Das Coronavirus überlebt: "Die Welt sollte das Tempo herausnehmen"

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Von Valérie GauriatSabine Sans
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Menschen aus ganz Europa erzählen, wie sie die Erkrankung erlebt und was sie daraus für Lehren gezogen haben.

Überall auf der Welt tötet das Coronavirus Menschen, aber viele überleben die Lungenkrankheit auch. Einige von denen, die das Virus besiegt haben, erzählen uns in dieser Folge von Unreported Europe vom Leben während der Erkrankung und danach.

Phase eins: Vom Virus gefangen

Jess Marchbank ist 32 Jahre alt, verheiratet, sie hat zwei kleine Kinder. Die Britin ist Krankenschwester und lebt in Devon. Sie war die erste Patientin, bei der das Coronavirus bestätigt wurde, die im Bezirkskrankenhaus von Nord-Devon behandelt wurde.

Am 20. März bekam sie erstmals einen leichten Husten und wurde drei Tage später ins Krankenhaus gebracht. Dort verbrachte sie mehrere Tage. Zurück zu Hause verbrachte sie mehrere Tage in Isolation, bevor sie ihre Kinder und ihren Ehemann umarmen konnte.

"Der Schmerz war einfach unerträglich. Ich hatte das Gefühl, meine Gelenke würden brennen! Das, zusammen mit heftigen Kopfschmerzen und totaler Lethargie. Ich konnte mich im Bett nicht umdrehen, ich hatte zu starke Schmerzen", erzählt die Krankenschwester.

Matt Dockray ist 39 Jahre alt. Der Brite verbrachte mehrere Tage auf der Intensivstation, dort hatte er das Gefühl, "an die Tür des Todes geklopft" zu haben. Wieder zu Hause muss der Veranstaltungs-Manager noch jeden Tag Atemübungen machen.

"Man kommt in ein Isolierzimmer, und alle kommen in Hochsicherheitsanzügen in den Raum. Sie schließen einen an Maschinen an, analysieren die Lebenszeichen. Mir sagte man, dass mein Körper nicht genug Sauerstoff aufnehme, dass die Werte extrem niedrig seien, mein rechter Lungenflügel war kollabiert, meinem linken Lungenflügel ging es überhaupt nicht gut", erzählt Dockray.

Joshua Dopkowski ist US-Amerikaner und lebt im französischen Ecully. Er ist Dozent an der Ecole de Management de Lyon. Der alleinerziehende Vater lebt mit seiner achtjährigen Tochter Ayla zusammen. Beide waren mit Covid-19 infiziert. Joshuas Fall war ziemlich ernst, aber er wurde nicht ins Krankenhaus eingeliefert, sondern verbrachte mehr als 2 Wochen mit seiner Tochter in Isolation zu Haue. Freunde und Nachbarn halfen ihnen. Gerade erst haben sie zum ersten Mal ihre Wohnung verlassen:

"Zu wissen, dass man an etwas erkrankt ist, das potenziell tödlich sein könnte, ist ziemlich erschreckend. Für mich als Elternteil, wenn ich Ayla bei mir habe. Ich habe an sie gedacht, dass ich mich um sie kümmern muss. Und wissen Sie, das hat mir sehr geholfen", meint der Dozent.

Kike Mateu ist Spanier und lebt in Valencia. Er ist Sportjournalist und sagt, er sei der erste Journalist in Spanien, bei dem Covid-19 diagnostiziert wurde. Er war 31 Tage lang infiziert und verbrachte 24 Tage im Krankenhaus, er erzählt:

"Die Krankheit schreitet sehr langsam voran. Man weiß nicht, wann es enden wird. Das Schwierigste ist es, mental zu akzeptieren, dass man nicht weiß, wie lange man am Coronavirus krank sein wird. Ich bin seit 31 Tagen infiziert!"

