Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, im Gespräch mit Euronews über die Ukraine im Bundestagswahlkampf und mangelnden Mut in der Politik.
Der deutsche Wahlkampf läuft auf Hochtouren, und Themen wie Migration dominieren die Debatten und Medien. Doch ein Thema scheint in den vergangenen Wochen ein wenig untergegangen zu sein. Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg tobt weiterhin in der Ukraine.
Täglich werden russische Drohnen- und Raketenangriffe auf Städte in der ganzen Ukraine verzeichnet, und die russischen Truppen rücken stetig im Osten des Landes vor. Seit Beginn der groß angelegten Invasion hat sich Deutschland fest an die Seite der Ukraine gestellt und das Land mit militärischer, finanzieller und humanitärer Hilfe unterstützt. Dennoch scheint Russlands Angriffskrieg kein beliebtes Wahlkampfthema zu sein.
Im ersten TV-Duell zwischen SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und Friedrich Merz von der Union spielte die Ukraine lediglich eine Nebenrolle. Es wurde zwar die deutsche Unterstützung unterstrichen, doch schlossen beide den NATO-Beitritt des Landes während des laufenden Krieges aus.
Euronews hat sich mit dem ukrainischen Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, in der ukrainischen Botschaft in Berlin getroffen und ihn gefragt, ob Deutschland wirklich an der Seite der Ukraine steht – und warum die Ukraine ein Wahlkampfthema sein sollte.
Euronews: Wir stehen jetzt kurz vor dem dritten Jahrestag des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges. Was hat sich Deutschland in diesen drei Jahren getan und steht Deutschland wirklich hinter der Ukraine?
Makeiev: Ich bin seit Oktober 2022 Botschafter in Deutschland und würde sagen, dass Deutschland in diesen Jahren über sich hinausgewachsen ist. Wir erinnern uns noch an die 5000 Helme und die enorme Zurückhaltung unter allen politischen Parteien.
Jetzt, in diesen zweieinhalb Jahren, ist Deutschland unser zweitwichtigster und zweitgrößter militärischer Unterstützer geworden. Zuletzt hat mein Präsident, Wolodymyr Selenskyj, gesagt, dass 16 Prozent der militärischen Unterstützung aus Deutschland kommen.
Das war auch meine Botschaft von Anfang an: Jeder Deutsche kann stolz darauf sein, was das Land bis heute geliefert hat.
Unter den demokratischen Parteien hat sich schon lange der Konsens etabliert, dass es im deutschen Interesse ist, uns Ukrainer zu unterstützen. Bis auf wenige Politiker sagen fast alle, dass die Ukraine befähigt werden muss, diesen Krieg zu gewinnen, um einen gerechten Frieden zu erreichen.
Die letzten Umfragen haben gezeigt, dass 67 Prozent der Deutschen weiterhin Waffenlieferungen und militärische Unterstützung befürworten. Das zeigt, dass dieses Thema für die Wähler auch ein wichtiges Wahlkampf-Thema ist.
Euronews: Wenn man sich den Wahlkampf aktuell anschaut ist das aber nicht der Fall und die Unterstützung der Ukraine ist meiner Meinung nach ganz schön in den Hintergrund gerückt.
Makeiev: In diesem kurzen Wahlkampf mögen einige Politiker denken, dass es viel zu kompliziert ist, über Krieg und Frieden zu sprechen.
Es war jedoch eine Offenbarung für mich, als der Wahl-o-Mat gelauncht wurde und die erste Frage zur Unterstützung der Ukraine gestellt wurde.
Doch das ist ein Thema, über das nur mutige und verantwortungsvolle Politiker sprechen. Wenn wir das Interesse der deutschen Wählerinnen und Wähler und die politische Unterstützung unter Demokraten in Betracht ziehen, erkennt man die klaren Gefahren, die von Russland für die Sicherheit Deutschlands, Europas und der freien Welt ausgehen. Deshalb müsste man im Wahlkampf auch darüber sprechen.
