Großbritanniens Finanzministerin Rachel Reeves stellte am Mittwoch den Etat vor. Sie will höhere Steuern: neue Abgaben auf teure Immobilien, Dividenden und Ersparnisse.
Am Mittwoch trat Finanzministerin Rachel Reeves vor das Parlament. Sie stellte ein zentrales Steuer- und Haushaltsvorhaben vor, das Mehreinnahmen bringen soll. Zuvor hatte ein beispielloser Leak des unabhängigen Prognosegremiums der Regierung ihre Maßnahmen vorab offengelegt.
Größter Hebel für Mehreinnahmen: Die Regierung friert die Schwellen für die verschiedenen Einkommensteuersätze ein. Steigen die Löhne, rutschen dadurch mehr Menschen in höhere Steuerklassen.
Weitere Maßnahmen sind eine Abgabe auf besonders teure Immobilien, Änderungen bei der Kapitalertragssteuer und geringere steuerfreie Spielräume für private Renten.
Dem Leak des OBR zufolge, für das sich die Organisation entschuldigte, nimmt die Regierung im Haushaltsjahr 2029/30 rund 26 Milliarden Pfund (30 Milliarden Euro) ein.
Das OBR sprach von einem „technischen Fehler“. Die Daten gingen „heute Morgen zu früh online“. Die Behörde will dem Finanzministerium und allen zuständigen Stellen Bericht erstatten.
Tom Selby, Direktor für öffentliche Politik bei AJ Bell, kommentierte: „Eine gute Nachricht für die bedrängte Finanzministerin Rachel Reeves: Das OBR zeichnet ein weniger düsteres Bild der Lage und des sogenannten finanziellen ‚schwarzen Lochs‘, als viele befürchtet hatten. Daher blieb eine im Raum stehende, manifesto-widrige Erhöhung der Einkommensteuersätze aus.“ Er fügte hinzu: „Dennoch werden Millionen Haushalte die Schmerzen deutlich spüren.“
Wichtigste Ankündigungen und Reaktion der Märkte
Nach Berechnungen des Office for Budget Responsibility (OBR) verfügt die Regierung nun über einen finanziellen Spielraum von 21,7 Milliarden Pfund. Im März waren es 9,9 Milliarden. Bis 2029/30 will die Regierung die öffentlichen Dienste vollständig aus Steuereinnahmen finanzieren.
Das Polster soll die Finanzmärkte beruhigen. Den Reaktionen nach ist das gelungen. Hal Cook, Senior Investmentanalyst bei Hargreaves Lansdown, sagte: „Der Leak der OBR-Prognosen sorgte zunächst für etwas Volatilität“ am Anleihemarkt. Nach der Rede lag die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe jedoch unter 4,45 Prozent. Das ist „nahe dem unteren Ende der Spanne“ im Jahr 2025. Der Leitindex FTSE 100 stieg nach Reeves’ Rede um 0,6 Prozent. Das Pfund legte gegenüber dem US-Dollar um 0,2 Prozent zu.
Einkommensteuer: keine Erhöhung, aber mehr Menschen zahlen mehr
Reeves bestätigte: Die Sätze der Einkommensteuer steigen nicht. Die Freibeträge und Schwellen bleiben jedoch bis 2031 eingefroren – drei Jahre länger als geplant. Mit steigenden Löhnen rutschen dadurch mehr Beschäftigte in höhere Steuerklassen.
Sarah Coles, Leiterin Persönliche Finanzen bei Hargreaves Lansdown, nannte die Einfrierung eine „effektive Schleichsteuer“. Eine Person mit 50.000 Pfund Einkommen zahle über den Zeitraum 8.165 Pfund mehr. Der sogenannte Fiscal Drag habe bereits mehr als sechs Millionen Menschen zusätzlich in die Einkommensteuer gezogen und 3,36 Millionen in höhere oder zusätzliche Tarifstufen gedrückt. „Wir mussten dadurch in diesem Jahr 89 Milliarden Pfund mehr an Einkommensteuer abführen als 2021/22.“
Renten: Obergrenze für Gehaltsumwandlung
Die Regierung begrenzt, wie viel Beschäftigte per Gehaltsumwandlung in die Rente einzahlen können. Ab April 2029 gilt eine jährliche Obergrenze von 2.000 Pfund. Das Finanzministerium erwartet dadurch Mehreinnahmen von 4,7 Milliarden Pfund in 2029/30 und 2,6 Milliarden in 2030/31.
Helen Morrissey, Leiterin Rentenanalysen bei Hargreaves Lansdown, warnte vor „großen Auswirkungen auf die Altersvorsorge“. Eine zweiundzwanzigjährige Person mit 25.000 Pfund Einkommen könnte ihr prognostiertes Rentenvermögen von 283.000 auf 226.000 Pfund schrumpfen sehen. „In einer Zeit, in der die Angemessenheit von Renten im Fokus steht, wirken Hürden für höhere Beiträge kontraintuitiv“, sagte sie.
