Corona-Krise in Pariser Vororten: "Ohne die Tafel würden wir Müll essen"

Schlange stehen für Lebensmittel: Für viele Menschen Alltag in den Pariser Vororten.
Schlange stehen für Lebensmittel: Für viele Menschen Alltag in den Pariser Vororten. Copyright LUDOVIC MARIN/AFP
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Von Anelise Borges
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Stundenlang Schlange stehen, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen: Für viele Bewohner in Pariser Vororten ist das der neue Alltag.

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Stundenlang Schlange stehen, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Für viele Bewohner im französischen Département Seine-Saint-Denis im Großraum Paris ist das zurzeit Alltag.

Leben auf engstem Raum

Was die Menschen ohne die Tafel machen würden? "Wahrscheinlich den Müll vom Boden essen", sagt eine Frau. "Ich habe ja nicht mal genug, um die Miete zu bezahlen, ich stecke bis zum Hals in Schulden."

Seine-Saint-Denis ist die ärmste Region Frankreichs, nirgends gibt es mehr Arbeitslose oder Bedarf an Sozialwohnungen. Der Corona-Lockdown trifft die Banlieues, die Vororte von Paris, besonders hart. Hier leben Großfamilien auf engstem Raum, in den Krankenhäusern gibt es kaum Intensivbetten.

Mehdi Bigaderne vom Verein "ACLEFEU" erklärt: "Diese Krise wird noch lange andauern. Sie geht ja nicht am 11. Mai mit der Ausgangssperre zu Ende. Die Regierung warnt, dass auf diese Gesundheitskrise eine beispiellose Wirtschaftskrise folgen wird. Und die ersten, die davon betroffen sind, sind die Menschen in Vororten wie hier – so war es bisher in jeder Krise.“

Ohne Schule keine Mahlzeit

Der Alltag in den Banlieues zeigt: Ausgangssperre ist nicht gleich Ausgangssperre. Viele gut betuchte Pariser verbringen den Lockdown in Zweitwohnsitzen auf dem Land, während hier in den Vorstädten Kindern der Magen knurrt. 

Die Schulen sind dicht – für einige waren sie die einzige Möglichkeit, eine warme Mahlzeit zu bekommen. 'Wir sitzen alle im selben Boot', wurde zu Beginn der Pandemie gern gesagt. Aber nein, das Virus verändert das Leben der Menschen auf sehr unterschiedliche Weise. Hier in den Vorstädten hat es eine harte Realität noch härter gemacht.

Die Sterberate von Corona-Patienten in Seine-Saint-Denis liegt deutlich über dem Landesdurchschnitt. Und das, obwohl hier besonders viele junge Menschen leben.

Ansteckungsgefahr am Arbeitsplatz

Für Bewohner, die noch zur Arbeit gehen können, sind die Gesundheitsrisiken enorm, erklärt der Soziologe Fabien Truong: "Hier leben viele Menschen, die in den Bereichen Reinigung, Transport, Logistik oder in Supermärkten arbeiten. Das ist eigentlich ein Widerspruch, wir brauchen sie, aber sie leben und arbeiten unter sehr prekären Bedingungen."

Doch gleichzeitig ist in den Banlieues ein großer Zusammenhalt zu spüren - und die Hoffnung, dass die Krise eine Chance mit sich bringt - auf mehr Anerkennung und Lohn für systemrelevante Berufe, für Menschen, die an vorderster Front gegen die Pandemie und ihre Folgen kämpfen.

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