Sind die Olympischen Spiele zu teuer?

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Von Euronews
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Der Countdown läuft, bald beginnen die Olympischen Spiele! Ganz London freut sich! Ach was, ganz London… die ganze Welt! Und natürlich auch der Bürgermeister: “Das ist Londons Einladung an die Welt!”, jubelt Boris Johnson mit glänzenden Augen und hofft auf Gäste und Geschäfte.

Die Einladung gilt – na klar – auch für die Sportler: 10.500 Athleten aus aller Welt werden sich in 302 Disziplinen messen. Doch Boris Johnsons Einladung ist nicht kostenlos. Satte zwölf Milliarden Euro kostet der olympische Sport-Spass.

Und das alles nur für ein paar Tage Spitzensport? Craig Reedie vom Internationalen Olympischen Komitee hat damit kein Problem: “Wir haben einen der heruntergekommensten Orte unseres Landes in etwas zauberhaft Schönes verwandelt. Alle denken, der Queen Elizabeth Park sei nur für Sportanlagen. Doch 75 Prozent der Kosten wurden für Infrastruktur und das Dorf ausgegeben. Das alles ist auch in hundert Jahren noch da. Da kann man kein Preisschild dranhängen. Das ist ganz einfach nur fantastisch.”

Das ist der Olympiapark im Osten der Hauptstadt. Industrie-Brache war das hier früher. Dann, vor sieben Jahren, gewann London die Mega-Ausschreibung und auf der Industrie-Brache entstanden Olympia-Stadion, Radrennbahn, Wassersportanlage, Olympia-Dorf, Einkaufszentrum… was man eben alles so zu brauchen glaubt, heutzutage, für ein Sport-Grossereignis.

Die Anwohner hier interessiert etwas ganz anderes: sickert das viele Geld irgendwie, irgendwann auch zu ihnen durch? Zumindest etwas?
Immerhin gilt die Gegend hier als eine der ärmsten in ganz London.

Maria Coyle hat da so ihre Zweifel. Seit 42 Jahren lebt sie schon in einer staatlich geförderten Wohnanlage gleich um die Ecke, in Stratford, sozusagen im Hinterhof des Olympiaparks. Die Planer wollen hier alles abreissen und einen schicken Universitäts-Campus bauen.

“Ich will hier bleiben”, sagt Maria. “Und die meisten anderen Anwohner auch. Die ganzen Leute, die hier auf diesem Grundstück ihre Häuser errichtet haben, sollen mit Geld entschädigt werden. Doch das wird nicht reichen, um sich anderswo in Stratford was anderes zu kaufen. In London erst recht nicht. Die Anwohner sollen mit dem heutigen Ost-Londoner Marktwert für ihre Häuser entschädigt werden, doch wenn das hier alles einmal fertig ist, dann wird sich der Marktwert doch glatt verdoppeln und von den Nachbarn hier wird es sich dann wohl kein Einziger leisten können zu bleiben.”

Arbeitslosigkeit. Kriminalität. Kaum Infrastruktur… So war das Image der Gegend hier früher. Jetzt soll alles besser werden…, sagen die Olympia-Befürworter. Viele Anwohner sind bereits umgezogen. Andere, so wie Joan Shield, warten noch auf den Umzugsbescheid. Am Lauf der Welt wird auch Olympia nichts ändern, reich bleibt reich und arm bleibt arm, davon ist Joan felsenfest überzeugt: “Geld geht zu Geld. Die Leute, die mit den neuen Gebäuden Geld machen wollen, werden kräftig abkassieren. Die Abzocke ist doch schon voll durchgeplant, und das in Krisenzeiten… widerlich! Die Welt steht Kopf: das nenne ich Rückschritt, nicht Fortschritt… Früher, schon ‘ne Weile her, gab es hier im Londoner Osten Armenhäuser und so was. Und jetzt? Die Armen werden von hier weggeschubst, verdrängt, rausgeschmissen. Und das alles nur, weil die Reichen eben reich sind. So war es doch schon immer…”

In der Kneipe hat Emma Clarke das Sagen. Als der Bau in die heisse Phase ging, kam Emma mit dem Bier-Ausschenken kaum mehr nach: die Kneipe war brechend voll, tags und nachts – je nach Schicht -erholten sich hier die Bauarbeiter beim Bier. Und heute? Tote Hose! Die Zufahrtsstrasse ist gesperrt. Zufallsgäste sind deshalb Mangelware. Nun ja, nach den Olympischen Spielen soll hier und da wieder was abgebaut werden, da kommen dann wieder einige Arbeiter zum Auffrischen vorbei, auf ein Bierchen oder drei, aber Dauerkundschaft kann man das nicht nennen, darüber ist sich Emma Clarke im Klaren.

Und? Aufgeregt? Immerhin, die Olympischen Spiele stehen vor ihrer Kneipentüre: “Nein, aufgeregt bin ich eigentlich nicht wirklich. Klar, wenn du eine Eintrittskarte hast um da reinzukommen und dir das alles selber anzugucken, nun, das wär schon affenscharf. Aber ich hatte noch nicht einmal eine Gelegenheit, um mich um so ein Ticket zu kümmern. Ich weiss gar nicht, wie man da dran kommt. Aber einmal ganz ehrlich: so voll aufgeregt bin ich echt nicht. Für London ist das schon irgendwie eine gute Gelegenheit, da kommen viele Besucher. Nur, für mich persönlich bringt das alles nicht viel. Ich arbeite halt einfach auf der anderen Strassenseite, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Olympischen Spielen. Das ist auch schon alles”, bemerkt die Kneipenwirtin nüchtern.