Und natürlich auch über die Zusammenhänge zur Migration. Was war der Auslöser dieser Migration von über 1.000.000 Ukrainerinnen und Ukrainern nach Deutschland? Es war Russlands Krieg. Also muss man diesen Krieg stoppen, auch um die Migration einzudämmen.
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat klar gesagt, dass es 10 bis 20 Mal teurer wäre, wenn Deutschland die Ukraine nicht unterstützt und sie allein lässt.
Das sind ganz klare Botschaften, die ich versuche, während meiner Reisen überall in Deutschland zu verbreiten. Und ich muss gestehen, es gab keine einzige Veranstaltung, bei der diese Unterstützung wirklich infrage gestellt wurde.
Es gab viele kritische Fragen, aber indem man den Menschen erklärt, worum es geht, nimmt man sie mit.
Das war auch mein Angebot an alle Parteien: nehmen Sie die Ukraine ins Gespräch. Das ist wichtig und nicht toxisch, sondern wäre ehrlich gegenüber Ihren Wählern.
Euronews: Sie haben von kritischen Fragen gesprochen. Haben Sie ein Beispiel?
Makeiev: Da gab es eine Frage: was heißt für Sie, den Krieg zu gewinnen und zu beenden?
Ich sage dann, dass die Russen sich aus der gesamten Ukraine zurückziehen müssen. Aus den hinteren Reihen kam dann: "Ach, seien Sie realistisch, die Russen werden die Ukraine nie verlassen!"
Wie soll man damit umgehen? Meistens kommt dann, dass das ein Problem der Ukrainer sei. Aber wie würde man reagieren, wenn Familie und Kinder zu Hause von Verbrechern angegriffen werden?
Natürlich würde man die Polizei rufen. Soll die dann auch antworten: "Seien Sie realistisch"?
Euronews: Denken Sie, dass das Ausmaß der Verbrechen, die von den russischen Streitkräften begangen wird, überhaupt bekannt ist? Zum Beispiel wurde allein in den vergangenen Tagen vermehrt über Hinrichtungen von ukrainischen Soldaten berichtet.
Makeiev: All die Bilder und Videos sind auch für Ukrainer sehr traumatisch.
Unsere Psychologen sagen zum Beispiel, dass man sich auf keinen Fall Aufnahmen von Hinrichtungen in den sozialen Medien anschauen soll, da diese traumatisierend sind.
Wenn ich meinen Bekannten hier Videos von Beschüssen oder davon zeige, wie die Wohnungen meiner Freunde nach Angriffen aussehen, sagen viele, dass sie das nicht sehen wollen. Das ist ein Zeichen für mich, dass diese Verbrechen bewusst verdrängt werden.
Mit dem Verdrängen kommt man langfristig nie klar, und es hilft wenig, wenn das Thema aus dem politischen Diskurs und der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt wird.
Euronews: Und bei wem liegt die Verantwortung? Bei der Regierung oder der Presse?
Makeiev: Mein Lieblingswort ist "Führungsrolle". Ich wollte von Anfang an, dass der Duden es einmal als Wort des Jahres krönt.
Mit der deutschen Berichterstattung bin ich jedoch sehr zufrieden. Fast drei Jahre nach Beginn der großen Invasion wird jeden Tag, wenn nicht auf der ersten Seite, über die Ukraine berichtet. Dazu kommen natürlich die Politiker, die mehrmals in der Ukraine waren und klare Worte sprechen, ohne Ausreden zu verwenden, um die Passivität oder Besonnenheit jetzt gut zureden.
In anderen Bereichen, wie zum Beispiel Kultur oder Wissenschaft, ist das noch nicht der Fall. Ich habe mit vielen Wissenschaftlern gesprochen, die mir sagen, dass ihre Arbeit nichts mit dem Krieg zu tun habe.
Meiner Meinung nach liegt das daran, dass die Menschen den Krieg und die Verbrechen nicht wahrnehmen wollen. Sie haben sich nie gefragt, ob Zusammenarbeit nicht eine Relativierung der Kriegsverbrechen ist?
