Ahmad al-Sharaa, ehemals Abu Mohammed al-Dscholani, hat sich im Zuge des Sturzes von Assad durch die Aufständischen in Syrien von einem Al-Qaida-Anführer zu einem Mann entwickelt, der angeblich für Pluralismus eintritt.
Ein Dschihadist und Extremist? Oder ein neues Gesicht für ein modernes und tolerantes Syrien? Abu Mohammed al-Dscholani, der militante Anführer, dessen Aufstand Präsident Bashar Assad stürzte, verfolgt seit langem eine politische und militärische Agenda.
Er hat seine politische Haltung immer wieder geändert, um Unterstützung zu gewinnen, und hat sich zuweilen Befehlen widersetzt, um Rivalen auszuschalten.
Jetzt arbeitet er hart daran, sowohl seine Beziehungen zu Syrien als auch sein öffentliches Image neu zu erfinden, nachdem er seine Verbindungen zu al-Qaida aufgegeben und sich als Verfechter von Pluralismus und Toleranz dargestellt hat.
Kürzlich ließ die Aufstandsbewegung seinen Kriegsnamen fallen und nannte ihn fortan bei seinem richtigen Namen, Ahmad al-Sharaa. Das Ausmaß seiner Wandlung vom Dschihad-Extremisten zum Möchtegern-Staatsgründer wird nun jedoch auf die Probe gestellt.
Assad ist nach Rußland geflohen und die Aufständischen die Hauptstadt Damaskus kontrollieren, bleibt ungewiss, wie Syrien regiert werden soll.
Syrien ist die Heimat zahlreicher ethnischer und religiöser Gemeinschaften, die durch Assads Regime und jahrelange Konflikte oft gespalten sind. Viele fürchten den Aufstieg sunnitischer islamistischer Extremisten. Das Land ist außerdem in verschiedene bewaffnete Gruppierungen zersplittert, in die ausländische Mächte wie Russland, Iran, die Vereinigten Staaten und Israel mit jeweils eigenen Interessen verwickelt sind.
Der 42-jährige al-Dscholani, der von den Vereinigten Staaten als Terrorist eingestuft wird, hat sich seit dem Fall von Damaskus nicht mehr öffentlich geäußert. Er und seine aufständische Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS), zu deren Kämpfern auch viele Dschihadisten gehören, könnten künftig wichtige Rollen übernehmen.
Jahrelang manövrierte al-Dscholani innerhalb der extremistischen Organisationen und schaltete Rivalen und ehemalige Verbündete aus. Er beruhigte die religiösen und ethnischen Minderheiten in Syrien und knüpfte Verbindungen zu verschiedenen Stämmen und anderen Gruppen.
Im Laufe der Zeit legte al-Dscholani seine Identität als hartgesottener islamistischer Guerillero ab und trug bei Presseinterviews Anzüge. Er sprach vom Aufbau staatlicher Institutionen und der Dezentralisierung der Macht, um die Vielfalt Syriens besser widerzuspiegeln.
"Syrien verdient ein institutionelles Regierungssystem und kein System, in dem ein einzelner Herrscher willkürliche Entscheidungen trifft", sagte er letzte Woche in einem Interview mit CNN und stellte in Aussicht, dass die HTS nach dem Sturz Assads aufgelöst werden könnte.
Wie hat er seine Verbindungen zu al-Qaida abgebrochen?
al-Dscholani Verbindungen zu al-Qaida reichen bis ins Jahr 2003 zurück, als er sich Extremisten anschloss, die im Irak gegen US-Truppen kämpften.
Der gebürtige Syrer wurde vom US-Militär festgenommen, blieb aber im Irak. Während dieser Zeit verdrängte al-Qaida gleichgesinnte Gruppen und gründete den extremistischen Islamischen Staat Irak unter der Führung von Abu Bakr al-Baghdadi.
Als 2011 ein Volksaufstand gegen den syrischen Präsidenten Assad eine brutale Niederschlagung durch die Regierung auslöste und zu einem totalen Krieg führte, schickte al-Baghdadi al-Golani nach Syrien, um einen al-Qaida-Ableger namens "Nusra-Front" zu gründen.
Die USA stuften die neue Gruppe als terroristische Organisation ein, und diese Einstufung gilt nach wie vor. Washington hat außerdem ein Kopfgeld in Höhe von 10 Millionen Dollar auf ihn ausgesetzt.
Kampf gegen ISIS in der Region
Mit der Verschärfung des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2013 nahmen auch al-Dscholanis Ambitionen zu. Er widersetzte sich den Aufforderungen al-Baghdadis, die Nusra-Front aufzulösen und sie mit den Operationen von al-Qaida im Irak zum Islamischen Staat im Irak und in Syrien (ISIS) zusammenzuschließen.
Al-Dscholani bekannte sich dennoch zu al-Qaida, die sich später von ISIS distanzierte. Die Nusra-Front kämpfte gegen ISIS und schaltete einen Großteil der Konkurrenz in der bewaffneten syrischen Opposition gegen Assad aus.
Islamisches Recht ohne Toleranz
In seinem ersten Interview im Jahr 2014 erklärte al-Dscholani, dass es sein Ziel sei, Syrien nach islamischem Recht zu regieren, und stellte klar, dass für die alawitischen, schiitischen, drusischen und christlichen Minderheiten des Landes kein Platz sei.
Im Jahr 2016 zeigte al-Dscholani sein Gesicht zum ersten Mal der Öffentlichkeit in einer Videobotschaft, in der er ankündigte, dass seine Gruppe sich in "Jabhat Fateh al-Sham" - die Syrische Eroberungsfront - umbenennen und ihre Verbindungen zu al-Qaida kappen werde.
"Diese neue Organisation hat keine Verbindung zu einer externen Organisation", sagte er in dem Video, das in militärischer Kleidung und mit einem Turban gefilmt wurde.
Später kam es zu Zusammenstößen zwischen der HTS und unabhängigen islamistischen Kämpfern, die al-Dscholani und seine Gruppe als führende Kraft im Nordwesten Syriens weiter stärkten, die mit eiserner Faust regieren kann.
Al-Golani nach al-Sharaa
Nachdem seine Macht gefestigt war, begann al-Dscholani eine Veränderung, die sich nur wenige vorstellen konnten. Er ersetzte seine Militärkleidung durch Hemd und Hose und rief zu religiöser Toleranz und Pluralismus auf.
Er wandte sich an die drusische Gemeinschaft in Idlib, die zuvor Ziel der Nusra-Front gewesen war, und besuchte die Familien von Kurden, die von türkisch unterstützten Milizen getötet worden waren.
Im Jahr 2021 führte al-Dscholani sein erstes Interview mit einem amerikanischen Journalisten auf PBS. Er trug einen Blazer und hatte sein kurzes Haar nach hinten gekämmt. Der nun eher wortkarge HTS-Führer erklärte, seine Gruppe stelle keine Bedrohung für den Westen dar und die gegen sie verhängten Sanktionen seien ungerecht.
Wen werden die Syrer also als ihren neuen Anführer haben? Abu Mohammed al-Dscholani mit seinen starken Überzeugungen für einen Islamischen Staat oder Ahmad al-Sharaa mit seinem sanften Ansatz, der die verschiedenen Fraktionen der Gesellschaft mildert und eine Demokratie mit dezentraler Verwaltung ermöglicht?