Syrische Flüchtlinge in Jordanien

Syrische Flüchtlinge in Jordanien
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Von Euronews
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“Es sind Panzer gekommen,” berichtet ein kleines syrisches Mädchen in Jordanien. “Sie standen neben dem Haus und haben geschossen. Wir sind mit Mama geflüchtet, Papa ist später auch gekommen.”
Ein Mann aus Homs sagt: «Sie haben Banden zusammengestellt, die mit nachgemachten Krankenwagen gekommen sind. Und statt den Verletzten zu helfen, haben sie auf uns geschossen. Als die Beobachter in Homs angekommen sind, haben sie aufgehört, zu schießen, aber man konnte trotzdem nicht aus dem Haus gehen, wegen der Heckenschützen.”
Und eine Frau berichtet: «Die Schabbiha sind reingekommen und haben die Männer abgeholt. Und sie haben die Frauen und Kinder bedroht: Wenn ihr rauskommt, bringen wir Euch um.».

Solche Berichte kann man an der syrisch-jordanischen Grenzen jeden Tag hören. Nur fünf Kilometer von der Grenze entfernt, auf der syrischen Seite, liegt Dara’a, die Wiege der Revolte. Jeden Tag kommen hundert bis vierhundert Syrer illegal über die Grenze, also ohne Papiere.

In Jordanien wird nur ein kleiner Teil von ihnen von internationalen Organisationen registriert. Die übrigen gehen andere Wege, manche haben hier Familienangehörige oder Freunde, – oder sie nutzen Stammesbeziehungen, denn die haben ohnehin mit den Staatsgrenzen nichts zu tun: Jordanien und Syrien trennt die alte Demarkationslinie von 1923 zwischen dem britischen und dem französischen Mandatsgebiet im Nahen Osten.
Der jordanische Völkerrechtler Omran Mhafza sagt: «Die Informationen auf unserer Seite der Grenze sind nicht sehr genau, die Konfliktparteien nennen unterschiedliche Zahlen, die wir nur schwer überprüfen können, denn überall in Jordanien leben Syrer. Das liegt an den äußerst engen Beziehungen zwischen den beiden Völkern. Die Beziehungen auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene sind sehr stark zwischen den beiden Völkern.»

Cyber City und Beshabsheh sind zwei sogenannte Durchgangslager neben dem Grenzort Ramtha. Hier bieten regierungsunabhängige und internationale Organisationen Unterstützung an, für die ersten ein bis vier Wochen.
Eine besonders wichtige Rolle spielt dabei die jordanische Bevölkerung. Jens Hesemann vom UN-Flüchtlingshilfswerk:
«Die erste Option für diese Menschen beruht tatsächlich auf der Großzügigkeit der Jordanier. Menschen aus Syrien werden in Hausgemeinschaften aufgenommen. Das haben wir schon zu Beginn der Krise im vergangenen Jahr gesehen. Wenn dies nicht möglich ist, schaffen wir eine zweite Option: Wir suchen Gebäude wie dieses hier, wir nennen es Beshabsh, es ist ein leerstehender Komlex, und wir richten ein Aufnahme-Zentrum ein.»

Hilfsorganisationen und die jordanische Regierung wollen keine Flüchtlingslager der im Nahen Osten verbreiteten Art schaffen – aus humanitären Gründen, aber auch aus politischen. Und deshalb ist es schwer, die Zahl der Flüchtlinge zu ermessen, auch die offiziellen Angaben sind mit Vorsicht zu betrachten.

Dominique Hyde von UNICEF: «In anderen Ländern werden die Flüchtlinge in Lagern aufgenommen und bleiben dort. In Jordanien hingegen bemüht man sich um Integration, was schon mit den Irakern gut funktioniert hat. In der Türkei ist es anders, auch wegen der Sprache, aber in Jordanien gibt es Stammesbeziehungen, Familienbande, und deshalb klappt die Integration.».

Die Zahl der syrischen Flüchtlinge hat in den letzten Wochen immer schneller zugenommen. 70 bis 300 Menschen kommen jede Nacht über die Grenze. Mindestens 100.000 sind seit Beginn der Krise herübergekommen. 50.000 von ihnen gelten als hilfebedürftig, die Hälfte davon sind Kinder.