Euronews: Haben Sie in manchen Bereichen das Gefühl, dass das Ende des Krieges erwartet wird, um wieder zurück zu den alten Beziehungen zu gehen?
Makeiev: Besonders besorgniserregend ist, dass manche Vertreter der Wirtschaft nur davon träumen, dass, sobald alles vorbei ist, wieder Geschäfte mit Russland gemacht werden können.
Diese Relativierung von Kriegsverbrechen und auch die Relativierung der eigenen Werte in diesem Zusammenhang wiegt schwer.
Nochmals: Wir alle sind gegen den Krieg. Aber die einen führen ihn.
Die Deutschen haben am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, noch Jahrzehnte später Verantwortung zu übernehmen.
Meiner Meinung nach passiert das bei den Russen überhaupt nicht. Es reicht nicht, gegen den Krieg zu sein – man muss auch Verantwortung übernehmen.
Euronews: Sie haben gesagt, dass Europa Mut braucht. Hat Europa Mut?
Makeiev: Es sieht nicht danach aus. Es müssen mutige Entscheidungen getroffen werden – und das hat seinen Preis. Man muss auch den Mut haben, das gegenüber den Wählern und der Gesellschaft klar auszusprechen.
Leider war die Hilfe oft nur "so lange wie nötig" und "so viel, wie wir es uns vorstellen" – aber nicht "so viel wie nötig". Es geht aber um die Verantwortung derjenigen, die diesen Krieg begonnen haben.
Wir haben das Endziel formuliert: unser aller Wunsch ist, dass Russland aufhört, uns zu töten, dass die besetzten Gebiete und Menschen befreit werden und der Krieg gerecht beendet wird. Dann beginnt die Aufarbeitung.
Wie erreichen wir unser Ziel? Unter anderem durch echte wirtschaftliche Sanktionen, durch die Beschlagnahmung russischen Geldes – ohne Ausreden, ohne zu behaupten, dass das für die Finanzmärkte in Europa zu kompliziert sei.
Wer bezahlt den Wiederaufbau? Es kann doch nicht sein, dass die deutschen Steuerzahler dafür aufkommen – und nicht die Russen.
Euronews: Es wird oft davon geredet, dass Russland bereits einen hybriden Krieg gegen den Westen führt. Vergangene Woche wurde beispielsweise aufgedeckt, dass mögliche russische Sabotage gegen die Grünen vermutet wird. Wird diese Gefahr ernst genommen?
Makeiev: Ich würde vorschlagen, sich von dem Begriff 'hybride Kriegsführung' zu trennen.
Das Wort 'hybrid' wird heute entweder so wahrgenommen oder bewusst genutzt, um das Wort 'Krieg' zu verharmlosen.
Euronews: Würden Sie sagen, dass Russland bereits Krieg gegen den West führt?
Makeiev: Ja. Russland führt Krieg gegen Deutschland, indem man einen Menschen im Tiergarten tötet, sich in Wahlen einmischt, mögliche Brandstiftung begeht, die Energieinfrastruktur mit Cyberangriffen attackiert und mögliche Mordversuche von, deutschen Rüstungsunternehmer, wie Herrn Papperger.
Russland führt Krieg gegen den Westen, und viele sehen es nicht – oder haben nicht den Mut, es wahrzunehmen, anzuerkennen und dagegen vorzugehen. Doch Russland sagt offen: Wir sind im Krieg mit dem Westen.
Es fehlt an mutigen Politikern, die mit klarer Sprache und lauter Stimme dieses Thema in die internen Debatten ihrer Parteien einbringen und es schließlich in ihre Programme aufnehmen.
Das Thema Krieg ist unpopulär oder wird von Politikern als unpopulär angesehen, weil sie der Bevölkerung keine Angst einjagen wollen.
Doch die Wahrheit muss anerkannt und ausgesprochen werden: Gerade deshalb müssen wir viel mehr in unsere eigene Sicherheit investieren. Natürlich wollen die Menschen über Renten und Preise sprechen. Aber ein ehrlicher Dialog mit den Wählern muss auch das Thema Krieg einbeziehen.