Menschenhandel - ein lukratives, zunehmendes Verbrechen

Euronews
Euronews Copyright Euronews
Von Euronews
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button
Den Link zum Einbetten des Videos kopierenCopy to clipboardCopied

13.000 Euro für einen Sklaven: Tausende Menschen werden in Europa für Zwangsarbeit und Prostitution versklavt. Und bringen Menschenhändlern viel Geld ein.

Tausende Menschen fallen in Europa dem Menschenhandel zum Opfer – moderner Sklaverei. Und mit dem Flüchtlingsstrom dürfte sich das Problem noch verschärfen, fürchten die Behörden. Ein lukratives Geschäft für organisierte Verbrecherbanden. Und ein aufwendiger, kleinteiliger Kampf für die Polizei.

“Sie haben uns geschlagen, sie haben uns das Telefon vorgehalten, und ich habe geweint und geschrien. Und sie haben meiner Familie gesagt, wenn Sie nicht für ihn zahlen, töten wir ihn. Wir können eine Menge mit ihm anstellen, wir können seine Niere verkaufen oder sowas … Als meine Familie nicht zahlte, haben sie mich zum Sex mit fremden Leuten gezwungen. Die Leute kamen, hatten Sex mit uns – und ich denke, sie haben dafür bezahlt.” Der Mann, der das erzählt, möchte anonym bleiben. Er war 15, als Schleuser ihn auf dem Weg vom Nahen Osten nach Großbritannien in Griechenland festhielten und zur Prostitution mit Männern zwangen. Seine Familie zahlte das Geld nicht, das die Menschenhändler verlangten. “Es war furchtbar. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll. Es war sehr, sehr schlimm. Ich dachte, ich will sterben, ich will das nicht tun. Aber ich wurde dazu gezwungen.”

Er kam letztlich doch in Großbritannien an, im Laderaum eines Lasters. Und sollte auch hier zur Prostitution gezwungen werden, wie man uns erklärte – wenn er nicht von Grenzbeamten entdeckt worden wäre.

Prostitution, Zwangsarbeit: Ein Katalog der Ausbeutung im 21. Jahrhundert

Der Mann ist kein Einzelfall: Ein Bericht der britischen Heilsarmee nennt Details zum Menschenhandel in Großbritannien im vergangenen Jahr. In einem Fall wurde eine Frau aus Vietnam hergeschleust und zur Prostitution gezwungen. Die Schleuser drohten, ihren Vater umzubringen. In einem anderen Fall kam ein Mann aus Polen und musste täglich für umgerechnet 13 Euro pro Tag arbeiten. Er wurde eingesperrt und geschlagen, wenn er zu fliehen versuchte. Ein Katalog der Ausbeutung im 21. Jahrhundert.

“Ich habe jeden Tag 15 Stunden lang gearbeitet, und wir hatten zwei Pausen, bloß um auf die Toilette zu gehen. Wir durften nicht mit den Kollegen sprechen und auch nicht mit Kunden”, erzählt eine Asiatin. Sie kam zum Studium nach Großbritannien und nahm einen Nebenjob in einem Café an. Die Chefin zwang sie, für wenig Geld sieben Tage die Woche zu arbeiten, ohne Essenspause, und bedrohte sie immer mehr: “Sie sagte mir, wenn ich etwas gegen sie unternehme, informiert sie die Einwanderungsbehörde, und ich werde nach Asien zurückgeschickt. Meine zweite Angst war, dass sie meine Eltern kontaktiert und behauptet, dass ich etwas Ungehöriges tue, den Namen meiner Familie beschmutze – ich meine so etwas wie Affären mit vielen Männern, andere schlimme Dinge, die völlig gegen die asiatische Kultur sind. Das reicht, um jemanden in den Tod zu treiben.” Erst nach zwei Jahren konnte sie sich mit Hilfe der Behörden aus der Falle befreien.

13.000 Euro für einen Sklaven

Allein in Großbritannien wurden 2015 über 3.000 Verdachtsfälle von Menschenhandel gemeldet, 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Die britischen Wohlfahrtseinrichtungen bieten den Opfern der modernen Sklaverei Unterstützung und sichere Unterkunft an. Sadia Wain, die bei der Organisation Hestia Opfer betreut, weiß, wie viele durch Schulden terrorisiert werden: “Es ist eine Leibeigenschaft durch Schulden. Sie werden hierhergebracht und ihnen wird gesagt, wir haben euer Ticket bezahlt und ihr müsst uns das zurückzahlen. Aber die Schulden scheinen nicht weniger zu werden, sondern immer mehr, und wenn sie sich weigern, zu arbeiten, ob in der Prostitution oder als Hausdiener oder in Zwangsarbeit, dann wird ihnen mit Gefahr für ihre Familien daheim gedroht. Und deshalb machen sie weiter das, was man von ihnen verlangt.”

