Hier wird die Energiewende gemacht. In Deutschlands größtem Stromspeicher gilt eigentlich: Betreten verboten! Euronews war trotzdem drin. Ein Hausbesuch in der Zukunft - mit wichtigen Erkenntnissen.
Gesucht: Geheimrezept gegen Blackout! Hochspannung auch bei Dunkelflaute! Energie für die Energiewende! Garant der Netzstabilität! Wunderwaffe gegen Wahnsinnspreise! Gibt es nicht? Doch, in Bollingstedt, Ortsteil Gammellund, einem kleinen Dorf ganz im deutschen Norden, Richtung Dänemark. Hier, im schleswig-holsteinischen Windstromschlaraffenland summt seit Sommer Deutschlands größter Batteriestromspeicher.
Kritische Infrastruktur im Windstromparadies
Üblicherweise kommt hier niemand rein: Kritische Infrastruktur vom Feinsten! Videokameras behalten jede Bewegung im Blick. Doch für Euronews hat EcoStor, der Betreiber der abenteuerlichen Akku-Anlage, eine Ausnahme gemacht. Denn ein Pionier-Abenteuer ist es immer noch, die deutsche Energiewende beschleunigen zu wollen.
Ich drücke auf die Hupe des Leihwagens, Carina von Schleinitz, lässt mich durch das Tor. Wow! Weiße Schiffscontainer stehen in Reih und Glied, soweit das Auge reicht. „Das sind unsere 64 Batteriespeicher und 32 Wechselrichter“, zeigt die Projektleiterin stolz auf die futuristische Anlage.
Der Megaspeicher hat eine Kapazität von über hundert Megawatt, oder 238 Megawattstunden! Anders gesagt: Dieser Super-Speicher kann zwei Stunden lang eine ganze Großstadt mit Strom versorgen.
Neue deutsche Superspeicherwelle
Die junge, energische Projektleiterin streicht sich immer wieder Haarsträhnen aus der Stirn, doch der Nordseewind ärgert sie nicht, er ist ihr Verbündeter. Über die Windkraftanlagen in direkter Nachbarschaft drückt er Unmengen an Strom ins Netz, so viel, dass die hocheffizienten Windräder immer wieder abgeregelt werden müssen, damit das Netz nicht überlastet wird. Schade eigentlich, bleibt dadurch doch saubere Energie teilweise ungenutzt, Geld geht verloren. Doch dank der neuen deutschen Superspeicherwelle, das EcoStor-Projekt ist nur eines unter vielen, wird sich das nun ändern: „Wir können auf relativ kleiner Fläche relativ viel Energie einspeichern – und flexibel wieder zur Verfügung stellen“, freut sich Carina.
Dann wird es technisch: „Aufgrund der umrichterbasierten Technologie kann der Batteriespeicher schnell reagieren. Grundsätzlich können wir damit einen Beitrag zur Systemstabilität leisten, Überlastungen im Netz werden verringert.“ Einfach formuliert könnte man sagen, dass die Batteriespeicher wie ein Puffer wirken. Und davon braucht Deutschland eine ganze Menge, schließlich ist die Bundesrepublik Europameister – nicht nur im Basketball, sondern auch bei der Produktion von Windstrom.
Laut Bundesverband Windenergie waren bis Ende 2024 in Europa 285 Gigawatt Windenergie installiert. Die Anlagen produzieren 475 Terrawattstunden Strom! Konkret bedeutet das: Windräder liefern bereits heute rund 20 Prozent des gesamten Stromverbrauchs der EU. Und wo steht Deutschland im Vergleich mit den Nachbarn? Ganz oben auf dem Windkraftsiegertreppchen, denn in Deutschland sind über 72 Gigawatt Leistung installiert, Großbritannien (Platz 2) und Spanien (Platz 3) liegen mit jeweils “nur” 31 Gigawatt klar darunter.
