Bekommt bald auch Tschechien Corona-Impfstoffe aus China und Russland?

Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis während einer Pressekonferenz nach Gesprächen mit seiner serbischen Amtskollegin Ana Brnabic in Belgrad,
Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis während einer Pressekonferenz nach Gesprächen mit seiner serbischen Amtskollegin Ana Brnabic in Belgrad, Copyright Darko Vojinovic/Copyright 2021 The Associated Press. All rights reserved.
Von David Hutt
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Tschechien wird möglicherweise das nächste Land der EU sein, das Lieferungen von Corona-Impfstoff aus Russland und China annimmt.

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Tschechien wird möglicherweise das nächste Land der Europäischen Union sein, das mit der zentralisierten Impfstoffverteilung der EU bricht und Lieferungen von COVID-19-Impfungen aus Russland und China annimmt.

Der tschechische Präsident Milos Zeman, der sich seit langem für eine pro-russische und pro-chinesische Außenpolitik einsetzt, erklärte, er habe den russischen Präsidenten Wladimir Putin schriftlich um eine Charge des russischen Impfstoffs Sputnik V gebeten.

Er geht davon aus, dass die Impfstoffe "innerhalb weniger Tage" zur Lieferung an die Tschechische Republik bereit stehen könnten.

Am Mittwoch bestätigte Jiri Ovcacek, ein Sprecher Zemans, gegenüber den Medien, dass der Präsident auch an seinen chinesischen Amtskollegen Xi Jinping geschrieben habe, um die Lieferung von Sinopharm-Impfstoffen zu erbitten, und zwar auf Wunsch von Ministerpräsident Andrej Babis.

Am gleichen Tag schrieb Ovcacek in einer Erklärung, dass "nach einem Bericht der tschechischen Botschaft in Peking die chinesische Seite beschlossen hat, dieser Bitte sofort nachzukommen".

Wie schlimm ist Corona in der Tschechischen Republik?

Die Tschechische Republik hat derzeit eine der weltweit höchsten Zahlen täglicher Neuinfektionen, allein am 3. März wurden mehr als 12.000 neue Fälle gemeldet, Tendenz steigend. Krankenhäuser in den Großstädten sind inzwischen an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt, und mehrere Regionen des Landes sind wegen lokaler Ausbrüche isoliert worden.

Seit dem 1. März gilt im Land ein stikter Lockdown, ähnlich wie ein Jahr zuvor, zu Beginn der Pandemie. Die Regierung hat das Militär beauftragt, die Einhaltung der Maßnahmen durchzusetzen.

Babis, der für seine euroskeptischen Positionen bekannt ist, hat Brüssel häufig für seine mangelnde Unterstützung während der Pandemie angegriffen, vor allem wegen der Impfstoffverteilungskampagne, die in der gesamten EU heftig kritisiert wurde.

Bis zum 2. März hatten in Tschechien gerade mal 702.000 Menschen mindestens eine Impfdosis erhalten - das entspricht 4,3 Prozent der Bevölkerung, verglichen mit etwa 6 Prozent in der benachbarten Slowakei und 5,2 Prozent in Deutschland (Daten: Our World in Data)

Wird Prag Sputnik V verwenden, bevor europäische Behörden den Impfstoff genehmigen?

Auf Anfrage von Euronews an das tschechische Gesundheitsministerium, ob die russischen und chinesischen Impfstoffe in dem Land legal verabreicht werden könnten, konnte es keine Aussage geben. 

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA), hat bisher weder Russlands Sputnik V noch Chinas Sinopharm-Impfstoffe eine Zulassung erteilt. Ein entsprechender Antrag stehe noch aus. Er am Donnerstag war bekannt geworden, dass die Behörde ein "beschleunigtes Prüfverfahren" für den Impfstoff aus Russland einleite.

