Ein wegweisendes Projekt bringt junge Gefängnisinsassen mit Arbeitsplätzen in Europas wachsender maritimer Industrie zusammen und bietet eine Win-Win-Lösung für 2 dringende Herausforderungen: den Arbeitskräftemangel in der blauen Wirtschaft und die Beschäftigungshindernisse für ehemalige Straftäter.
An der portugiesischen Sado-Mündung steht Austernzüchter António Correia vor einem alltäglichen Problem. Seine florierende Farm hat Schwierigkeiten, Arbeitskräfte zu finden, vor allem junge. „Leider haben die jungen Leute in unserer Branche immer weniger Bezug zur Natur und zur Arbeit im Freien“, erklärt er. „Ich persönlich finde es sehr bereichernd, aber wir sehen diese Einstellung immer weniger bei jungen Menschen.“
Diese Herausforderung gilt für den gesamten Sektor der blauen Wirtschaft in Europa, in dem 3,5 Millionen Menschen beschäftigt sind, der aber mehr Arbeitskräfte benötigt, um sein Wachstum aufrechtzuerhalten. Von der Fischzucht bis zum Küstentourismus haben viele Unternehmen der Meereswirtschaft mit anhaltendem Arbeitskräftemangel zu kämpfen.
Die von der EU finanzierte Initiative „Turning Blue“ soll Abhilfe schaffen. Sie läuft bis August 2026 in fünf Ländern: Portugal, die Niederlande, Rumänien, Zypern und Italien. Das Projekt bringt junge Gefängnisinsassen mit Jobs in der Meeresindustrie zusammen.
Stigmata überwinden
„Wir sehen 'Turning Blue' als ein Projekt, von dem alle Seiten profitieren“, sagt Rita Lourenço, die die Initiative bei der Genossenschaft für soziale Innovation Aproximar leitet. „Es ist ein Gewinn für das Justizsystem, denn Beschäftigung ist der Schlüssel, um den Teufelskreis der erneuten Straffälligkeit zu durchbrechen. Und es ist ein Gewinn für die wachsende blaue Wirtschaft, die Arbeitskräfte braucht.
In Portugals einzigem Jugendgefängnis in Leiria, in dem junge Männer zwischen 16 und 25 Jahren ihre Strafe verbüßen, ist das Projekt ein Hoffnungsschimmer. Anhand von Virtual-Reality-Erfahrungen, Präsentationen und Treffen mit Fachleuten aus der Branche erkunden die Insassen verschiedene Karrierewege im Marinesektor.
„Wenn wir rauskommen, wird es schwierig, einen Job zu finden, weil wir im Gefängnis waren. Die Leute werden uns für das verurteilen, was wir getan haben, nicht für das, was wir sind“, so ein Teilnehmer. Turning Blue will diese Stigmatisierung durch Mentoring, Schulungen und direkte Kontakte zu Arbeitgebern überwinden.
Einige Unternehmen des Sektors arbeiten mit dem Projekt zusammen und machen sich dessen Ansatz zu eigen.
„Jeder verdient eine zweite Chance“
Das innovative Fischzuchtunternehmen SEAentia in Peniche, Portugal, bereitet sich darauf vor, seine Mitarbeiterzahl in den nächsten zwei Jahren zu versechsfachen - von 6 auf 30. Es züchtet Adlerfisch mit rezirkuliertem Meerwasser in Innenbecken und plant, von einem Pilotsystem zu einer kommerziellen Anlage zu expandieren, die bis 2030 jährlich 5.000 Tonnen Fisch produzieren soll. Der Betrieb erfordert zwar einige qualifizierte technische Fachkräfte, aber der wachsende Sektor der Binnenaquakultur schafft auch Möglichkeiten für Einstiegspositionen in der Fischverarbeitung, der Verpackung und dem Verkauf - Aufgaben, die junge ehemalige Häftlinge übernehmen könnten.
Zurück an der Sado-Mündung hat António Correia bereits mehrere ehemalige Häftlinge eingestellt und ist offen für weitere Einstellungen. „Jeder hat eine zweite Chance verdient“, sagt er. „Menschen, die ihr Leben umkrempeln wollen und schwere Zeiten hinter sich haben, schätzen diese Chance vielleicht sogar mehr.“
Die blaue Wirtschaft bietet mit ihren vielfältigen Beschäftigungsmöglichkeiten ein besonderes Potenzial für die Rehabilitation. „In diesem Sektor gibt es viele Arbeitsplätze in der Fischerei, der Aquakultur und im Tourismus, für die keine hohen Qualifikationen erforderlich sind“, erklärt Lourenço. „Deshalb glauben wir, dass diese Arbeitsplätze für diese jungen Menschen geeignet sein könnten.“
Angesichts von fast 1,5 Millionen Menschen, die derzeit in europäischen Gefängnissen sitzen, könnten Initiativen wie „Turning Blue“ dazu beitragen, sowohl den Arbeitskräftemangel als auch die soziale Wiedereingliederung anzugehen. Innovationen bei der Einstellung und Ausbildung können das nachhaltige Wachstum der europäischen Meeresindustrie unterstützen und gleichzeitig Chancen für diejenigen schaffen, die sie am dringendsten benötigen - sie bieten nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch Chancen für einen echten Neuanfang.