Sauberer Strom aus dem Norden für Deutschlands Süden
Doch zurück zu Projektleiterin Carina in ihrem schleswig-holsteinischen Großbatteriespeicherparadies. Es gibt da nämlich gleich zwei nicht ganz kleine Probleme: „In Deutschland wird sehr viel Strom im Norden erzeugt und sehr viel Strom im Süden verbraucht. Der Strom muss ja irgendwie in den Süden kommen. Also werden die Übertragungsnetze ausgebaut. Zusammen mit dem Bau von Langzeitspeichern und Batteriespeichern kann hier Erleichterung geschaffen werden.“
Hinzu kommen, zweites Großproblem, die starken Verbrauchsschwankungen im Tagesverlauf: Alle kochen und waschen zur gleichen Zeit. Aus Stromnetzmanager-Perspektive ist das ein echtes Ärgernis. Also eigentlich sogar eine scheinbar unlösbare Gleichung: schwankender Stromverbrauch, schwankende Erzeugung von Erneuerbaren, regionale Disparitäten! Damit das alles doch noch gut zusammenpasst und die Energiewendepartie gewonnen werden kann, spielt die Branche nun ihren Joker aus: überall im Lande werden derzeit Batteriegroßspeicher nicht nur geplant sondern auch gebaut.
Batteriespeicher statt Klimakiller
Statt im Spitzenverbrauch Klimakiller wie Kohlekraftwerke oder Gaskraftwerke anzuwerfen, könnte ein dichtes Netz aus Batteriegroßspeichern zuvor eingesammelten Wind- und Sonnenstrom in die Leitungen einspeisen. Doch damit das reibungslos funktioniert, müsste jetzt endlich Tempo gemacht werden bei der Digitalisierung, meint Carina. Viele deutsche Stromnetzbetreiber hinken da noch hinterher.
Die Projektleiterin auf dem norddeutschen Akku-Feld wird auf einmal ernst: „Wir merken in unserem daily business, dass wir hier Pionierarbeit leisten. Manche Netzbetreiber sind überfordert, sie wissen nicht, wie sie mit dieser Flexibilität umgehen können, die ihnen jetzt zur Verfügung gestellt wird.“
Carinas Digitalisierungstraum: „Wir Speicherbetreiber bräuchten mehr hochfrequente Daten, damit wir auf Restriktionen und Anforderungen der Netzbetreiber reagieren können.“ Daten über Netzauslastung sollten im Sekundentakt bei den Speichermanagern ankommen, schlägt Carina vor und beklagt, dass „wir immer noch in einer sehr konventionellen Welt leben, in der der Viertelstundentakt eine große Rolle gespielt hat.“
Fossiles Denken statt flotter Digitalisierung
Das deckt sich mit den Einschätzungen und Informationen, die Euronews in mehreren Hintergrundgesprächen von Brancheninsidern erhalten hat. Telefonate nach München und Berlin ergeben: Manchen Netzbetreibern wird „fossiles Denken“ vorgeworfen.
Manchen Speicherbetreibern werde in einigen Bundesländern der Netzzugang verwehrt oder zumindest erschwert. Es gebe in Deutschland einfach zu viele Netzbetreiber, allein rund 800 Stadtwerke beispielsweise, eine Unzahl von Akteuren mit unterschiedlichsten wirtschaftlichen, politischen, regionalen und finanziellen Interessen – die jeweils ihr eigenes Strom-Süppchen nach eigener Rezeptur und von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Regeln kochten.
Aufkleber-Grüße aus China
Ich gehe mit Carina durch die langen Batterie-Gassen. An den 64 Bollingstedter Akku-Containern, vollgestopft mit abertausenden Lithium-Eisenphosphat-Zellen, kleben blauweiße Aufkleber mit chinesischer Beschriftung. Nun, das ist nichts Neues, beim Batteriebau hat sich die europäische Industrie bislang eher blamiert: Trend zu spät erkannt, Investitionsentscheidung hinausgezögert, Rückstand bei Forschung und Entwicklung gegenüber China kaum noch aufholbar, Großinvestitionen an die Wand gefahren…
Andere wesentliche Bauteile, die Trafos beispielsweise, sind made in Europe. Die Einkäufer von EcoStor haben auch in Deutschland (Wechselrichter) und Ungarn (Transformatoren) Bestellungen aufgegeben. EcoStor selber ist übrigens die Tochter eines norwegischen Konzerns.
