10 Jahre nach Enttarnung des NSU: "Aufklärung steht immer noch aus"

Demonstration in Kassel, 2017
Demonstration in Kassel, 2017 Copyright Swen Pfoertner/AP
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Von Carolin Kuter
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Im November 2011 enttarnte sich der "Nationalsozialistische Untergrund". Viele Fragen sind bis heute nicht beantwortet.

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Zehn Jahre ist es her, dass der NSU aufgeflogen ist. Von 2000 bis 2007 begann das Neonazi-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe zehn Morde und weitere Anschläge. Aufgeklärt wurden die Taten erst, nachdem sich Böhnhardt und Mundlos selbst töteten und Zschäpe sich stellte.

An der Arbeit der Ermittlungsbehörden gab es viel Kritik: Zunächst wurden die Opfer selbst verdächtigt, beim Verfassungsschutz gab es zahlreiche Pannen vor allem im Umgang mit V-Männern, zudem wurden Akten geschreddert. Auch wenn die Sicherheitsbehörden beim Thema Rechtsterror inzwischen aufmerksamer sind, ausgeschlossen sind ähnliche Versäumnisse weiterhin nicht, so Axel Salheiser, Rechtsextremismusforscher am "Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft" in Jena: "Wenn wir den NSU-Komplex im Rückblick betrachten, müssen wir sagen, dass da nicht nur Pannen passiert sind, sondern sich systematische Lücken in der Sicherheitsarchitektur in der Bundesrepublik aufgetan haben und die bestehen nach Einschätzung vieler Kolleginnen, aber auch der Zivilgesellschaft und Journalisten eigentlich weiter,

"Aufklärung steht immer noch aus"

Welche Rolle HelferInnen bei den Taten des NSU spielten, ist auch nach einem sechsjährigen Mammutprozess und etlichen Untersuchungssausschüssen in Bund- und Länderparlamenten nicht geklärt, obwohl konkrete Verdächtige bekannt sind. Opfer und Angehörige fühlen sich bis heute mit vielen Fragen allein gelassen - und das obwohl unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel 2012 sagte, alle Täter müssten gefasst werden. Salheiser: "Diese Versprechungen haben sich nicht erfüllt, weil vor allem das Problem der Verwicklungen der Geheimdienste, der Verfassungsschutzorgane, der Mitwisserschaft und auch die Aufklärung über die Unterstützernetzwerke des NSU, die, davon müssen wir ausgehen, bis heute bestehen, bis heute nicht erfolgt ist. Diese Aufklärung steht immer noch aus auch zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU."

Rechtsterrorismus gibt es quasi seit Bestehen der Bundesrepublik, so Salheiser. In den 90ern brannten Flüchtlingsheime in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen. Salheiser und andere Expert:innen gehen davon aus, dass seit der Wende über 200 Menschen durch rechtsextreme Gewalt getötet wurden. Die Gefahr ist alles andere als gebannt, wie die Anschlägen in Halle und Hanau, der Mord an Walter Lübcke und rechtsextreme Gruppen bei Polizei und Bundeswehr zeigen.

Trotzdem hat der NSU einen Bewusstseinswandel bewirkt, so Salheiser: "Der NSU-Komplex ist an und für sich nur eine sehr sichtbare und traurige Spitze des Eisbergs" Aber die große Medienaufmerksamkeit und die Tatsache, dass die Politik immer wieder damit konfrontiert worden sei, dass sie sich der Verantwortung stärker stellen müsse, habe dafür gesorgt, dass den Themen Rechtsterrorismus, Rassismus und rechtsextreme Bedrohung mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird."

Bedrohung durch Rechtsterror "größer als jemals zuvor"

Auf der anderen Seite sind neue Bedrohungen hinzugekommen. Salheiser spricht von einer Art "Schwarmterrorismus" im Internet, wo sich Rechtsradikale vernetzen und gegenseitig befeuern: "Das sind alles tickende Zeitbombe. Wir wissen nicht, wann der nächste Anschlag passiert. Aber höchstwahrscheilnich wird es auch in Zukunft zu solchen Taten kommen, wo Menschen in Nachahmungstaten ihren traurigen Vorbildern, die tatsächlich eben auch als solche in diesen terroraffinen, digitalen Hasskulturen gehandelt werden, nacheifern. Deswegen ist die Gefahr, dass es eben auch zu rechtsterroristischen Straftaten kommt, größer als jemals zuvor."

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