“Ich habe heute Schnäppchen für Sie – Menschen im Angebot. Sie fragen sich, was Sie damit anfangen können? Die können Sie für vieles benutzen! Heute nur zehn Pfund, ein Zehner für diese süße Dame!” Mit Sklavenhändler-Possen versucht die britische Heilsarmee, die sich um die Opfer kümmert, in Londons Straßen auf das Problem aufmerksam zu machen.

Laut Polizei können die ECHTEN Opfer für umgerechnet bis zu 13.000 Euro verkauft werden – ein lukratives, organisiertes Verbrechen.

Bei einem landesweiten, einwöchigen Sondereinsatz gegen Menschenhändler und Ausbeutung nahm die Polizei in diesem Jahr mehr als 20 Menschen fest und entdeckte mehr als 100 potenzielle Opfer. Ein Tropfen auf den heißen Stein: Die Organisation Stop the Traffik, die weltweit gegen Menschenhandel zu Felde zieht, schätzt die Zahl der Opfer allein in Großbritannien auf bis zu 80.000.

Martin French, Chef der für den Kampf gegen Menschenhandel zuständigen Abteilung der National Crime Agency, fürchtet, dass die Flüchtlingskrise in Europa moderne Sklaverei noch anheizt: “Der große Strom von Menschen, die in Europa unterwegs sind, stellt auch ein Risiko für das Vereinigte Königreich dar. Etliche von ihnen sind entschlossen, hierher zu kommen. Die Umstände, unter denen sie anlangen, lassen sie so verzweifelt nach legaler oder jeglicher Arbeit suchen, dass sie sehr anfällige potentielle Opfer von Ausbeutung werden. Das ist ein verstecktes Verbrechen, das oft noch durch andere kulturelle Hintergründe unterstützt wird. Auf die kann die Polizei nur sehr schwer reagieren. Wir können nur reagieren, wenn wir die Dinge bemerken und Fälle bekommen, denen wir nachforschen können.”

Die Opfer des Menschenhandels in Großbritannien stammen aus aller Welt, vorrangig aus Albanien, Nigeria und Vietnam. Aber auch aus der EU: vor allem aus Ungarn, Litauen, Polen und Rumänien.

Im Februar kam der Besitzer einer Bettenfabrik in England ins Gefängnis, weil er junge Ungarn als Sklaven arbeiten ließ. Sie verdienten umgerechnet 13 Euro die Woche und waren in schmutzigen, engen Verschlägen untergebracht.

Nicht nur Erwachsene werden in Europa versklavt. Kinder sind die völlig schutzlosen Opfer. Laut Daten, die die Europäische Kommission jüngst veröffentlichte, rekrutieren Menschenhändler immer mehr Kinder. Und das in einer Zeit, in der man sich um das Schicksal tausender unbegleiteter Minderjähriger sorgt, die in der Flüchtlingskrise offenbar verschwunden sind

“Unbegleitete Kinder kommen von weither nach Großbritannien”, sagt Neil Giles von Stop the Traffik. “Wenn sie entdeckt werden, kommen sie in die Fürsorge. Und etliche verschwinden wieder. Es ist klar, dass viele von ihnen unter der Kontrolle von Menschenhändlern stehen, vielleicht, weil ihre Familien bedroht werden, oder aus anderen Gründen. Kinder und geschleuste Personen haben nach einer Weile eine Verbindung zu ihren Menschenhändlern, die schwer zu kappen ist.
Jede Reaktion auf Verbrechen in unserem Land konzentriert sich auf gemeldete Verbrechen und erkennbare Bedrohungen. Wir haben noch kein ausreichend klares Bild vom Menschenhandel in diesem Land, und deshalb muss noch mehr getan werden, um ein scharfes Bild zu bekommen.”

Die britische Regierung sagt, sie wolle sich des Problems annehmen. Neue gesetzliche Regeln unterstützen stärker die Opfer und drohen den Tätern harte Strafen an.

Doch selbst wer der Hölle entkommen ist, ist noch nach Jahren traumatisiert, wie der junge Mann aus dem Nahen Osten, heute über zwanzig: “Es hat mein Leben wirklich schlimm beeinträchtigt. Bis heute kann ich nachts nicht richtig schlafen. Ich habe Albträume. Ich muss vor dem Schlafengehen mehrmals nachschauen, ob alle Türen gut verschlossen sind. Und ich vertraue niemandem mehr.”

Infos zum Kampf der EU gegen Menschenhandel

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Menschenhandel: Indischer Airbus mit 300 Passagieren in Frankreich festgehalten

Kinderarbeit, Misshandlung, Ausbeutung - syrische Flüchtlingskinder in der Türkei

Hat Frankreich aus den Terroranschlägen von 2015 seine Lehren gezogen?