Sparen und Dividenden: Steuern steigen
Ab 2026 steigen die Dividendensteuern um zwei Prozentpunkte. Für Steuerzahler im Grundtarif erhöht sich der Satz von 8,75 auf 10,75 Prozent. Im höheren Tarif steigt er von 33,75 auf 35,75 Prozent.
Sarah Coles sprach von einem „Steuerangriff auf Dividenden“, der den Bemühungen widerspreche, Investitionen in britische Unternehmen zu fördern. Anleger können Bestände in ISAs abschirmen – die Regeln dafür ändern sich jedoch ebenfalls.
Ab April 2027 sinkt der Cash-ISA-Höchstbetrag auf 12.000 Pfund, der Gesamtfreibetrag bleibt bei 20.000 Pfund. Die verbleibenden 8.000 Pfund müssen in Anlagen wie Aktien fließen. Sparer ab 65 Jahren dürfen weiterhin die vollen 20.000 Pfund als Cash anlegen.
Neue Börsengänge anziehen
Die Finanzministerin kündigte an: Neu gelistete Unternehmen sind für drei Jahre von der Stamp Duty Reserve Tax befreit. Das soll Großbritannien für Börsengänge attraktiver machen.
Analysten bezweifeln jedoch eine große Wirkung. Amisha Chohan, Leiterin Aktienresearch bei Quilter Cheviot, sagte, institutionelle Anleger dächten „in Zeiträumen von fünf Jahren oder mehr“. Vorübergehende Erleichterungen seien daher wenig wirksam, es sei denn, sie werden dauerhaft.
Sie ergänzte, man müsse auch verhindern, dass bereits gelistete Unternehmen ins Ausland abwandern oder vom Markt gehen. „Eine vollständige Abschaffung der Stempelsteuer auf Aktien würde den britischen Märkten deutlich mehr Planungssicherheit geben und zusätzliche Auslandsinvestitionen anziehen.“
Steuern auf Immobilien
Die Regierung führt eine „Luxusimmobiliensteuer“ für Immobilien über zwei Millionen Pfund ein. Sie gilt ab April 2028. Eigentümer von Immobilien mit einem Wert über zwei Millionen Pfund zahlen jährlich 2.500 Pfund, ab fünf Millionen Pfund sind es 7.500 Pfund.
Mark Hughes, Spezialist für Immobilienfinanzierung bei Pure Property Finance, sagte: „Zwar zielt die Regel auf hochpreisige Objekte, doch sie birgt das Risiko von Liquiditätsproblemen für Eigentümer, die vermögend sind, aber wenig frei verfügbares Bargeld haben. Das könnte zu Verkäufen zwingen und das obere Marktsegment destabilisieren.“
Die Einkommensteuer auf Mieteinnahmen von Vermietern steigt ab 2027 pauschal um zwei Prozent. Laut Coles könnte die Maßnahme Anleger vom Immobilienmarkt abschrecken. „Für Mieter ist das ebenfalls äußerst problematisch. Sie kämpfen bereits mit explodierenden Mieten und könnten erneut höhere Monatskosten schultern müssen.“
Konjunkturausblick
Die britische Wirtschaft, die sechstgrößte der Welt, läuft nicht so, wie die Finanzministerin gehofft hatte. Viele Kritiker bemängeln die Entscheidung von Reeves, im vergangenen Jahr Unternehmen stärker zu besteuern. Zwar gab es im ersten Halbjahr Anzeichen einer Erholung. Großbritannien wuchs zeitweise am schnellsten unter den sieben führenden Industrienationen. Inzwischen hat die Dynamik aber wieder nachgelassen.
„Die Finanzministerin muss eine heikle Balance halten: fiskale Stabilität vermitteln und zugleich die Wachstumsagenda voranbringen“, sagte Peter Arnold, Chefökonom von EY UK.
Das OBR erwartet nun im Schnitt 1,5 Prozent Wachstum in den kommenden fünf Jahren. Das sind 0,3 Prozentpunkte weniger als im März prognostiziert.
Schwächeres BIP-Wachstum sowie höher erwartete Inflation, Löhne, Steuereinnahmen und Staatsausgaben verschlechtern die öffentlichen Finanzen leicht – noch bevor neue Maßnahmen greifen, so das OBR. Die Neuverschuldung liege voraussichtlich um sechs Milliarden Pfund höher. Der laufende Haushaltsüberschuss sinke bis 2029/30 auf vier Milliarden Pfund.
Der Haushalt sieht einen vorgezogenen Ausgabenanstieg um neun Milliarden Pfund und einen später wirkenden Steueranstieg um 26 Milliarden Pfund vor. Laut OBR verdoppelt die Kombination den erwarteten laufenden Überschuss bis 2029/30 auf 22 Milliarden Pfund. Die Schuldenquote bleibt jedoch rund zwei Prozentpunkte des BIP über der März-Prognose.