Es wird erwartet, dass sowohl Zeman als auch Babis letzte Woche übereingekommen sind, dass alle Impfstoffe, die im Land verabreicht werden, zuerst von der EMA genehmigt werden müssen. Anfang Februar hatte Babis erklärt, dass seine Regierung die Sputnik V-Impfstoffe zwar kaufen, dann aber auf die Genehmigung der EU-Behörde warten würde, bevor sie tatsächlich eingesetzt würden.

Wenig später deutete Babis jedoch an, dass die Zulassung durch die tschechische Arzneimittelbehörde, das Staatliche Institut für Arzneimittelkontrolle (SUKL), ausreichen würde, um das Vakzin zu verimpfen.

Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums hingegen erklärte gegenüber Medienvertretern am Mittwoch, dass es keine Ausnahmen für Impfstoffe gewähren würde, die nicht von der EMA genehmigt wurden. Die entstehenden Kosten könnten andernfalls nicht von den Versicherungen übernommen werden.

Diese Aussage könnte nun zu neuem Zwist zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Gesundheitsministerium führen, die seit Pandemie-Beginn schon mehrmals aneinander geraten sind.  

Erst im Januar hat Ungarn die EMA umgangen, als seine eigenen Aufsichtsbehörden den Impfstoff Sputnik V genehmigten und erwartet nun, bis Juni drei Millionen Dosen zu erhalten. Auch der chinesische Impfstoff von Sinopharm wurde zugelassen. Österreich hat sich am Freitag ebenfalls an Moskau gewandt, um seine Impfstoffe zu beschaffen, während die Slowakei am Montag die erste Tranche der möglichen zwei Millionen Dosen aus Russland erhielt.

China und Russland: Pulverfass in der Tschechischen Republik

In der Tschechischen Republik, wo das öffentliche Vertrauen über den Umgang der Regierung mit der Pandemie gering ist und wo fast die Hälfte der Befragten in einer Umfrage im vergangenen Monat angab, dass sie nicht zu Hause bleiben würde, selbst wenn sie COVID-19-Symptome hätte, könnte der Einsatz von nicht in der EU zugelassenen Impfstoffen das Misstrauen in die Behörden weiter verstärken.

"Ein großer Teil der tschechischen Öffentlichkeit ist besorgt über die intransparenten Bemühungen von Präsident Zeman und Ministerpräsident Babis, russische und chinesische COVID-Impfstoffe ohne Genehmigung der EMA zu importieren und einzusetzen", twitterte Pavel Telicka, ein tschechischer Politiker und früherer EU-Kommissar und Vizepräsident des Europäischen Parlaments, am Mittwochabend.

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Die Regierung und Präsident Zeman betonen, dass der Bezug von Impfstoffen aus Russland und China nicht politisch motiviert sei. "Impfstoffe haben keine Ideologie", erklärte Zeman auf einer Pressekonferenz am vergangenen Wochenende.

Aber jeder Deal mit dem autoritären China und Russland ist ein Pulverfass in der tschechischen Politik. Viele Liberale sehen im Widerstand gegen das autoritäre Regime eine Möglichkeit, das Erbe der früheren antikommunistischen Staatschefs des Landes, darunter die politische Ikone Vaclav Havel, aufzuwerten. Ab den 2000er Jahren sah vor allem die politische Rechte in besseren Beziehungen zu China und Russland eine Chance, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und sich der US- und EU-freundlichen Außenpolitik des Establishments entgegenzustellen.

Seit 2018 hat der Bürgermeister von Prag, Zdenek Hrib, Mitglied einer liberalen Oppositionspartei, häufig eine Anti-China-Politik verfolgt, einschließlich der Beendigung der Städtepartnerschaft der Hauptstadt mit Peking und deren Ersetzung durch ein Abkommen mit Taipeh, der Hauptstadt Taiwans.

Die Spannungen verschärften sich im September letzten Jahres weiter, als der Präsident des tschechischen Senats, Milos Vystrcil, Taiwan einen einen offiziellen Besuch abstattete. In einer Rede in Berlin erklärte Chinas Außenminister Wang Yi, dass die Tschechische Republik einen "hohen Preis" für den Besuch zahlen würde.

