"Unsere Töchter werden nicht verstümmelt"

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Von Euronews
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“Zwei Frauen haben mich gepackt und in ein Zimmer geschleppt. Die Frau hinter mir hielt meinen Kopf fest, ihre Knie auf meinen Schultern, damit ich mich nicht bewegen konnte. Ich kann immer die Schreie hören. Ich habe geweint und geschrien.”

Khady Koita wurde im Alter von sieben Jahren Opfer von Genitalverstümmelung.

Euronews-Journalist Seamus Kearney berichtet: “Diese Praktik ist in vielen Ländern weit verbreitet. Gesetzlich ist es zwar verboten, doch das allein reicht nicht, um dieses komplexe, globale Problem zu lösen.”

Khady Koita: “Ich bin immer noch wütend und verständnislos. In vielen Bereichen ist die Welt auf dem Vormarsch. Warum hört hier der Fortschritt auf? Warum ändern sich unsere Einstellungen nicht? Das macht mich wütend.”

Im Zentrum dieser Debatte stehen Afrika und Asien. Doch auch in der westlichen Welt gibt es tausende Fälle von weiblicher Genitalverstümmelung unter Migranten.

In Deutschland gibt es bisher kein Gesetz, das die Praktik verbietet. Genitalverstümmelung fällt unter Körperverletzung und ist oftmals verjährt, bevor sie ans Licht kommt. In vielen anderen europäischen Ländern ist die Praktik verboten, in Frankreich gibt es über hundert strafrechtliche Verfolgungen. Dort können Eltern auch bestraft werden, wenn sie ihre Tochter zur Beschneidung in ein Land schicken, wo der Eingriff noch legal ist.

In Paris haben wir eine Autorin aus dem Senegal getroffen, die sich seit Jahren gegen weibliche Genitalverstümmelung einsetzt.

Khady Koita hat in einem Buch beschrieben, was ihr damals widerfahren ist: “Ich habe die Gewalt, die meinem kindlichen Körper angetan wurde, nicht verstanden. Niemand hatte mich vorgewarnt – weder meine älteren Schwestern noch meine älteren Freundinnen. Niemand. Diese willkürliche Grausamkeit war vollkommen ungerecht. Es war mir unerklärlich. Wofür hatte man mich bestraft?”

Sie leidet bis heute unter den Ereignissen: “Die psychologischen Konsequenzen sind immens, sie dauern das ganze Leben. Manchmal macht uns das fast depressiv. In unserer Kultur gibt es Depressionen aber nicht, deshalb ist das einfach eine kurze Zeit, in der es nicht gut läuft. Ich verbinde das aber mit der Verstümmelung. Sie hat Konsequenzen auf mein Leben, auf mein Sexualleben und auf mein Leben als Frau. Meine Narben werden mir ein Leben lang bleiben.”

Für Behörden ist es schwer, das wahre Ausmaß von Genitalverstümmelung in Europa auszumachen.

In Deutschland gibt es keine ärztliche Meldepflicht für Genitalverstümmelung oder falls eine Gefahr dafür besteht. In Frankreich müssen Ärzte in solchen Fällen ihre Schweigepflicht brechen.

Bafing Kul ist Sänger und kommt aus Mali. Er war gezwungen, sein Land zu verlassen, weil er einen Song geschrieben hat, in dem er Genitalverstümmelung verurteilt. Er findet, dass mehr Männer ihre Stimme erheben müssen. Er sagt: Mit Musik kann man etwas bewirken: “Ich mag diesen Begriff nicht, aber in patriarchalischen Gesellschaften ist der Mann das Familienoberhaupt. Auch wenn ich mir wünsche, dass sich das in Mali ändert – im Moment ist die Gesellschaft dort männerdominiert. Es ist sehr wichtig, dass sich Männer dagegen einsetzen. In Mali können wir den Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung nicht gewinnen, wenn sich keine Männer engagieren. Das zählt für die ganze Welt. Es ist nicht nur ein Problem der Frauen. Auch wir Männer sind betroffen. Es ist ein Menschenrechtsproblem. Jeder ist betroffen. Deswegen müssen sich auch Männer engagieren.”

Er hat auf den Straßen von Mali Passanten befragt, was sie über weibliche Genitalverstümmelung denken. Die Antworten:

“Es ist hilfreich, um eine Frau an sich zu binden.”

“Damit aufzuhören wäre eine Katastrophe, weil Frauen dann zu viel Vergnügen hätten.”

“Es ist nicht nur wegen der Religion. Die Tradition verlangt es.”

“Frauen müssen beschnitten werden, sonst würden sie hemmungslos werden.”

“In unserem Dorf solltest du dieses Thema nicht ansprechen, falls du nicht in Gefahr geraten willst. Es ist ein sehr alter Brauch.”

“Für mich ist es eine rein religiöse Angelegenheit.”

“Meine Religion zwingt mich dazu. Wenn es Gottes Wille ist, würde ich es bei all meinen Töchtern machen.”

Schätzungen zufolge ist eine von drei Frauen in Afrika von Genitalverstümmelung betroffen. In Frankreich allein soll es rund 65.000 Fälle geben. Nichtregierungsorganisationen schätzen, dass in Deutschland 30.000 verstümmelte Frauen leben.
Kritiker sagen, dass keine Religion die Beschneidung von Frauen verlangt. Sie fordern mehr Sensibilisierungskampagnen und verschärfte Gesetze.

Anwältin Linda Weil-Curiel erklärt, dass nur eine solche Gesetzesänderung das Problem lösen könnte: “Sie können 30 Jahre lang den Familien erzählen, dass sie es nicht tun sollen. Solange sie aber nicht den langen Arm des Gesetzes fürchten, werden sie weiterhin tun, was sie wollen. Die Furcht vor dem Gefängnis, die Angst, von einem Gericht bestraft zu werden, das macht viele Familien sehr vorsichtig, es führt dazu, dass sie ihre Kinder beschützen.”

Frauenrechtlerin Isabelle Gillette-Faye sagt, dass Bildung der Ausweg sein könnte: “Sie spielt eine grundliegende Rolle. In afrikanischen Ländern können wir einen Rückgang der Fälle beobachten, sobald Lesen und Schreiben gelernt werden. Die Töchter wiederholen seltener diese Praktik, die ihre Mütter an ihnen ausgeführt haben.”

Unsere Töchter werden nicht verstümmelt, das ist die Botschaft der Aktivisten. Sie hoffen, dass sie sich verbreitet.

Es ist ein schwieriger Kampf. Nach der jüngsten historischen UNO-Abstimmung, die diese Praktik verurteilt, stehen Politiker unter Druck, mehr zu tun.

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