Blitze haben hier keine Chance
Am Horizont sind unterdessen dunkle Wolken aufgezogen, eine steife Brise kommt auf und lässt frösteln. Carina von Schleinitz behält ihr sonniges Lächeln und zeigt fröhlich auf die silbernen Metallarme, die von den Containern in den Himmel greifen: „Das sind Blitzschutzstangen. Wenn ein Blitz einschlägt, geht die Ladung nicht in die elektronischen Geräte.“
Und da wir eh schon beim Thema Sicherheit angekommen sind, erklärt sie auch gleich „die kleinen blauen Häuschen“, die in regelmäßigen Abständen zwischen den Hochleistungs-Akkus aufgestellt sind. „Das sind unsere Eigentransformatoren.“
Auf meinen fragenden Blick hin erläutert sie deren Funktionsweise: „Wir müssen ja auch dafür sorgen, dass die Batteriespeicher durchgehend klimatisiert sind. Im Inneren dürfen Temperatur und Feuchtigkeit nur in einem bestimmten Bereich schwanken. Damit das auch bei einem Stromausfall garantiert ist, haben wir unterirdische Eigenversorgungsringe installiert.“ Kollabiert die externe Stromversorgung, springt sofort das eigene Sicherheitsstromnetz an und kühlt die Batterien.
Abenteuer Umwelttechnik
Aus der tintenschwarzen Wolkenwand bricht ein Regenguß. Wir flüchten in den Brotzeit-Container. In der Ecke steht ein kleiner Kühlschrank, an der Wand sind Kästen mit Wasserflaschen gestapelt. Auf dem Regalbrett reihen sich gelbe Schutzhelme. Schwere Regentropfen schlagen gegen die Scheiben, Zeit zum Erzählen. Carina kümmert sich nicht per Karriere-Zufall um Deutschlands Battierspeicher der Megaklasse. Umweltschutztechnik faszinierte sie schon als Kind. “Mein Vater war einer der ersten in unserer Straße, der Solarstrom auf dem Dach hatte”, erinnert sie sich voller Stolz, “ein richtiger Tüftler und Bastler.”
In der Abschlußklasse des Gymnasiums belegte Carina Leistungskurs Physik, schrieb als Teenager eine Facharbeit über Effizienzsteigerungsmöglichkeiten bei gekühlten Solarpaneelen. “Dieses Zusammenspiel von Umweltschutz, Technik und Wirtschaft hat mich schon immer wahnsinnig interessiert”, sagt Carina, ihre Augen leuchten. Die Begeisterung aus Jugendtagen hat sich bis in ihr heutiges Privatleben hinübergerettet. Vor vier Jahren schon stieg sie um auf E-Auto, in ihrer Freizeit installiert sie gerade eine Solaranlage auf dem Gartenhausdach.
Als Studiengang wählte Carina eine Management-Ausbildung speziell für Erneuerbare Energien und Umweltingenieurstechnik. “Damals gab es für so etwas in ganz Deutschland gerade einmal zwei Studiengänge”, erinnert sie sich. Carina etwickelte eine besondere Leidenschaft für internationale Energiemärkte, arbeitete bei einem großen Stromnetzbetreiber – und wechselte schließlich zum EcoStor-Startup, um den Aufbau des Batteriegroßspeichers in Schleswig-Holstein zu leiten.
Superspeicher im Doppelpack
Wir fahren ein Dorf weiter, nach Schuby. Auf einem Feld liegen kleine Betonklötze, neben denen Kabelhüllen aus der Erde ragen. Die Fundamente einer Zwillingsanlage, an der unter Hochdruck gebaut wird. Bald wird es Deutschlands Superspeicher im Doppelpack geben!
