Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja befürchtet, dass ihr Land als Ausgangspunkt russische Angriffe auf die baltischen Staaten genutzt werden könnte. Das belarussische Volk allerdings werde jedoch nicht in den Krieg gegen seine Nachbarn ziehen.
"Fragen Sie Ihren Geheimdienst: Was plant Russland diesen Sommer in Belarus?", fragt er Wolodymyr Selenskyj am 2. Juni in Litauen bei einem Treffen von neun NATO-Mitgliedsländern aus Ost- und Mitteleuropa. Für den russischen Präsidenten ist klar: Ein möglicher russischer Angriff auf das Baltikum kann auch von Belarus aus passieren. So forderte er die NATO auf, "mehr Kräfte zu bündeln".
Auch die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja glaubt an dieses Szenario. Gegenüber Euronews erklärte sie, dass die groß angelegten gemeinsamen Militärübungen von Russland und Belarus, die im Herbst stattfinden sollen, tatsächlich eine Bedrohung für die Ostflanke der NATO darstellen könnten.
"Man darf nicht vergessen, dass die letzten Militärübungen in Belarus mit dem Angriff auf die Ukraine endeten", sagte sie und bezog sich dabei auf das Manöver Zapad 2021.
Belarus war bereits 2022 Sprungbrett für russische Angriffe
Im Herbst 2021, nur wenige Monate vor Moskaus Invasion in die Ukraine, hielten Moskau und Minsk in Belarus Militärübungen ab, bei denen unter anderem Angriffsoperationen in dicht besiedelten Gebieten mit russischen Militärfahrzeugen geübt wurden.
Im Februar 2022 nutzte Russland Belarus dann Ausgangspunkt für viele Angriffe auf die Ukraine. Moskau habe die belarussische Bevölkerung jedoch nicht dazu gebracht, sich an dem Angriff zu beteiligen, so Tichanowskaja im Interview mit Euronews. Belarussen würden auch in Zukunft nicht gegen die baltischen Staaten vorgehen.
"Sie könnten dazu gezwungen werden, aber das bedeutet nicht, dass sie dort kämpfen werden. Ich hoffe, dass die Menschen es vorziehen werden, zu fliehen oder die Seiten zu wechseln, aber nicht gegen Litauen oder Polen kämpfen, vor allem, wenn sie wissen, wie sehr uns diese Länder unterstützen".
Die belarussische Oppositionsführerin glaubt, dass diese Unterstützung auch für sie gilt. Seit ihrer Flucht aus Belarus im Jahr 2020 lebt sie in Litauen. Sie bekommt die Sorgen und Ängste drr Menschen dort mit, ob ihr Heimatland, Belarus, einen Angriff auf Litauen verüben könnte.
"Wagt es nicht!"
"Es ist eine ziemlich düstere Atmosphäre, mit all den Diskussionen über mögliche Angriffe auf Litauen. Denn Litauen wird das erste Land auf dem Weg in die Europäische Union sein", gibt sie zu. Außerdem gebe es auch Bedenken, ob die NATO Litauen beistehen wird.
"Es gibt Diskussionen darüber, ob die NATO kommen wird, um Litauen zu retten, ob genug Zeit bleibt", erklärt Tichanowskaja. Doch sie sei nach wie vor optimistisch, dass die NATO einspringen wird, auch wenn in jüngster Zeit Berichte auftauchten, dass die USA möglicherweise Truppen aus den baltischen Staaten abziehen könnten. "Ich glaube wirklich an das NATO-Bündnis, das mit seiner Einigkeit und seiner Macht ein klares Signal an Putin senden wird: 'Wagt es nicht!'"
Lukaschenko forciert die Militarisierung
Sie hofft, dass auch ein deutliches Signal an den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko gesendet wird, da er die Militarisierung des Landes immer weiter vorantreibe. "Die Menschen merken, wie das Regime unsere Gesellschaft militarisiert. Es gibt viele Unternehmen und Fabriken, die jetzt für das russische Militär arbeiten. Wir haben alle Beweise dafür, wie sich Unternehmen an diesem Krieg gegen die Ukraine beteiligen."
Und weiter: "Wir sehen, wie junge Menschen in Schulen und Universitäten, wo Militarisierungsthemen gelehrt werden, sehr stark in diese Militarisierung einbezogen werden".
Lukaschenkos Regime versuche auf diese Weise der Bevölkerung zu zeigen, dass es einen äußeren Feind gebe, gegen den man sich vereinigen müsse - eine Strategie, die auch von Moskau genutzt werde. "Sie wollen zeigen, dass wir äußere Feinde haben, dass jemand bei uns einmarschieren will, also versuchen sie, die Nation auf eine mögliche Gefahr in der Zukunft vorzubereiten", erklärt Tichanowskaja.
Doch im Vergleich zu Russland werde dies bei der belarussischen Bevölkerung nicht funktionieren.
Belarussisches Volk wird sich wehren
Und obwohl man durchaus wisse, dass Belarus von Russland "mit Hilfe Lukaschenkos für mögliche künftige Angriffe auf die Ukraine oder die Europäische Union" benutzt werden könnte, würden sich die Menschen gegen eine direkte Beteiligung wehren.
"Ich glaube nicht, dass die gleiche Methode beim belarussischen Volk funktionieren wird, weil die Belarussen sich nicht wirklich verstellen können, wie man gegen den Nachbarn kämpft und wie man den Nachbarn tötet", schloss Tichanowskaja.