Eine Umfrage des Pew Research Center 2017 ergab, dass die Tschechen die zweitschlechteste Meinung über China unter den Europäern haben, nur übertroffen von den Schweden. Eine neuere Umfrage, die vom Projekt Sinophone Borderlands der Palacky Universität Olomouc organisiert wurde, ergab, dass die Tschechen, was die Beziehungen zu China angeht, am stärksten polarisiert sind. In der gleichen Umfrage wurde jedoch auch festgestellt, dass die Mehrheit der Tschechen der Meinung ist, dass China mehr getan hat, um dem Land während der Pandemie zu helfen, als die EU - einer der wenigen europäischen Staaten, die diese Diskrepanz aufweisen.

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Weitere Spaltung im Land über Beziehung zu China

Mit der wahrscheinlichen Ankunft von Impfstoffen aus China "werden der Präsident und die Politiker, die in gute Beziehungen zu China investiert haben, sie als Beispiel dafür hervorheben, wie nützlich es immer war, gute Kontakte dorthin zu haben", meint Richard Q. Turcsanyi, Programmdirektor am Mitteleuropäischen Institut für Asienstudien an der Palacky Universität Olomouc.

Auf der anderen Seite, fügte er hinzu, wird die Opposition diesen Schritt sehr kritisch beäugen, zusammen mit dem Großteil der Medien und der Zivilgesellschaft.

"Am Ende wird es die Spaltungen in der tschechischen Gesellschaft in Bezug auf China weiter vertiefen - die bereits die größten in Europa sind", fügte Turcsanyi hinzu.

Ivana Karaskova, eine China-Forschungsstipendiatin und Projektkoordinatorin bei der Association for International Affairs (AMO), einem in Prag ansässigen Think Tank, ist der Ansicht, dass die Impfdiplomatie eine "große Chance" für Peking sei, sein Image in Mittel- und Osteuropa zu verbessern.

Die Tatsache, dass China trotz der öffentlichen Debatte der letzten zwölf Monate Impfstoffe an die Tschechische Republik liefern wird, ist ein Zeichen dafür, wie sehr sich China darüber im Klaren ist, dass es in der Region an Boden verliert, fügte sie hinzu.

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Trotz des Risikos, dass chinesische und russische Impfstoffe die politischen Spannungen anheizen könnten, könnte es sich für Babis und seine ANO-Partei, die als Teil einer Minderheitsregierung mit den Sozialdemokraten (CSSD) regiert, lohnen, das Risiko einzugehen, so Analysten.

"Es ist ein Wahljahr und Babis ist verzweifelt", erklärt Karaskova im Hinblick auf die anstehenden Wahlen im Oktober. Die ANO hatte zuletzt stark an Popularität eingebüßt.

Das Zentrum für Analyse und empirische Studien (SANEP), ein lokales Meinungsforschungsinstitut, hat ermittelt, dass die Zustimmung zur Politik der Partei von 27,1 Prozent im Januar auf 26,8 Prozent im Februar gesunken ist. Damit könnte sie dennoch die Parlamentswahlen im Oktober gewinnen. Allerdings ist fraglich, ob sie einen geeigneten Koalitionspartner zur Bildung einer Minderheitsregierung finden wird, denn auch die Sozialdemokraten verlieren in den Umfragen an Popularität.

Da der informelle Wahlkampf bereits angelaufen ist, wird die Ankunft chinesischer und russischer Impfstoffe zu einem weiteren wichtigen Thema werden.

Der größte Herausforderer der ANO ist im Moment eine neue Allianz zwischen der libertären Piratenpartei und der liberalen Gruppe von Bürgermeistern und Unabhängigen (STAN). Beide gewinnen in der Wählergunst. Die Piraten, zu denen auch der Prager Bürgermeister Hrib gehört, vertreten die strengsten Positionen gegen Peking. Die Mitte-Rechts-Partei der Bürgerlichen Demokraten (ODS) setzt sich ebenfalls gegen engere Beziehungen zu China und Russland ein.

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