Carina wird sehnsüchtig von einem Trupp tätowierter Muskelmänner erwartet. Der Baustrom ist ausgefallen! Ausgerechnet! Kein Strom auf der Stromspeicherbaustelle! Die Projektleiterin muss sich jetzt kümmern. Carina klappert der Reihe nach sämtliche Sicherungskästen rings um die weitläufige Baustelle ab. Ist irgendwo Wasser eingedrungen? Ein Kurzschluss? Die Muskelmänner maulen, ohne Baustrom kommen sie nicht voran.
„Als Projektleiterin muss man nicht nur Konflikte lösen können, sondern auch gute Laune schaffen“, lacht sie, „Risiken abwägen - und schnell entscheiden“. Dann greift sie zum Telefon, hat im Handumdrehen einen Elektriker organisiert, der den Baustellenstrom wieder herbeizaubert. Die Männer des Kabeltrupps freuen sich, Carina auch – es kann weitergehen.
Schalte ins Hauptquartier
Wir legen noch eine Pause im Baucontainer ein. Zeit für eine Videoschalte ins Münchner Hauptquartier der Firma. Georg Gallmetzer ist Geschäftsführer von EcoStor und hat sich in der Branche einen Namen als Vordenker gemacht. Er ist sozusagen der Philosoph der deutschen Großbatteriespeicherindustrie. Im Interview spricht er druckreif, mit angenehm weichen Alpen-Akzent.
Im Vorfeld meiner Recherche hat er Euronews exklusiv Einblick in ein internes Kompromisspapier gewährt, mit dem er Politik, Industrie und Regulierungsbehörden an einen Tisch bringen will: „Die sieben Brücken zur Speicher-Zukunft“, lautet der Titel nicht ganz von ungefähr, denn die deutsche Stromnetzlandschaft ist durchzogen von tiefen Gräben, trennenden Abgründen und politischen Rissen. Was wohl mit ein Grund dafür ist, dass es mit Netzausbau und Genehmigungsverfahren in einigen Bundesländern besser und schneller läuft als in manch anderen.
- Euronews: Herr Gallmetzer, wozu benötigen wir überhaupt den Ausbau von Stromspeichern?
- Georg Gallmetzer: Wir brauchen den Ausbau von Stromspeichern für die zeitliche Verlagerung erneuerbarer Produktion, von Zeiten, wo wir solar produzieren, in Zeiten, wo dieser Strom nutzbar gemacht werden soll. Es ist nämlich so, dass man in vielen Zeiten schon zuviel erneuerbare Energie hat. In anderen Zeiten, wo die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, ist Energie hingegen Mangelware. Stromspeicher sind Zeitmaschinen. Sie verlagern die Energiebereitstellung von Zeiten des Überschusses in Zeiten, wo es keine andere Möglichkeit gibt, als gespeicherte Energie verfügbar zu machen. Fossile Kraftwerke nutzen genau dasselbe Prinzip, nämlich die in fossilen Energieträgern zwischengespeicherte Energie in Zeiten des Bedarfes verfügbar zu machen. Das kann man über Batteriespeicher zu großen Teilen verhindern und ersetzen.
- Euronews: Warum ging es bislang mit der Energiewende so langsam voran? Warum gibt es immer noch nicht genug Netzkapazität? Warum fehlt es immer noch an Leitungen und Speichern?
- Gallmetzer: Wir sind mitten in einer der größten Transformationen, die moderne Industriegesellschaften vor sich haben. Es geht um das Fundament unserer Wohlfahrt, nämlich die Verfügbarkeit sicherer, sauberer und preisgünstiger Energie. Wollen wir eine sichere, günstige aber nachhaltige Form der Energieversorgung, können wir nicht mit den alten Mustern weitermachen. Wir müssen die Grundzüge der Infrastruktur, die wir über die letzten Jahrhunderte (im Energiebereich) aufgebaut haben, Stück für Stück verändern.
