Streit in Lettland um den Abriss sowjetischer Denkmäler

Streit in Lettland um den Abriss sowjetischer Denkmäler
Copyright euronews
Copyright euronews
Von Julian GOMEZSabine Sans
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button
Den Link zum Einbetten des Videos kopierenCopy to clipboardCopied

In dieser Witness-Folge hörte sich euronews-Reporter Julián López Gómez vor Ort alle Standpunkte an.

WERBUNG

Die Sendung "Euronews Witness" stellt Themen aus aller Welt in den Fokus - durch die Augen und Erfahrungen der Menschen, die im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Für diese Folge reiste euronews-Reporter Julián López Gómez nach Lettland: Dort ermöglicht ein unlängst verabschiedetes Gesetz den Abriss der Denkmäler aus der Sowjetzeit. Doch es beendet nicht die anhaltende Debatte zwischen denen, die in diesen Denkmälern Erinnerungsorte der Geschichte sehen, und denen, für die sie politische Propaganda-Werkzeuge sind.

Streit um Denkmäler

Für die einen ist eine schlechte Tradition, die Denkmäler zu zerstören, andere wollen diese Art von Denkmälern nicht mehr sehen. Manche sagen, man lösche mit dem Abriss die Geschichte aus, andere finden diese Denkmäler beleidigen immer die Opfer. 

Lettland betrachtet den Expansionismus seines russischen Nachbarn mit Sorge. Nach dem Einmarsch der Russen in der Ukraine wurde ein Gesetz verabschiedet: Es zwingt Stadtverwaltungen, Denkmäler zu zerstören, die das Sowjetregime verherrlichen. Denkmäler auf Friedhöfen, die menschliche Gebeine enthalten oder als Kulturdenkmäler eingestuft werden, sind geschützt. 

Doch in der Nähe der Grenze zu Weißrussland und Russland sind die Dinge nicht so einfach. In Daugavpils gibt es drei große sowjetische Denkmäler - und eine beträchtliche ethnische russische Mehrheit. Von Regierungsexperten als "Propagandastätte" bezeichnet, soll dieser Tribut an die sowjetischen Soldaten des Zweiten Weltkriegs vernichtet werden. Alle russischsprachigen Anwohner sind gegen den Abriss. 

"Man sollte die Denkmäler nicht abreißen. Es sind unsere Erinnerungen und sie sollten bleiben. Sie stören niemanden."
russische Anwohnerin

Auch ein Beamter, der ebenfalls der russischen Bevölkerungsmehrheit der Stadt angehört, ist dagegen: "Ein Soldat ist ein Soldat. Im Krieg sind die Dinge klar. Was geschehen ist, ist geschehen. Das Denkmal wurde aus Dankbarkeit errichtet", sagt er. "Man kann endlos darüber reden. Meiner Meinung nach löschen wir die Geschichte aus, wenn wir die Denkmäler abreißen."

 Auch dieses Denkmal ist für den Abriss vorgesehen. Nachdem die Stadtverwaltung Einspruch gegen das Gesetz eingelegt und erklärt hat, dass ihr die Mittel fehlen, schiebt sie die Zerstörung weiter hinaus. 

Das sowjetische Hauptdenkmal der Stadt hingegen wird mit Sicherheit nicht abgerissen werden, da es menschliche Gebeine enthält. Aber selbst in diesem eindeutigen Fall gibt es unterschiedliche Meinungen:

"Was zur Spaltung in der Bevölkerung führt, ist die Art und Weise, wie dieses Denkmal von verschiedenen Gruppen und politischen Organisationen genutzt wird", meint ein Anwohner.  

euronews
In Lettland gibt es viele Denkmäler aus der Sowjetzeiteuronews

Alternativen zur Zerstörung

Die Gedenkstätte ist auch eine der touristischen Attraktionen der Stadt. Eine örtliche Fremdenführerin ist der Meinung, dass es immer Alternativen zur Zerstörung sowjetischer Denkmäler gibt - so drastisch sie auch erscheinen mögen:

"Man kann es neu anstreichen, oder es zu einem Kunstobjekt machen", sagt Fremdenführerin Vika Valuyeva. "Wir schlagen Regenbogenfarben vor. Zumindest hätten wir dann immer einen Regenbogen in unserer Stadt."

Die meisten Anwohner wollen nicht, dass die Denkmäler der Stadt abgerissen werden. Es gibt nur wenige Stimmen, die dafür sind. 

"Je schneller wir sie loswerden, desto besser. Es daran festzumachen, dass einige die Besatzung vielleicht verherrlichen, andere vielleicht nicht, ist ziemlich seltsam."
Aivars Broks
Direktor der örtlichen Musikschule

euronews
Nicht jeder mag die Denkmäler aus der Sowjetzeiteuronews

Andere Situation in Riga

In der Hauptstadt des Landes herrscht eine andere Stimmung. In den vergangenen Monaten haben die lokalen Behörden nicht gezögert, ihre letzten verbliebenen sowjetischen Denkmäler zu demontieren. Den Behörden zufolge ist das größte Denkmal des Landes für den Zweiten Weltkrieg zu einem Treffpunkt für diejenigen geworden ist, die sich nach Lettlands sowjetischer Vergangenheit sehnen, und für pro-russische Ultranationalisten. Riga will keine Symbole des Totalitarismus, insbesondere nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine, sagt der Bürgermeister: "Die erste Idee war, es umzubenennen, oder ihm eine andere Bedeutung zu geben", erklärt Martins Stakis. "Aber nach dieser Initiative fingen die Leute an zu spenden, um das Denkmal abzubauen. Und diese Spenden decken alle Kosten für den Abriss."

Einige Denkmäler, die als historische oder kulturelle Wahrzeichen ausgewiesen sind, könnten in Lettlands Museum der Besatzung landen. Eine Dauerausstellung des Museums zeigt Hintergründe der nationalsozialistischen und sowjetischen Fremdherrschaft. Aber die Auswahl dafür ist kompliziert.

euronews
Eine Erinnerung an die Sowjetzeit in Lettlandeuronews

Der Ukrainekrieg, der im ganzen Land sowohl pro- als auch antirussische Gefühle hervorruft, scheint die Debatte weiter zu verkomplizieren. In Aizkraukle gibt es ein Museum über den sowjetischen Lebensstil. Sogar die Toiletten stammen aus dieser Zeit. Vielleicht können Kulturräume wie dieser helfen, meint Museumsdirektorin Dzintra Cepure:

"Ich glaube, die ältere Generation macht sich mehr Gedanken um diese Denkmäler und möchte sie loswerden. Die jüngere Generation versteht die damalige Zeit nicht, wie wir gelebt haben und was hier passiert ist. Der Kontext der Denkmäler ist für sie völlig unverständlich. Deshalb könnte man sie in der Tat als Beispiele totalitärer Kunst in einem Museum sammeln, wo wir Besuchern den Kontext erklären können."

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Die Ukraine nach 1 Jahr Krieg: ausgelaugt, aber ungebrochen

Aufgefressen und abgebrannt: Borkenkäfer und Brände raffen den Wald dahin

Baltische Staaten erinnen an 75. Jahrestag der sowjetischen Massendeportationen