"Rassismus ist der größte Störfaktor bei Integration"

Ali Can
Ali Can Copyright © Deutsche Bischofskonferenz/Jörn Neumann
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Von Julika Herzog
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Die rechtsextremen Anschläge der vergangenen Monate in Deutschland haben den Integrationsgipfel im Kanzleramt überschattet. Ali Can , der Initiator des Hashtags #Metwo im Gespräch mit euronews über den Gipfel und Deutschland nach dem Anschlag von Hanau.

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Die rechtsextremen Anschläge der vergangenen Monate in Deutschland haben den Integrationsgipfel im Kanzleramt überschattet. Ali Can hat eine „Hotline für besorgte Bürger“ ins Leben gerufen, in Essen das „VielRespektZentrum“ gegründet und ist momentan mit seinem Buch „Mehr als eine Heimat. Wie ich Deutschsein neu definiere“ auf Lesereise unterwegs. Der 26-jährige Anti-Diskriminierungsaktivist und Initiator des Hashtags #Metwo im Gespräch mit euronews über den Integrationsgipfel und Deutschland nach dem Anschlag von Hanau.

euronews: Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte mit Blick auf den rassistischen Anschlag auf Shishabars in Hanau am 19. Februar, dass die Mitglieder der Bundesregierung "sehr bedrückt sind, dass es bisher nicht gelungen ist, diese Taten zu stoppen." Was halten sie davon?

Ali Can: Aus der Perspektive eines Menschen mit sichtbarem Integrationshintergrund, der in diesen Tagen wieder Angst hat Zielscheibe von Hass zu werden, muss ich sagen, dass dies für mich zynisch sind. Bedrückt waren sie schon beim Anschlag von Halle, bei dem Mord an Walter Lübcke und auch schon bei den Taten des NSU. Was folgen muss sind Taten, die Beileidsbekundungen reichen überhaupt nicht aus. Wir haben doch einen Verfassungsschutz, wir haben doch Netzwerke und Ressourcen, um diesen Rechtsextremismus zu stoppen und die Netzwerke auffliegen zu lassen.

euronews: Wird in Deutschland genug gegen Rechtsextremismus getan? Konnte der Integrationsgipfel eine Antwort liefern?

Ali Can: Rassismus ist in allen Bereichen der deutschen Gesellschaft tief verwurzelt. Es wäre verkürzt zu sagen, dass er sich nur bei rechtsextremen Anschlägen äußert. Wir erleben ihn in den Parlamenten, bei den rassistischen Reden der AFD und vor allem im sogenannten Alltagsgeschäft, auf dem Wohnungsmarkt, bei der Jobsuche und im Alltag, in der Universität, in der Schule. Er ist überall da und jetzt wird er eben sichtbarer. Die Maßnahmen, die bei dem Integrationsgipfel beschlossen wurden, sind ein Zeichen der Solidarität. Es ist gut, dass die Probleme beim Namen genannt wurden, dass jetzt über Rassismus gesprochen wurde und ein Rassismus-Kabinett ins Leben gerufen wird. Aber eigentlich müssen alle Verbände, Institutionen, Ministerien, Kultusministerien, Wirtschaftsverbände, alle müssen jetzt gemeinsam an einem Masterplanarbeiten arbeiten und Rassismus als das Grundproblem des Rechtsterrorismus bekämpfen. Denn die Situation wird auf jeden Fall immer schlimmer. Der Kampf gegen Rassismus ist halbherzig, Deutschland kämpft nicht entschieden genug dagegen. Schon beim NSU hat man gesagt, man wisse was für eine Gefahr "aus der rechten Ecke kommt". Gar nicht, wir wissen das immer noch nicht!

euronews: Der Integrationsgipfel, der zuletzt 2018 stattfand, hat sich diesmal vor allem der Frage gewidmet, was Flüchtlinge und Migranten alles wissen sollten, bevor sie nach Deutschland kommen. Ist das die Lösung für eine bessere Integration?

Ali Can: Bei dem Integrationsgipfel hat man wiedergesehen, was die Bundesregierung unter Integration versteht: Es gibt eine Richterperspektive der deutschen Mehrheitsgesellschaft und die anderen sollen sich anpassen. Ich aber verstehe Integration als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, als eine Orientierung an Werten, als einen Prozess. Es ist sehr verkürzt das nur auf Arbeitsplatz und Spracherwerb zu beziehen. Und was nützt die ganze Bemühung um Integration in Deutschland, wenn wir hier einen großen, starken Rassismus erleben, der der größte Störfaktor ist bei der Integration? Menschen haben ein gutes Recht zu sagen, wir haben keinen Bock mehr uns zu integrieren, wenn wir eh nur ausgeschlossen werden und Zielscheibe von Hass sind."

euronews: Wie sehen sie persönlich in die Zukunft?

Ali Can: Es gibt immer wieder solche Sätze von Politikern wie: Man muss die Ängste der Bürger verstehen, man muss ihre Sorgen anhören. Ich bin völlig einverstanden, dass wir mehr Dialog brauchen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern. Aber was da gerade eigentlich passiert ist, dass man unter dem Deckmantel der Besorgnis den Faschisten den Weg ebnet und sie politische Macht bekommen und das ist natürlich sehr gefährlich für uns Menschen mit Migrationsgeschichte. Hanau war leider nicht der letzte Anschlag. Wir erleben, dass die Menschen in der letzten Zeit übergehen von dem Hass, der sozusagen in Reden und in Parteien floriert und Einzug hält. Überall dort, wo Rassismus salonfähig wird, kommen immer mehr Menschen, die diesen Rassismus in Gewalt umsetzen, und das mündet nicht nur in Ausschluss, sondern auch in physischer Gewalt, und das macht mir besonders Sorge."

Für Ali Can muss für eine gelungene Integration vor allem mehr gegen Rassismus getan werden. Damit sich ein Anschlag wie in Hanau nicht wiederholt und wie Merkel es beim Integrationsgipfel ausdrückte: "Jeder Mensch muss sich in Deutschland sicher und in seiner Würde akzeptiert fühlen."

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