Sebastian Kurz und die politische Krise in Österreich - 9 Fragen und Antworten

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz steht unter Druck aber seine Partei steht geschlossen hinter ihm.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz steht unter Druck aber seine Partei steht geschlossen hinter ihm. Copyright Lisa Leutner/AP
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Von Alexandra Leistner
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Was wird Österreichs Kanzler Kurz vorgeworfen und wie sehen die potenziellen Folgen für die Regierung aus? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

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Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz muss sich am Dienstag einem Misstrauensvotum stellen. Die Opposition hatte zuvor seinen Rücktritt gefordert, aber Kurz lehnte ab. Wie kam es zu der Krise?

Was wird Kurz vorgeworfen?

Kurz: Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung. Österreichs "Korruptionsjäger", die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gab am Mittwoch 6. Oktober, bekannt, dass gegen Kurz und neun weitere Beschuldigte sowie drei Verbände ermittelt werde und in diesem Zusammenhang Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden.

"Zwischen den Jahren 2016 und zumindest 2018 budgetäre Mittel des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) zur Finanzierung von ausschließlich parteipolitisch motivierten, mitunter manipulierten Umfragen eines Meinungsforschungsunternehmens im Interesse einer politischen Partei und deren Spitzenfunktionär(en) verwendet wurden", ist in der Pressemitteilung des WKStA zu lesen.

Bedeutet: Im Jahr 2016 und 2017 soll Kurz, um an das Amt des damaligen ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner zu kommen, positive Berichterstattung in den Boulevardmedien erkauft haben. Bezahlt wurde das den Anschuldigungen zufolge mit Steuergeldern.

Was sagt Kurz zu den Vorwürfen?

"Sebastian Kurz ist die zentrale Person", schreibt die WKStA in ihrer Anordnung zu den Hausdurchsuchungen von Mittwoch, "sämtliche Tathandlungen wurden primär in seinem Interesse begangen".

Der Bundeskanzler widerspricht, die Anschuldigungen seien "falsch". "Auch dieses Mal sind das konstruierte Vorwürfe, wieder mit derselben Vorwürfen. Es werden einige SMS-Fetzen aus dem Zusammenhang gerissen oder in einen anderen Kontext gestellt. Und dann wird drum herum ein strafrechtlicher Vorwurf kreiert. Ich bin überzeugt davon, dass auch diese Vorwürfe sich schon bald als falsch herausstellen", so Kurz.

Kurz forderte die Unschuldsvermutung, die in einem Verfahren wie diesem gilt, ein: "Ich werde mich mit aller Kraft gegen Anschuldigungen wehren. Als Volkspartei wurden wir bei zwei Wahlen erfolgreich gewählt, stehen zur Regierungszusammenarbeit mit den Grünen und sind auch bereit diese fortzusetzen!", schrieb Kurz auf Twitter.

Am Mittwochabend hatte Kurz schon im ORF alle Vorwürfe von sich gewiesen. Er könne nicht immer verantwortlich sein: Er versteh nicht warum "immer ich schuld sein soll", wenn irgendwo Unrecht geschehe, so der konservative Politiker.

Auf seinem Twitter-Profil veröffentlichte Kurz die Statements der ÖVP-Landesverbände, die sich geschlossen hinter Kurz stellten, nachdem die Opposition am Donnerstag seinen Rücktritt einforderte.

Lisa Leutner/AP
Demonstrationen vor der ÖVP-Zentrale in Wien: Die Sozialistische Jugend fordert den Rücktritt von Bundeskanzler Sebastian Kurz.Lisa Leutner/AP

Was war mit Whatsapp?

Ebenfalls am Mittwoch, 6 Oktober 2021, veröffentlichte der "Falter" Whatsapp-Nachrichten aus dem Jahr 2018, die zwischen dem damaligen Kabinettschef Thomas Schmid und dem Pressesprecher des ÖVP-geleiteten Finanzministeriums ausgetauscht wurden. Unter anderem wird dort die Frage gestellt, wie man "Content" gegen "Kohle" in der Zeitung "Österreich" bekommen kann.

Nach Falter-Informationen sollen insgesamt 1 Million Euro an Medien geflossen sein. Die Whatsapp-Konversationen bilden nach österreichischen Medienberichten die Grundlage für die Hausdurchsuchungen vom Mittwochmorgen.

Welche Folgen gab es bisher?

Die Grünen - die in einer Koalition mit Kurz' ÖVP regieren - begannen an diesem Freitag Beratungen mit den im Nationalrat vertretenen Parteien, um mögliche Alternativlösungen auszuloten. Zudem waren alle Partei-Vorstände zu Gesprächen bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen eingeladen.