Die Französin Lucie Laville ist Reanimations-Krankenschwester und arbeitet am Hôpitaux universitaires de Genève in der Schweiz. Sie arbeitet in der ersten Covid-19-Einheit, die in Genf eröffnet wurde. Sie erzählte, dass sie abgesehen von vorübergehendem Husten und Kopfschmerzen keine ernsthaften Symptome gehabt habe, aber dennoch mit Covid-19 diagnostiziert worden und gezwungen gewesen sei, zehn Tage lang zu Hause in Isolation zu bleiben. Ihr größter Wunsch war es, wieder zu arbeiten. Diese Woche hat sie ihre Arbeit wieder aufgenommen:

"Das Schwierigste für mich, war zu wissen, dass meine Intensivstation alle Hände brauchte. Und ich war asymptomatish zu Hause und nicht in der Lage, meine Arbeit zu tun. Es ist schwer für meine Kollegen, es ist schwer für uns, die Arbeitsbedingungen sind extrem außergewöhnlich, aber es ist unsere Aufgabe! In der Nacht, als wir einen Todesfall hatten: Es war ein älterer Herr, mein Patient. Wir waren bei ihm, haben seine Hand gehalten. Wir haben ihm gesagt, dass seine Familie gerne dabei gewesen wäre, dass sie es nicht kann, nicht darf. Und dann haben wir ihn zumindest die letzten fünf Minuten begleitet. Denn das ist schwierig, finde ich."

Phase 2: Vom Coronavirus geheilt!

Euronews-Reporterin Valérie Gauriat will wissen: "Wie war das, als man Ihnen sagte, dass Sie geheilt sind?"
Kike Mateu:"Wow! Das war erstaunlich, bewegend, beeindruckend! Endlich würde ich meine Familie nach fast einem Monat wieder sehen. Es war ein unglaublicher Moment, ich werde ihn nie vergessen."
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Jess Marchbank**: "Ich fühlte mich wirklich gesegnet, wirklich privilegiert, Teil der positiven Statistik zu sein. Und mein Sohn sagte: 'Oh, das ist das größte Geschenk, das ich je von Mama bekommen habe! Das ist besser als Lego!' Ja, das war wirklich ein besonderer Moment. Ich werde mich immer an diese Umarmung erinnern. Das war unglaublich."

Matt Dockray:"Der andere Teil ist das Ungewisse. Man weiß nicht, was die langfristigen Auswirkungen sind. Man weiß nicht, was kommt. Kann man wieder erkranken? Aber ich bleibe immer positiv. Und jedes Mal, wenn ich einen deprimierenden Moment habe, erinnere ich mich daran, dass ich es überlebt habe."

Phase 3: Gelernte Lektionen

Euronews-Reporterin Valérie Gauriat will wissen: "Hatte diese Erfahrung etwas Positives für Sie?"

Matt Dockray:"Alles, was man sich vorgenommen hatte. Jede Kleinigkeit, die man immer vor sich her geschoben oder nicht getan hat, oder die einem egal war, will man plötzlich machen. Man will sich ändern und für andere Menschen und die Menschen um Sie herum ein besserer Mensch werden. Nicht aus Egoismus, sondern weil man etwas bewegen will."

Kike Mateu:"Die Menschen, die im Krankenhaus arbeiten, sind wunderbar. Diese Menschen, diese Art zu arbeiten, ich werde sie immer in meinem Herzen behalten. Das ist ein wunderbarer Teil der Erfahrung, mit dem Coronavirus gelebt zu haben."

Der Italiener Guglielmo Schinina ist Leiter der Abteilung für psychische Gesundheit bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Er lebt in Brüssel. Er wurde nicht getestet, da das nicht das Verfahren in Berlgien ist. Aber die Ärzte sagten ihm, er habe Covid-19. Er musste mehrere Wochen isoliert zu Hause bleiben; er sagt:

"Ich habe auch darüber nachgedacht, was für ein Glück ich hatte. Und wie viel schwieriger es für diejenigen sein muss, die vielleicht keinen Zugang zu Gesundheitsdiensten haben, wie viele illegale Migranten, oder diejenigen, die Angst haben, nicht behandelt zu werden."

Laurence Rétaméro ist Französin. Die 57-jährige Künstlerin lebt in Südfrankreich. Bei ihr wurde Covid-19 diagnostiziert, sie verbrachte fünf Tage im Krankenhaus und lebte dann isoliert in ihrem Haus. Sie erzählt, dass die Unterstützung durch ihre Freunde, echte und über Facebook, für ihre Genesung von zentraler Bedeutung war:
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"Ich fühlte mich außergewöhnlich, getragen von meinen Lieben. Und ich hatte wirklich das Gefühl, dass sie gemeinsam eine positive Energie für mich waren."_

Ayla Dopowski, die Tochter Joshua Dopkowski, meint: "Ich finde es schön, dass die Menschen ihre Häuser verlassen haben, um beispielsweise für uns Einkaufen zu gehen! Sie schenken uns ihre Zeit, und sie gehen das Risiko ein, sich mit dem Virus anzustecken! Wenn sie uns bitten würden, das Gleiche für sie zu tun, würden wir das tun, weil sie es für uns getan haben! »