Dominique Hyde: “Wir helfen den Kinder, sobald sie hier ankommen, damit sie ein möglichst normales Leben haben. Wir haben eine Einrichtung, um ihnen zu helfen, ihre Erlebnisse zu vergessen. Sie mussten alle sehr schnell fliehen, mussten Familienangehörige und Freunde zurücklassen, und sind sie nun in fremder Umgebung. ….Wir haben ein Zentrum, in dem sie lernen, vergessen, spielen …. und so können auch die Eltern etwas zur Ruhe kommen und ihre nächsten Schritte planen.”

Vor neun Monaten kam Fatima mit ihrem Mann und ihren sechs Kindern aus Syrien hier an. Sie sagt, sie seien schon zu Beginn des Aufstands geflüchtet, um ihren Kindern Kriegserlebnisse zu ersparen.
In der Amman haben sie eine Wohnung gemietet – für nur 150 Dinar im Monat, das liegt weit unter dem Marktpreis. Eigentümerin ist eine großzügige Jordanierin, die sich zur Zeit in Saudi-Arabien aufhält. Fatima kocht nun für die Nachbarschaft und ihr Mann erledigt kleine Arbeiten, davon können sie leben. “Er macht einfach alles, kleine Reparaturen, eben alles, was ihm angeboten wird. Es gibt natürlich nicht immer etwas zu tun. Einen Tag gibt es etwas Arbeit, einen anderen Tag nicht.”

Die meisten Syrer, die über die grüne Grenze kommen, haben keinen offiziellen Status. Sie sind “Gäste”, eingeladene. Die sozialen Bindungen erleichtern den Hilfsorganisationen die Arbeit – und ermöglichen zugleich der jordanischen Regierung, die Syrer als geladene Gäste zu behandeln und das Problem weitgehend aus den Medien herauszuhalten.
Oraib Al-Rantawi, Direktor des Al Quds Center for Political Studies: “Jordanien liegt mitten zwischen den Krisengebieten des Nahen Ostens: Irak, Syrien, Palästina. Wir wollen keine neuen Flüchtlingsströme hereinholen.”
Dabei geht es vor allem um Palästinenser: Jordanien will nicht, dass weitere palästinensische Flüchtlinge ins Land kommen, nun aus Syrien. Schon jetzt sind 60 Prozent der Bevölkerung Jordaniens palästinensische Flüchtlinge.
Hinzu kommt ein weiteres Problem: Die in Syrien mächtige oppositionelle Moslembruderschaft.
Al-Rantawi: “Das ist das Ergebnis des Arabischen Frühlings: Der Aufstieg der Moslembrüder. Sie haben die volle Unterstützung der Türkei und des Emirats Qatar… Die Saudis unterstützen lieber die Salafisten. Wir sehen eine Zustrom von gewaltbereiten Dschihadisten nach Syrien. Für sie ist Syrien jetzt das Land, in dem der heiligen Kampf geführt werden muss.”
Syrien könnte ein neuer Irak werden: Das befürchtet offenbar zumindest ein Teil der syrischen Bevölkerung. Hàgim, seine Frau und ihre sechs Kinder leben nun in Ramtha, sie stammen aus Dara’a und haben ihr Heimatland vor zwei Monaten verlassen, – ein Land, das traditionell stark säkular geprägt ist, und dessen Bevölkerung aus vielen Gemeinschaft besteht. Hajim al Gild sagt: “Wir sind 23 Millionen Menschen in Syrien: 23 Millionen Sunniten, Schiiten, Alawiten, Kurden, Christen, Drusen. Baschar el Assad hat uns gegeneinander aufgehetzt. Ich bin Sunnit, Schiit, Druse, Kurde, Christ oder sonstwas, mir ist jede Religion in der Welt recht, die den Menschen achtet.”
Dieser Syrer – und mit ihm ein großer Teil der syrischen Bevölkerung – will keine Zukunft in einem islamisierten oder gar radikalisierten Staat.
Aber die Explosion in Syrien droht die Region zu verschlingen. Der Ausbruch eines großen, ausgedehnten Bürgerkriegs könnte für die ganze Region die Büchse der Pandora öffnen.

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