Rätselhafte Abwesenheit: Wo ist Nicaraguas Präsident Daniel Ortega?

Ortega mit seinen Kollegen aus Kuba und Venezuela, 2019
Ortega mit seinen Kollegen aus Kuba und Venezuela, 2019 Copyright AP
Von Francisco Fuentes
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Seit fast einem Monat ist der Staatschef nicht mehr in der Öffentlichkeit erschienen. Das heizt die Gerüchteküche an...

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Inmitten der Coronavirus-Pandemie sorgt Präsident Daniel Ortega in Nicaragua für Aufsehen, allerdings nicht mit seiner Präsenz - sondern ganz im Gegenteil - mit absoluter Stille.

Der autoritäre Staatschef wurde seit dem 21. Februar, als er den Generalstabschef der Armee, General Julio César Avilés, für eine dritte Amtszeit im Amt bestätigte, nicht mehr gesehen.

Seine Stimme konnte man das letzte Mal am 12. März vernehmen, als er an einer Telefonkonferenz mit den Staats- und Regierungschefs des Zentralamerikanischen Integrationssystems (SICA) teilnahm, um die gemeinsame Reaktion auf die Covid-19-Krise zu koordinieren.

Seitdem Schweigen. Am vergangenen Freitag nahm er auch an der Beerdigung des sandinistischen Abgeordneten Jacinto Suárez, einem Jugendfreund, mit dem er während der Diktatur von Anastasio Somoza Debayle eine Zelle geteilt hatte, nicht teil.

Absolute Stille

Eine Abwesenheit, die nach Ansicht des Sekretärs der Nicaraguanischen Vereinigung für Menschenrechte (ANPDH), Alvaro Leiva, "besorgniserregend ist, weil sie die politische Situation eines gescheiterten Staates ohne Führung verschlimmert. Es ist eine Situation, die die permanente Verletzung der Menschenrechte in Nicaragua verschärft und die Bevölkerung angesichts der Pandemie einem hohen Risiko und einer hohen Anfälligkeit aussetzt".

Leiva, der aus Costa Rica stammt, wo er sich im Exil befindet, forderte Ortega am Montag auf, innerhalb von 72 Stunden vor der nicaraguanischen Nation zu erscheinen, um "zu bestätigen, dass er immer noch für die öffentliche Verwaltung des Staates verantwortlich ist".

Offiziellen Angaben zufolge steht der nicaraguanische Präsident mit seiner Familie unter strenger Quarantäne. Nur seine Frau und der designierte Vizepräsident, Rosario Murillo, telefonieren mit einigen Medien, die mit dem Regime in Verbindung stehen. Murillo ließ mitteilen, die Regierung lebe in der Hoffnung auf die Auferstehung Jesus.

In Nicaragua, aber auch in der Gemeinschaft im Ausland, hat Ortegas Abwesenheit zu zahlreichen Spekulation geführt. Gerüchte kursieren, wonach der Langzeitherrscher tot sein könnte oder nach Kuba zur medizinischen Behandlung gebracht wurde. Viele finden die Stille des Machthabers sehr verdächtig.

Keine Maßnahmen gegen die Pandemie

Die nicaraguanische Regierung hat bisher nichts unternommen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen. Nach Angaben der oppositionellen Bürgerallianz für Gerechtigkeit und Demokratie hat das Regime eine Initiative zur Einrichtung von sechs Coronavirus-Präventionszentren und eines Zentrums zur Information, Anleitung und Betreuung der Bevölkerung im Norden des Landes verboten. Diese Initiative war vom Bischof Rolando Alvarez zusammen mit einer Gruppe von Ärzten ins Leben gerufen worden.

"Die nicaraguanische Gesellschaft und die internationale Gemeinschaft sollen die unverantwortliche Haltung des Regimes kennen, das weit davon entfernt ist, die Empfehlungen der internationalen Organisationen umzusetzen, sondern bisher eher das Gegenteil getan hat", prangerte die Bürgerallianz an.

Das nicaraguanische Nichtregierungszentrum für Menschenrechte (CENIDH) hat angesichts des Verbots von Präventionszentren durch das Gesundheitsministeriums, zum "zivilen Ungehorsam" aufzurufen, um "das Recht auf Gesundheit und Leben" zu verteidigen.

Selbst ist das Volk

In Ermangelung staatlicher Maßnahmen haben viele Nicaraguanerinnen und Nicaraguaner von sich aus Präventiv- und Solidaritätsmaßnahmen ergriffen und die Behörden ignoriert.

Zu diesen Maßnahmen gehört die soziale Distanzierung bei Massenveranstaltungen, an denen militante Sandinisten (Mitglieder der Regierungspartei Frente Sandinista de Liberación Nacional FSLN) aktiv teilnehmen. Dieselben Leute wurden von Haus zu Haus geschickt, um die Bevölkerung über die Pandemie "aufzuklären".

Zeitgleich mit dem Beginn der Osterferien hat die Regierung über das Institut für Tourismus von Nicaragua (INTUR) den "Sommerplan" mit einem Marathon "Willkommen im Sommer 2020" organisiert, an dem Hunderte von Bürgern, viele Kinder und Menschen mit Behinderungen teilnehmen.

Während der Feierlichkeiten sind mehr als 80 Aktivitäten geplant, mit künstlerischen, sportlichen, gastronomischen, religiösen und traditionellen Feiern.

Präsidentensohn am Strand... War was?

Regierungsbeamte versuchen, den Notstand durch Kritik an Gegnern, die die #StayHome-Kampagne unterstützen, zu herunterzuspielen.

Einer der Söhne des Präsidenten, Juan Carlos Ortega Murillo, veröffentlichte in seinem sozialen Netzwerk zwei Fotos, auf denen er mit seiner Familie am Strand zu sehen ist. Die Bilder waren lokalen Medien zufolge wohl persönliche Archivbilder Ortegas vom vergangenen Sommer. Es sei ein Versuch, Normalität vorzuspielen.

"Fotos und Videos von Xiomara Blandino und Juan Carlos Ortega Murillo, die am Wochenende veröffentlicht wurden, sind nicht neueren Datums", schreibt 100% Noticias.

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Bis heute hat Nicaragua offiziell sechs bestätigte Fälle von Coronaviren gemeldet. Sie alle wurden eingeschleppt, nur eine Person ist an Covid-19 gestorben. 22 Verdachtsfälle, von denen 10 unter Beobachtung stehen und 12 zu Hause behandelt werden, wurden zudem erfasst.

Nach Angaben der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (IACHR) befindet sich Nicaragua seit April 2018 in einer sozio-politischen Krise, die mindestens 328 Todesopfer gefordert hat. Einige lokale NGOs schätzen diese Zahl auf 600 Tote.

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