- Euronews: Was bedeutet das konkret? Und wie lange soll das dauern?
- Gallmetzer: Die Veränderung bedeutet, an drei entscheidenden Stellen anzugreifen: den Aufbau von erneuerbaren Quellen, den Aufbau von Stromnetzen und als Drittes muss man die Energie in der Zeit transferien. Das geht ausschließlich über die Einspeicherung. Sehen sie, alle anderen Formen des Wirtschaftens und Handelns einer modernen Industrienation gehen auf diese drei Prinzipien zurück: Produktion, Transport und Zwischenlagerung zur passgenauen Markt-Verfügbarkeit. Alle anderen Handelssysteme verfügen bereits über Zwischenspeicherung in Form von Getreidespeichern, Datenspeichern, meinetwegen auch Parkplätzen für die Transportsysteme, nur der Stromsektor lange Zeit nicht, denn die Zwischenspeicherung von Strom war bisher nicht ausreichend günstig möglich. Das hat sich fundamental geändert mit der Verfügbarkeit billiger Batteriespeicher im Kielwasser der Elektromobilität. Heute haben wir zum ersten Mal billige Zwischenspeichermöglichkeiten, um dieses Strukturdefizit im Stromsektor zu beheben. Wir werden das schaffen in den nächsten 20 Jahren.
- Euronews: Sowohl von der deutschen Bundesregierung wie auch von der Europäischen Kommission höre ich immer wieder: Digitalisierung hat oberste Priorität. Warum gilt das insbesondere auch für den Stromsektor und die angestrebte Energiewende?
- Gallmetzer: In der alten Welt hat man überschaubar komplexe Prozesse gehabt, nämlich eine überschaubare Anzahl großer Kraftwerke und Einbahnstraßen, also den Stromtransport vom großen Erzeugungsknoten in die Fläche hinein. Das hat sich mit der Energiewende, dem Aufbau von erneuerbarer Energie, fundamental geändert. Es gibt Hunderttausende oder auch Millionen Erzeugungsanlagen in der Fläche, die alle abgestimmt werden müssen auf eine passgenaue Produktion und bedarfgerechte Bereitstellung von Energie. Das lässt sich mit den althergebrachten Methoden überhaupt nicht mehr beherrschen. Wir benötigen die Digitalisierung der energiewenderelevanten Prozesse.
- Euronews: Wir hatten ja neulich einen großen Blackout in Spanien und Portugal. Hätte man denn mit mehr und besseren Stromspeichern eine derartige Situation verhindern können?
- Gallmetzer: Die Ursachen des Blackouts in Spanien sind vielschichtig. Allerdings ist in der Branche, in der Analyse der Hergänge eines klar geworden: Dieses Strukturdefizit der Zwischenspeicherung von Energie ist mitursächlich für den Blackout in Spanien gewesen. Hätte es ein Energiespeicherszenario, wie wir es in Deutschland für 2045 planen, in Spanien bereits gegeben, wäre es zu diesem Blackout erst gar nicht gekommen. Ja, so ein Phänomen ist ein Symptom fehlender Speicherinfrastruktur.
- Euronews: Welchen Kapazitätszuwachs benötigt Deutschland im Bereich Speicherkapazität?
- Gallmetzer: Das ultimative Maß der Zwischenspeicherung ist die sogenannte Dunkelflaute, wo man über mehrere Tage bis hin zu Wochen strukturell über zu wenig erneuerbare Stromproduktion zur Verfügung hat. Das sind Extremsituationen, auf die eine Infrastruktur vorbereitet sein muss. Dafür braucht es einen Mix aus Speichern. Wir brauchen an dieser Stelle Kurzfristspeicher, aber auch die sogenannten Reservekapazitäten. An der Stelle muss man in Kauf nehmen, dass für ganz wenige Stunden oder Tage des Jahres Reservekraftwerke bereitstehen.