Die Olympischen Spiele sind nicht unumstritten. Montreal beispielsweise brauchte dreissig Jahre, um die Baukosten wieder hereinzuholen. Einerseits.

Anderseits gelten die Olympischen Spiele in London als eine Art Anti-Krisen-Programm. Sie sollen für Beschäftigung sorgen, für Aufschwung und gute Laune… So sehen das jedenfalls die Olympiabefürworter.

Wie dem auch sei, London hat jetzt schon einen Rekord gebrochen: keine Stadt zuvor beherbergte Olympia gleich dreimal: 1908, 1948… und heute.

Janie Hampton hat ein Buch veröffentlicht über Olympia anno 1948: “Als London 2005 den Zuschlag erneut bekam, fragte ich mich, wie war das eigentlich damals, 1948? Wie haben die das organisiert? Schliesslich hatte Grossbritannien gerade erst den Zweiten Weltkrieg überstanden und war wirtschaftlich gesehen in einem grauenhaften Zustand. Lebensmittel und Benzin waren rationiert, sogar Kleider. Die Organisatoren damals waren Adelige, hochrangige Militärs, Mitglieder der oberen Gesellschaftsschicht, wirtschaftlich unabhängig, die waren nicht auf das Geldverdienen, auf das Profitmachen angewiesen. Die hatten eine Sekretärin und eine Schreibmaschine, mehr nicht”, erzählt Buchautorin Hampton. “Die klopften einfach bei der Regierung an und die Regierung sagte: Wir haben kein Geld. Wir können nicht helfen. Wir haben genug damit zu tun, Krankenhäuser und Sozialwohnungen zu bauen. Aber wenn Sie das durchziehen wollen, diese Olympiade, dann machen Sie das ruhig. Die Organisatoren waren clever genug, die Frage nachzuschieben, ob man denn wenigstens ein paar Sportanlagen sozusagen “ausleihen” könne. Der Besitzer des Wembley Stadions war einverstanden. Ausserdem baute er die Hunderennbahn um… für Kurz-, Mittel- und Langstreckenläufer, auf eigene Rechnung! Alle brachten ihr eigenes Essen mit, damals, denn die Lebensmittelrationen waren anno 1948 sehr knapp bemessen. Die Amerikaner flogen Fleisch, frische Früchte und nahrhaftes Brot ein. Die Franzosen schickten einen Waggon voll Steaks und einen zweiten voll Wein – Chateau Mouton Rothschild. An der Grenze gab es dann damit ein Problem, die Zöllner verlangten Einfuhrzoll. Die Franzosen antworteten ärgerlich: Wir wollen den Wein nicht verkaufen, wir wollen ihn trinken…”

John Parlett und Dorothy Manley nahmen als Sportler für das Vereinigte Königreich an den Olympischen Spielen 1948 teil. Damals kosteten die Spiele umgerechnet 22 Millionen Euro und warfen sogar einen kleinen Gewinn ab.

Der Medien-Rummel war damals geringer, meinen die beiden Alt-Sportler im Rückblick.

“Selbst das Zeitungspapier war rationiert”, erinnert sich John Parlett. “Nachrichten waren sehr knapp und kurz. Die Zeitungen bestanden aus gerade einmal acht dünnen Seiten. Es gab Wichtigeres als die Olympischen Spiele. Wir waren dabei, unser Gesundheitssystem aufzubauen. Da waren die Berlin-Blockade, die Luftbrücke, die Russen um Berlin, das Palästina-Problem… Die Zeit damals war reich an Nachrichten und über die Olympischen Spiele wurde erst kurz vor Beginn der Spiele in den Zeitungen berichtet”, so Parlett. “Die Leute begeisterten sich höchstens eine oder zwei Wochen vorher für das Sportereignis, sie besorgten sich ihre Karten kurzfristig, aber dann füllten sich die Plätze auf den Rängen doch noch.”

Die Zuschauer anno 1948 sahen die neunzehnjährige Dorothy Manley beim Hundertmeterlauf. So wie viele andere Sportler verdiente sie ihren Lebensunterhalt mit einem bescheidenen Brot-Beruf: Dorothy arbeitete als Stenotypistin, mit dem Lauftraining begann sie erst wenige Monate vor Beginn der Olympischen Spiele. Dann erlebte sie den Erfolg ihres Lebens: sie gewann die Silbermedaille! Damit hatte sie selbst in ihren geheimsten Träumen nicht gerechnet. Der Kommerzialisierung der Olympischen Spiele heutzutage steht die alte Dame ablehnend gegenüber: “Heutzutage wird mit dem Geldausgeben wirklich übertrieben”, meint Manley, “vorallem, wenn man sich die hohen Ausgaben für die Eröffnungsfeier ansieht. Wir brauchen soviel Klimbim doch eigentlich gar nicht.”

Mit der olympischen Idee habe das alles kaum noch was zu tun, glaubt Manley. “Heutzutage geht es nur noch ums gewinnen. Nur Gold zählt noch.” Dorothy Manley weiter: “Für mich war es viel wichtiger überhaupt teilnehmen zu dürfen. So hat es ja auch der Baron de Coubertin ursprünglich gesagt: DAS ist doch die Idee, die hinter den Spielen steckt: Es geht nicht ums gewinnen, es geht ums mitmachen!”

Baron de Coubertin war gewisserweise der Gründervater der modernen Olympischen Spiele. Er belebte die uralte Idee des friedlichen Wettstreits neu. Die Zeiten ändern sich, der Kommerz hat Einzug gehalten in die Welt des Sports. Werden die olympischen Ideale in dieser schönen neuen Welt Bestand haben?

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