"Wir kommen lebend nach Hause", sagte Roey Dray seinem Bruder und sollte damit Recht behalten. Die beiden haben den Angriff der Hamas auf das Nova Music Festival am 7. Oktober in Israel überlebt. Euronews hat sie getroffen.
7. Oktober 2023, rund 4.000 Menschen feiern auf dem Nova Music Festival bis in die Morgenstunden. Doch als um 6.29 Uhr die Musik plötzlich verstummt, sind nur noch Raketen zu hören.
"Immer mehr Raketen flogen über den Himmel, mehr als sonst, Dutzende", erinnert sich Roey Dray, er war mit einer großen Freundesgruppe und seinem Bruder da. Graue Rauchschwaden verdeckten das Blau des Himmels, aber Roey wähnte sich lange in Sicherheit. Immerhin waren Raketenangriffe nichts neues.
Das Ausmaß dieses Angriffs verstand Roey erst, als alles bereits ganz nah war. "Wir mussten fliehen vor Terroristen, die auf uns geschossen haben", erzählt er.
Gemeinsam mit seinem Bruder ist er über das Festivalgelände gerannt. "Wir behielten Augenkontakt und ich versicherte mich, dass er okay war." Andersherum versicherte sein Bruder sich, ob bei ihm alles okay wäre. Am Ende nahmen sie das Auto, kamen durch und nahmen noch eine dritte Festivalgängerin mit. "Für mich stand es außer Frage. Wir kommen lebend nach Hause, einen anderen Weg gibt es nicht", erzählt Roey, der aus Beer Sheva kommt.
Drei Freunde des 28-Jährigen haben es nicht geschafft. Sie wurden auf dem Festival von der Hamas getötet. "Ich hatte eine Verantwortung gegenüber den Familien meiner Freunde, denn ich musste ihnen erzählen, wie ich hierher gekommen bin, und dass ihre Söhne, mit denen ich auf dem Festival war, nicht mehr da sind." Es war eine schwere Zeit für Roey.
Ariel Borok aus Tel Aviv hat bei dem Angriff der Terrorgruppe auf das Festival seine Schwester Anita und ihren Freund Segev verloren. Nur eine Stunde nach dem Überfall auf das Festival riss der Kontakt zu seiner Schwester ab. Über Tage kam kein Lebenszeichen, die Familien suchten die Krankenhäuser in der Umgebung ab, Segevs Vater fuhr sogar zum Festivalgelände.
Für die Opfer des Angriffs "weiterlächeln"
"Irgendwann dachten wir, dass sie vielleicht nach Gaza entführt worden waren. Oder dass sie vielleicht tot waren." Für Ariel gab es nur diese zwei Möglichkeiten, er hatte große Sorge. Etwa zwei Tage später erkennt er seine Schwester auf einem Video wieder. "In diesem Video sahen wir, wie Anita und Segev in ihrem Auto erschossen worden waren", so Ariel.
"Ich wollte es erstmal einfach nicht wahrhaben", erzählt Ariel. "In den ersten Monaten war ich einfach nur mit meiner Arbeit beschäftigt. Ich habe alles getan, um nicht damit konfrontiert zu werden", so der Ingenieur.
Anita und Segev waren sehr glückliche Menschen. Jetzt wolle er für sie weiterlächeln, das halte ihn am Leben, erklärte Ariel Euronews. Der 41-Jährige hat Halt bei seiner Familie und der Nova-Community gefunden.
Ariel und Roey kennen sich. Euronews trifft sie zusammen bei der Ausstellung "October 7, 06:29 AM – The Moment Music Stood Still" im Flughafen Berlin Tempelhof. Einen Tag zuvor werden die letzten 20 lebenden Geiseln an Israel übergeben. In Tel Aviv tanzen, singen, weinen die Menschen. Videos der Wiedersehen verbreiten sich wie Lauffeuer in den Sozialen Medien. Elf dieser Geiseln waren Besucher des Nova-Musikfestivals.
"Jetzt ist der 8. Oktober"
"Es ist ein sehr glücklicher Tag. Es ist aber auch ein trauriger Tag, weil einige auch tot zurückgekommen sind", so schätzt Ariel die Nachricht ein. Doch für die israelische Gemeinschaft sei es ein wichtiges Zeichen gewesen. "Jetzt ist der 8. Oktober", erklärte Ariel, "jetzt können wir versuchen, weiterzumachen, versuchen, uns selbst zu heilen".
Auch für Roey ist die Rückkehr der Geiseln ein besonderer Tag. "Wir wissen, wie sich die Hamas meistens verhält, wir hätten nicht gedacht, dass wir diesen Tag erleben würden", berichtet er sorgenvoll. Jetzt habe er mehr Raum zum Atmen und mehr Raum, um sich auf den Weg der Heilung zu konzentrieren", sagt er.
Roey kommt immer wieder - alle zwei Monate - an den Ort des Festivals zurück, sieht sich das Gelände an und wie sich der Raum verändert hat. Von einem Festival ist kaum noch etwas zu sehen, es sei "eher eine Art Touristenattraktion geworden".
Für ihn ist der Ort jedoch derselbe geblieben. "Ich weiß, wo wir unsere Zelte aufgeschlagen hatten, ich weiß, wo die Tanzfläche war, ich weiß, wo die Toiletten waren, ich kann es immer noch vor mir sehen, wenn ich dort bin." Den Menschen vor Ort erzählt er von seinen Erlebnissen.
Und über seine Freunde wird er nicht aufhören zu sprechen, das möchte er für deren Angehörigen tun und auch für sich selbst, um die Erinnerungen lebendig zu halten.
Nova Music Festival Exhibition in Berlin erstmals in Europa
Die Ausstellung Nova Music Festival Exhibition in Berlin gedenkt den Opfern des Angriffs. Im Flughafen Tempelhof sind große Teile des Festivalgeländes, etwa die zentrale Bühne, aber auch verbliebene Gegenstände ausgestellt. Zwischen Bäumen hängen Wäscheleinen, an der Bar stehen halbvolle Getränke, auf dem Campingstuhl steckt ein Handy am Ladekabel - als wären die Festivalbesucher gerade erst gegangen.
Auf den Toilettenhäuschen sieht man, wenn man genauer hinschaut, jedoch die Einschusslöcher, die Autos, die in der Mitte eines Raumes liegen, sind ausgebrannt. Aus allen Ecken tönen Videos mit Momentaufnahmen, Zeugenberichten und Bildern.
Eine Wand mit den Fotos der Opfer erstreckt sich längs an einer Seite. Zuvor war die Ausstellung in Tel Aviv, New York, Los Angeles, Miami, Buenos Aires, Toronto und Washington, D.C. zu sehen. In Berlin ist sie noch bis 16. November 2025.