In Magdeburg ist ein 50-jähriger Psychiater mit einem Auto in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt gerast. Ein neunjähriges Kind und vier Erwachsene verloren ihr Leben, rund 200 weitere wurden verletzt. Nun wird das Motiv des mutmaßlichen Täters klarer.
Am Freitagabend ist ein Auto in die Menschenmenge auf einem Magdeburger Weihnachtsmarkt gerast. Dabei kamen mindestens fünf Menschen ums Leben, darunter vier Frauen im Alter von 45, 52, 67 und 75 Jahren sowie ein neunjähriger Junge. Rund 200 Menschen wurden verletzt, 41 davon schwer.
Um 19.04 Uhr am Samstagabend, genau 24 Stunden nach der Amokfahrt, läuteten in der ganzen Stadt die Kirchenglocken, um den Opfern zu gedenken.
"Die Trauer ist unbeschreiblich", sagte Regina Stieler Hinz, stellvertretende Bürgermeisterin von Magdeburg. "Ich spüre eine tiefe Betroffenheit durch die gesamte Stadtgesellschaft, bei den Mitarbeitenden, bei den Rettungskräften, bei der Polizei, überall." Laut eigenen Angaben war sie zehn Minuten nach der Amokfahrt vor Ort und hat miterlebt "wie schrecklich diese Tat ist". Man habe das Gefühl, dass man einen Film sehen würde, dennoch sei es aber die Wahrheit.
"Gerade in diesen Tagen, in denen die Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit und einer heilen Welt besonders groß ist, ist eine solche Tat umso erschreckender und abgründiger", sagte der katholische Bischof von Magdeburg, Gerhard Feige. Man sei sprachlos und fühle sich hilflos, aber viele Freiwilliger und Notfallseelsorger seien vor Ort gewesen, so Feige. Dafür sei er sehr dankbar.
Am Samstagabend nahem Bundeskanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ebenfalls am Gottesdienst im Dom teil.
Islamkritik und rechtsextreme Verschwörungstheorien
Der mutmaßliche Täter wurde von der Polizei vor Ort festgenommen. Der 50-jährige Psychiater und Psychotherapeut aus Saudi-Arabien ist 2006 im Laufe seiner Ausbildung nach Deutschland gekommen. Unterdessen befindet er sich in Untersuchungshaft.
Über sein Motiv ist bisher nur wenig bekannt. Der Leiter der Magdeburger Staatsanwaltschaft, Horst-Walter Nopens, hat allerdings am Samstagnachmittag erklärt, dass "Unzufriedenheit mit dem Umgang mit saudiarabischen Flüchtlingen" der Auslöser der Tat gewesen sein könnte.
Taleb A. lebte und arbeitete als Psychiater und Psychotherapeut in Bernburg, etwa 50 Kilometer von Magdeburg entfernt. Zehn Jahre nach seiner Ankunft in Deutschland beantragte er politisches Asyl mit der Begründung, dass er in seinem Heimatland wegen seiner öffentlichen Islamkritik getötet werden könnte.
Der 50-jährige Facharzt war in den sozialen Medien sehr aktiv. Dort beschrieb er sich selbst als ehemaliger Muslim und verbreitete Verschwörungstheorien und Beiträge der AfD, die schlussfolgern lassen, dass er offenbar die Islamisierung von Deutschland befürchtete. Unter anderem warf er den deutschen Behörden vor, nicht genug zu tun, um die "Islamisierung Europas" zu bekämpfen.
Darüber hinaus gründete er das Forum "We are Saudis", um den Asylsuchenden zu helfen, aus Saudi-Arabien zu fliehen. Dabei riet er davon ab, in Deutschland Asyl zu beantragen, und behauptete, selbst von deutschen Behörden verfolgt zu werden
Die AfD hat betont, dass Taleb A. nie Mitglied der Partei war. Ein Mitgliedsantrag habe ebenfalls nie vorgelegen.
Behörden wussten seit Jahren von Taleb A.
2013 wurde Taleb A. vom Landgericht Rostock wegen "Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Gewalt" zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt.
Außerdem hatte Saudi-Arabien mehreren übereinstimmenden Medienberichten zufolge Deutschland bereits drei Mal wegen den extremen Ansichten von Taleb A. gewarnt. Der genaue Inhalt dieser Warnungen ist derzeit jedoch nicht bekannt.
Vor einem Jahr plante die deutsche Polizei, Taleb A. eine "Gefährderansprache" zu erteilen. Dabei handelt es sich um eine Warnung für Personen, die als potenzielle Bedrohung angesehen werden. Ihnen wird mitgeteilt, dass sie überwacht werden, um sie von kriminellen Handlungen abzuschrecken.
Diese Maßnahme wurde jedoch nicht durchgeführt. Die Gründe dafür sind noch nicht bekannt, so Tom-Oliver Langhans, Leiter der Magdeburger Polizei, auf einer Pressekonferenz nach dem Anschlag.
Mehrere Weihnachtsmärkte bleiben geschlossen
Mehrere deutsche Gemeinden haben inzwischen ihre Weihnachtsmärkte vorsorglich und der Solidarität mit den Opfern des Anschlags geschlossen. In Berlin blieben viele Märkte geöffnet, aber die Polizeipräsenz wurde erhöht.
Während viele Menschen mit Kerzen zum Ort des Anschlags gingen und um die Opfer trauerten, versammelten sich mehrere hundert rechtsextreme Demonstranten auf einem zentralen Platz in Magdeburg mit einem Plakat mit der Aufschrift "Remigration".
Deutschland hat in den vergangenen Jahren mehrere Anschlägen erlebt, darunter einen Messerangriff, bei dem im August auf einem Festival in Solingen drei Menschen getötet und acht verletzt wurden.
Vor acht Jahren fuhr ein islamischer Extremist mit einem Lastwagen in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche. 13 Menschen kamen ums Leben, viele weitere wurden verletzt.
Der Angreifer wurde vier Tage später in Norditalien von Polizisten in Notwehr erschossen.