Im Jahr 2024 waren Milliarden Menschen weltweit an die Wahlurnen gerufen – von den USA über die EU bis nach Moldau und Pakistan. Doch generative KI, Desinformation und ausländische Einmischung stellten die Integrität vieler Wahlen auf die Probe.
Laut Angaben der Vereinten Nationen waren im Jahr 2024 weltweit schätzungsweise 3,7 Milliarden Menschen in mehr als 70 Ländern wahlberechtigt. Das Jahr wurde daher als "Super-Wahljahr" bezeichnet.
In bevölkerungsreichen Staaten wie den USA, Indien und Indonesien, aber auch in autoritären und autokratischen Ländern wie Belarus, Iran und Russland, fanden Wahlen statt, bei denen oft viel auf dem Spiel stand.
Allein bei den Europawahlen im Juni gaben rund 182 Millionen Menschen in den 27 EU-Mitgliedsländern ihre Stimme ab – eine der größten grenzüberschreitenden Abstimmungen der Welt.
Doch viele dieser Wahlen verdeutlichten die wachsenden Herausforderungen durch Fehlinformationen, generative KI und ausländische Einmischung, die zunehmend die Integrität von Wahlprozessen gefährden.
Das Technologieunternehmen Meta, zu dem Instagram, Facebook und WhatsApp gehören, erklärte Anfang Dezember, dass trotz Warnungen vor den Risiken generativer KI "diese Risiken offenbar nicht in signifikanter Weise eingetreten sind". Eventuelle Auswirkungen seien "moderat und von begrenztem Umfang" geblieben.
Eine Studie des britischen Centre for Emerging Technology and Security kam ebenfalls zu dem Schluss, dass weder die Wahlen in Europa, Frankreich und Großbritannien noch die US-Präsidentschaftswahlen im November maßgeblich durch KI-gestützte oder aus dem Ausland gesteuerte Desinformationskampagnen beeinflusst wurden. Es gebe keine "schlüssigen Beweise", dass solche Einmischungen Wahlergebnisse wesentlich verändert hätten.
Diese Einschätzung wurde jedoch im Dezember infrage gestellt, als das rumänische Verfassungsgericht die Ergebnisse der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen für ungültig erklärte und die Stichwahl annullierte. Grundlage der Entscheidung waren Geheimdienstberichte, die belegten, dass ein "staatlicher Akteur" die Social-Media-Kampagne des Wahlsiegers Calin Georgescu gesteuert hatte.
Euronews wirft einen Blick auf fünf zentrale Ereignisse, die zeigen, wie Desinformation, KI und ausländische Einflussnahme das Wahlgeschehen weltweit beeinflusst haben:
1. Inhaftierter Ex-Premierminister setzt KI ein, um Wähler zu mobilisieren
Im Februar sorgte der ehemalige pakistanische Premierminister Imran Khan, der zu diesem Zeitpunkt inhaftiert war, für Aufsehen. Mithilfe von KI ließ er seine Stimme klonen, um eine Wahlkampfrede zu halten und sogar den Sieg seiner Partei bei den Parlamentswahlen zu verkünden.
Khan, der wegen Korruption und der Weitergabe von Staatsgeheimnissen im Gefängnis saß, nutzte KI-generierte Reden, um seine Anhänger trotz seiner Abwesenheit zu mobilisieren. Besonders kontrovers war ein Video, das historische Aufnahmen mit einer KI-generierten Stimme kombinierte, in dem Khan den Wahlsieg erklärte.
Unabhängige Kandidaten, die Khans Partei nahe standen, errangen zwar die meisten Sitze, konnten jedoch keine Regierung bilden.
2. Europawahlen: Desinformation ohne durchschlagende Wirkung
Die Europawahlen im Juni standen unter dem Eindruck einer beispiellosen Welle von Desinformation. Laut der Europäischen Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO) erreichten Desinformationskampagnen zur EU kurz vor der Wahl ihren Höhepunkt.
Kreml-freundliche Hacker übernahmen die Verantwortung für eine Reihe von Angriffen auf die Websites niederländischer politischer Parteien während des ersten Tages der Abstimmung.
So wurde behauptet, Stimmen würden ungültig, wenn Markierungen über die vorgesehenen Kästchen hinausgingen.
Dennoch kam die EDMO zu dem Ergebnis, dass die Wahl in den 27 EU-Mitgliedsländern "ohne größere Störungen durch Desinformation" ablief.
3. Moldawiens knappes Referendum durch Einmischung beeinträchtigt
Im Oktober stimmten die Moldauer über den Beitritt ihres Landes zur EU ab. Das Referendum verlief äußerst knapp: Eine letzte Auszählung ergab eine Zustimmung von 50,35 %.
Im Vorfeld der beiden Abstimmungen geriet die Republik Moldau in das Kreuzfeuer eines Informationskriegs, in dem die EU-Mitgliedschaft gegen eine Annäherung an Russland ausgespielt wurde.
Die moldauischen Behörden warnten davor, dass etwa 14 Millionen Euro an russischen Geldern direkt auf die Konten von 130.000 Moldauern geflossen seien, um deren Anti-EU-Stimmen zu kaufen.
4. Bombendrohungen überschatten US-Wahlen
Die entscheidenden US-Präsidentschaftswahlen, bei denen Donald Trump wieder an die Macht kam, waren ebenfalls anfällig für Desinformation und andere hybride Bedrohungen. Die Kandidaten beider Seiten wurden durch diffamierende Online-Kampagnen ins Visier genommen, um sie zu diskreditieren.
Am Tag der Stimmabgabe zwangen Bombendrohungen die Wahllokale in mehreren umkämpften Bundesstaaten, darunter Pennsylvania und Georgia, zur Schließung.
Das FBI teilte in einer Erklärung mit, dass viele der falschen Warnungen offenbar von russischen E-Mail-Domänen stammten.
5. Rumäniens Präsidentschaftswahlen annulliert
Die erste Runde der rumänischen Präsidentschaftswahlen Ende November geriet ins Zentrum eines Skandals, als der ultranationalistische Kandidat Calin Georgescu durch eine erfolgreiche TikTok-Kampagne überraschend gewann.
Die Stichwahl wurde jedoch abgesagt, nachdem Geheimdienstberichte enthüllten, dass ein ausländischer Staat – mutmaßlich Russland – Georgescus Wahlkampagne orchestriert hatte.
Die EU leitete daraufhin eine Untersuchung ein, um zu prüfen, ob TikTok gegen den EU-Digital Services Act verstoßen hat, indem es Risiken für die Integrität der Wahl nicht ausreichend abgemildert habe.