Werner Kogler, Vizekanzler und Bundessprecher der Grünen, forderte indirekt den Rücktritt von Kurz: "Die schwierige Situation erzeugen ja nicht wir, die kommt von der Parteispitze der ÖVP, durch ganz gravierende, schwerwiegende Vorwürfe, die unserer Einschätzung nach die Handlungsfähigkeit und eigentlich die Amtsfähigkeit des Bundeskanzlers schwer in Frage stellen."

"In den Ministerien finden Hausdurchsuchungen statt, deren Arbeit ist dort blockiert. Das ist ganz klar, dass so jemand nicht mehr amtsfähig ist. Und selbstverständlich hat die ÖVP hier auch eine Verantwortung, eine untadelige Person zu nominieren, die diese Regierung weiterführen kann", so Sigrid Mauer, Klubobfrau der Grünen.

Ein "System Kurz"?

Die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner forderte bereits seit Mittwoch den Rücktritt des Kanzlers. "Ich will, dass es in diesem Land endlich wieder Ruhe und Stabilität gibt. Und ich will nicht, dass dieses Land regiert wird von jemand, der ständig mit der Justiz konfrontiert ist, bei dem ständig Korruption im Raum steht. Ich glaube, es braucht endlich eine Politik wieder des Anstandes und der Stabilität. Und das geht mit dem System Kurz nicht", so Rendi-Wagner.

Was ist mit der Causa "Inseratenkorruption" gemeint?

Österreich gilt europaweit als eines der Länder, das für Regierungsanzeigen in Medien besonders viel Geld ausgibt. Nach Informationen des Standard sind die Ausgaben unter der Regierung Kurz besonders hoch: Rund 15 Millionen Euro sollen für Werbung in Medien ausgegeben worden sein - allein im Jahr 2020.

Im Zentrum der umstrittenen Werbung stehen die Medienmacher Helmuth und Wolfgang Fellner, Herausgeber der Tageszeitung "Österreich".

Erinnerung an die "Ibiza-Affäre"

Auch schon in der Ibiza-Affäre ging es um die Beeinflussbarkeit österreichischer Medien durch Politiker. Ein heimlich gedrehtes Video hatte den damaligen Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ zu Fall gebracht und die rechtskonservative Koalition beendet. Strache und sein Vertrauter sprechen in den Aufnahmen, die auf der spanischen Insel Ibiza entstanden sein sollen, mit einer angeblichen russischen Oligarchen-Tochter, die Geld investieren will.

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Strache gibt in den Aufnahmen suggeriert, Einfluss auf die Berichterstattung der "Kronen Zeitung", Österreichs auflagenstärkste Tageszeitung, nehmen zu können. Journalisten seien "die größten Huren des Planeten", so der FPÖ-Politiker.

Und wie geht es jetzt weiter?

Ein Kommentar von Euronews-Korrespondent Johannes Pleschberger in Wien: "Bleibt Sebastian Kurz österreichischer Kanzler? Nach den Korruptionsanschuldigungen dreht sich nun alles um die Frage, welche Konsequenzen die Grünen ziehen? Der Junior-Regierungspartner berät sich mittlerweile mit den Oppositionsparteien.

Doch viele Möglichkeiten scheint es nicht zu geben. Die Österreichische Volkspartei von Sebastian Kurz steht geschlossen hinter ihm. Der Parteichef und Kanzler wird nicht ausgewechselt.

Sollten die Grünen aber weitermachen als wäre nicht geschehen, verlieren sie nicht nur ihr Gesicht sondern auch bei den nächsten Wahlen.

Deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie die Regierung platzen lassen und vielleicht sogar mit der Opposition gegen Kurz zusammenarbeiten. Vor so einer Konzentrationsregierung - sprich alle anderen Parlamentsparteien gegen Kurz - warnen die Konservativen von der ÖVP.

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Es bleibt spannend was in den nächsten Stunden und Tagen passiert. Für Dienstag ist ein Misstrauensvotum im Parlament geplant. Spätestens bis dahin werden sich die Grünen wohl entscheiden müssen."

Wiederholt sich die Geschichte?

Kurz wurde schon einmal per Misstrauensvotum aus dem Amt gedrängt: Im Mai 2019 stimmte eine Mehrheit im Parlament gegen den ÖVP-Chef und seine gesamte Regierung. Damals folgten Neuwahlen, die Kurz und seine Partei deutlich gewannen.

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