- Euronews: Das war jetzt das Extremszenario. Und im Normalbetrieb?
- Gallmetzer: Normalerweise ist es mit Kurzfristspeichern bereits getan, die die Energie über einige Stunden bereitstellen können. Wenn wir uns die Bedarfs- und Angebotsverläufe anschauen, über die verschiedenen Wetterzonen und Marktgebiete hinweg, ist es ausreichend, wenn man vier, fünf oder sechs Stunden Speicherdauer bereitstellen kann. Das geht zweimal täglich, indem man nachts überschüssige Windenergie auflädt und sie dann morgens in der Verbrauchsspitze bereitstellt. Und tagsüber, wenn die Sonne scheint, kann man erneut einspeichern und den Strom dann abends in die Bedarfsspitze wieder abzugeben. Die Speicher atmen zweimal täglich und reagieren auf Angebot und Nachfrage.
- Euronews: Nochmal meine Frage nach konkreten Zahlen: Welche Stromspeicherkapazität braucht Deutschland?
- Gallmetzer: Wir reden über eine Bedarfsspitze von ungefähr 70 bis 75 Gigawatt. Wenn man diese Bedarfsspitze über zwei, drei oder vier Stunden bereitstellen kann, ausschließlich aus Speichern, reden wir über die Dimension von etwa 200 Gigawattstunden Kapazität und ca 50 Gigawatt an Speicherleistung. Denn auch in der Dunkelflaute laufen noch weitere Kraftwerke mit, es wird weiterhin Biomasse verbrannt und zu Strom gemacht, es laufen weiter die Wasserkraftwerke, es laufen Grundkraftwerke auch in der Kraft-Wärmekopplung, auch in der Müllverbrennung. Damit ist die Energiewende zu schaffen.
- Euronews: Überall in Europa, auch in Deutschland, werden neue Gaskraftwerke geplant und gebaut. Rechnet sich das?
- Gallmetzer: Ich denke, der Ausbau von Gaskraftwerken ist bis zu einem gewissen Maß der Obolus, den wir der Versorgungssicherheit schulden. Allerdings werden diese Gaskraftwerke, wenn sie im Markt betrieben werden, sehr selten zum Einsatz kommen. Denn die Kombination aus erneuerbarer Energie-Erzeugung und Zwischenspeicherung bewirkt, dass Batteriekraftwerke die Energie günstiger bereitstellen können in Zeiten des Mangels als es Gaskraftwerke vermögen. Die Produktion aus PV, Wind und Speicher ist deutlich günstiger. Insofern sind Kraftwerke, die nicht über eine Art Festvergütung erhalten, vermutlich "stranded investments" und werden ihre Investitionskosten über ihre Erlöse am Markt nicht einspielen können.
- Euronews: Was wünschen Sie sich von der Politik, damit es beim Ausbau von Speichern schneller geht?
- Gallmetzer: Wir haben Genehmigungshürden, die abgebaut werden müssen. Wir haben auch Netzzugangshürden und betriebliche Einschränkungen in den Stromnetzen. Hier bedarf es eines Dialoges auf höchster Ebene, um die Interessen der verschiedenen stakeholder mit der Speicherbranche in Ausgleich zu bringen. Von der Politik erwarte ich, dass das Thema Speicher mit Priorität auf die Agenda kommen. Wir müssen jetzt nacheilend der Transformation einen regulatorischen Rahmen schaffen und sicherstellen, dass der Regulator den Aufbau der Speicher zumindest nicht abwürgt. Dafür brauchen wir intelligente Stromnetzentgelte. Damit Investoren auch nach 2029 in Batteriespeicher investieren können, müssen die Stromnetzentgelte ab diesem Zeitpunkt so formuliert werden, dass die Investitionsbedingungen erhalten bleiben. Aktuell ist eine Netzentgeltbefreiung in Kraft, die zu 2029 ausläuft und diese muss so reformiert werden, dass die Geschäftsmodelle erhalten bleiben.
