein bisher mehr als 930.000 Euro zusammen.

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In Berlin, Köln und Frankfurt am Main haben Hunderte Menschen protestiert und die Freilassung der 31-jährigen gefordert.

"Unser Hafen bleibt offen"

Schmidt glaubt, dass jetzt noch schärfere Regeln angewendet werden als noch 2004. "Es macht mir anderseits aber Hoffnung, dass viele Städte in Italien gesagt haben, diese Krankheit machen wir nicht mit", sagt er.

Der Oberbürgermeister von Neapel habe gesagt "Unser Hafen bleibt offen". Auch Palermo hätte das gesagt, so Schmidt. In Deutschland gebe es etwa 50 Städte, die gesagt hätten, sie nehmen Menschen auf, die gerettet wurden. "Selbst, wenn die gar keinen Hafen haben, haben sie gesagt: Wir sind offene Häfen", erzählt Schmidt.

Zudem gebe es seit 2006 ein Gesetz der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation, das besagt, dass alle Länder Schiffe einlaufen lassen müssen, die jemanden gerettet haben, der in Seenot war. "Da wurde auf unseren Fall hin beschlossen", erzählt Schmidt.

Die Gesetze gebrochen werden eigentlich in Italien.
Stefan Schmidt

Und daran müssen sich auch alle Schiffe halten - egal ob Segelboot, Frachter oder Kriegsschiff. Jeder auf See sei an die gleichen Gesetze gebunden. "Auf See gilt: Jeder, der in Seenot ist, wird gerettet und an einen sicheren Platz gebracht. Das sind genau die Worte, die im internationalen Seerecht stehen", erklärt Schmidt.

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Das scheint Salvini jedoch nicht zu wissen, mutmaßt der ehemalige Kapitän. "Die Gesetze gebrochen werden eigentlich in Italien. Wenn ein Kapitän sagt, bei mir ist ein Notfall, dann darf er einlaufen. Und da darf man ihn auch nicht dran hindern.“

Mit der nichtstaatlichen Organisation borderline-europe – Menschenrechte ohne Grenzen, bei der er Gründungsmitglied ist, habe er in zwei oder drei Fällen den italienischen Staat verklagt. Es gebe hier jedoch keine Fortschritte. Seit ein paar Jahren liege "die Anklage immer noch in der Schublade". Es fehle unter anderem an Geld.

Der Streit um Menschen sei peinlich

Auch vom deutschen Staat wünscht sich Schmidt mehr als nur Solidaritätsbekundungen. "Eigentlich hätte unsere Politik schon eher aufwachen müssen", stellt Schmidt fest. "Was Herr Seehofer da vor ein oder zwei Jahren von sich gegeben hat, dass man die Schiffe im Hafen festhalten und die Mannschaften anklagen müsse. Das kommt von unserem Innenminister! Da ist es kein Wunder, wenn Salvini noch versucht, das zu übertrumpfen!"

Er habe einen Brief an Seehofer geschrieben. Darin der Vorschlag, eine Garantie zu geben, Migranten aufzunehmen. Dann würde Italien die Schiffe vielleicht auch in die Häfen lassen. "Ist das nicht peinlich, dass wir uns um 40 Leute streiten?", fragt Schmidt. In Deutschland gebe es über 80 Millionen Einwohner. "Da würde in jeder Stadt ein Viertel Mensch aufschlagen, wenn wir alle retten wollen. Aber da wird dann drüber gestritten. Es ist peinlich.“

Der 70-jährige hofft, dass die Aufmerksamkeit um Sea-Watch und Rackete auch Einfluss auf die Politik haben wird.

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Vorwurf: Schmuggelei und Beihilfe zur illegalen Einwanderung

Schmidt und Bierdel wurde unter anderem auch Beihilfe zur illegalen Einwanderung vorgeworfen. Auch Rackete muss sich dem momentan stellen.

Kritiker bezeichnen sie als Schmugglerin. Doch Schmidt weist klar auf den Unterschied hin: "Die Schmuggler fahren seit vielen, vielen Jahren gar nicht mehr mit." Heute, wo jeder GPS an Bord habe, könne man eindeutig beweisen, dass ein Schiff Menschen zufällig auf See gefunden und gerettet habe.

Auch im Fall der Cap Anamur sei kein Schmuggler mit an Bord gewesen. "Seit bekannt war, dass die Italiener seit 2003 jeden der an Bord verdächtigt wirkt, der Schmuggler zu sein, erstmal ohne Verhandlung acht Jahre einsperren, fahren die Schmuggler gar nicht mehr mit. Die schicken die Leute los mit den schlechtesten Booten, die man sich vorstellen kann. Das ist denen auch egal, die kassieren nur."

Schmidt sagt, dass er in Deutschland für Unterlassung zu mindestens sechs Jahren Haft verurteilt worden wäre. "Das alles müsste einfach mal auf den Tisch kommen - aber jetzt haben wir natürlich auch bei Facebook unheimlich viele, die Seerechtsexperten sind", fügt er hinzu.

Wie geht man mit dem Druck um, der auf einem lastet?

Schmidt sagt, auf Fotos von damals sehe er zehn Jahre älter aus als jetzt. Freunde und Familie hätten ihm jedoch Rückhalt gegeben. Das war notwendig, denn der Druck, der auf ihm lastete, war immens.

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Für ihn hat Rackete alles richtiggemacht. "Ich glaube, ich brauche ihr gar keinen Tipp zu geben", sagt Schmidt. "Aber, wenn, dann: Sie soll ihre Linie einfach weiterverfolgen. Sie soll nicht schwanken, sie soll nicht denken, sie ist verlassen. Wir stehen alle hinter ihr."

Heute ist Schmidt ehrenamtlicher Flüchtlingsbeauftragter von Schleswig-Holstein. Absichtlich unbezahlt, sagt er. Bezahlung habe er abgelehnt, weil er glaubt, seine Überzeugung ist mehr wert als sein Geldbeutel. Mit dieser Einstellung hofft er, mehr Menschen zu erreichen und andere dazu anzuregen, sich selbst ehrenamtlich zu engagieren.

Rackete erwartet bei ihrer Rückkehr nach Deutschland jedenfalls ein Fest, sagt Schmidt. Die Einladung an Sea-Watch sei schon verschickt.

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