Die Syrerin Ranim Aldaghestani ist Journalistin und lebt mit ihrer Mutter und zwei Kindern in Frankreich. Ihr Hauptanliegen ist es, ihre Familie nicht anzustecken, sie sagt:

"Unser Planet kann aufatmen nach den verschiedenen Einschränkungsmaßnahmen auf der ganzen Welt. Nach der Schließung vieler Fabriken, Flughäfen. All dies hat den Ausstoß von Treibhausgasen, die die Luft verschmutzen, drastisch reduziert. Das alles lehrt uns, dass wir unsere Welt bewahren müssen."

Phase 4: Botschaften an die Welt

Euronews-Reporterin Valérie Gauriat will wissen: "Haben Sie eine Botschaft an die Welt?

Lucie Laville:"Bleiben Sie um Gottes willen zu Hause! Das ist das Einzige, was jeder Einzelne von uns tun kann, um das Virus zu stoppen! Denn ich will nicht fragen: 'Soll ich lieber Ihre Mutter oder Ihren Vater intubieren?' Denn ich habe nur einen Schlauch. Ich habe zwei Patienten, und ich habe einen Schlauch. Ich habe ein Beatmungsgerät. 'Wer wird es sein? Wen wählen wir aus? Ihren Papa? Ihre Mama, wen ziehen Sie vor?' Das wäre schrecklich."

Christos Kellas ist Grieche. Er ist Mitglied des Parlaments (Neue Demokratie). Er gehörte zu den ersten bekannten Fällen von Covid-19 in Griechenland. Er stammt aus der Region Larissa und wurde an der Universitätsklinik der Region hospitalisiert. Er ist selbst Anästhesist. Ihm wurden Azatiopin und Chloroquin sowie Antibiotika verabreicht:

"Diese Botschaft kommt von einer Person, die gegen das Coronavirus gekämpft und gewonnen hat, und zwar nach einem sehr schwierigen Kampf. Wir müssen zu Hause bleiben! Vielleicht will sich jemand nicht selbst schützen, vielleicht will jemand sich selbst schaden, aber er hat kein Recht, der öffentlichen Gesundheit, der Gesellschaft zu schaden."

Jess Marchbank:Schätzen Sie diese Momente. Umarmen Sie Ihre Kinder, rufen Sie Ihre Großeltern an. Machen Sie den Menschen einfach klar, dass Sie sie lieben. Dass man da ist, dass man sie vermisst, dass man sich um sie kümmert."

Henri Lapierre ist Franzose. Er ist 82 Jahre alt. Er ist ein Unternehmer im Ruhestand. Er verbrachte eine Woche im Krankenhaus von Marseille in völliger Isolation. Er wurde mit einer Chloroquin-Behandlung geheilt. Er sagt, dass auch eine positive Einstellung und ein gesundes Leben ihm sehr geholfen haben, sich zu erholen:

"Und vor allem gibt es eine Botschaft der Hoffnung. Wir schaffen es, das gut zu überstehen. Wichtig ist vor allem, nicht fatalistisch zu sein und zu sagen, dass alles vorbei ist, denn das ist es nicht. Ich denke, wir müssen bei guter Laune bleiben. Denn das hilft uns auch, zu einem normalen Leben zurückzukehren."

Laurence Rétaméro:"Seine Energie, seine Immunität mit einer möglichst positiven Einstellung zu stärken, scheint mir sehr wichtig zu sein. Ich danke Ihnen für diesen positiven Bericht, den ich für wichtig halte. Es ist entscheidend, sich vor Augen zu halten: Wir schaffen das!"

Guglielmo Schinina:"Man darf nicht nur an sich selbst denken, nicht nur an unsere eigenen Länder, sondern an die Welt als Ganzes. Andernfalls werden solche Dinge weiterhin geschehen. An diesen Dingen müssen wir gemeinsam arbeiten."

Joshua Dopkowski:"Die ganze Welt sollte das Tempo herausnehmen. Wir können immer noch kommunizieren. Dank der digitalen Technologie haben wir die Möglichkeit, weltweit zu kommunizieren. Wir müssen uns nicht immer so schnell bewegen, so viel reisen und so viel konsumieren." Seine Tochter ist einer Meinung mit ihm.

Journalist • Valérie Gauriat

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