Und so sind die Zahlen
Sieht man sich Entwicklung der Energiespeicherbranche in Deutschland einmal genauer an, unterfüttert mit konkreten Zahlen, so fällt vor allem eines auf: Kletterten die Umsatzerlöse von 2022 auf 2023 noch von knapp 12 auf etwas über 16 Milliarden Euro (ein sattes Plus von 37 Prozent!), sackten sie 2024 ab auf 12,5 Milliarden (minus 23 Prozent). Für dieses Jahr rechnet die Branche zwar erneut mit einem leichten Anstieg der Umsatzerlöse, doch ob das hohe Niveau von 2023 erreicht werden kann, ist fraglich.
Eine im Auftrag des Bundesverbandes Energiespeicher-Systeme BVES erstellte Branchenanalyse zeigt eine interessante Verschiebung. Entfielen 2023 die meisten Umsätze (über elf Milliarden Euro) noch auf Privathaushalte (Wärmepumpenboom und: wer sich Sonnensammler aufs Dach legt, installiert ja auch einen anständigen Stromspeicher gleich mit dazu, sonst ergibt das alles ja wenig Sinn), blieben davon 2024 nur 6,7 Milliarden Euro übrig (39 Prozent weniger). Investitionen in die Systeminfrastruktur (plus 14 Prozent), Industrie- und Gewerbespeicher (plus 23 Prozent), Forschung und Entwicklung (plus 11 Prozent) legten hingegen zu.
Da drängt sich die Frage auf: Wieso investieren deutsche Privathaushalte so viel weniger in Speichertechnik? Hört man sich bei den Profis in Industrie und Handel um, ist die Antwort eindeutig: Haupttreiber des sprunghaften Umsatzrückganges waren die niedrigen Verkaufszahlen bei Wärmepumpen – während die privaten Investitionen in Stromspeicher „auf hohem Niveau konsolidiert“ sind (BVES-Analyse).
15 Gigawattstunden Heimspeicher-Kapazität in Deutschland
Das angepeilte Ziel von 2 Millionen Heimspeichern für 2024 wurde mit 1,7 Millionen knapp verfehlt. Dennoch kletterte die deutsche Heimspeicher-Kapazität auf insgesamt 15 Gigawattstunden (das ist, insbesondere im Vergleich mit den europäischen Nachbarn, enorm). Die Konkurrenz ist hart, der BVES mahnt deshalb für dieses und das kommende Jahr: „Die heimische Branche muss ihre Konkurrenzfähigkeit durch Alleinstellungsmerkmale, beispielsweise bei Cybersecurity und Energieoptimierung unter Beweis stellen.“
Industrie und Gewerbe beginnen zu verstehen, dass sie mit Speichertechnik Kosten senken können. Die Umsatzsteigerungen bei Gewerbespeichern erklärt sich auch dadurch, dass immer mehr große Anbieter den deutschen Markt für sich entdecken – Konkurrenz belebt das Geschäft und reduziert die Kosten. Aber es gibt auch Hemmnisse. Der BVES nennt hier mangelhafte Investitionssicherheit, fehlendes Marktvertrauen, nach wie vor langwierige Genehmigungsprozesse und „mangelnde Anreize für Flexibilisierung“.
Bei der Systeminfrastruktur geht es klar aufwärts, insbesondere bei den Großbatteriespeichern. 2023 wurden in diesem Marktsegment 755 Millionen Euro umgesetzt, 2024 waren es 1367 Millionen Euro – und für dieses Jahr wird ein Umsatz von 1865 Millionen Euro (Schätzung) erwartet. Die Gesamtkapazität von Großbatteriespeichern in Deutschland stieg im vergangenen Jahr auf 2.2 Gigawattstunden und es gibt verstärktes „Gerangel“ um die (knappen) Netzanschlüsse.