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Bundestagswahl: Warum versprechen die Parteien mehr Abschiebungen?

Deutsche Bundespolizisten kontrollieren Autos an der deutsch-österreichischen Grenzübergangsstelle in Kiefersfelden
Deutsche Bundespolizisten kontrollieren Autos an der deutsch-österreichischen Grenzübergangsstelle in Kiefersfelden Copyright  AP Photo
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Von Liv Stroud
Zuerst veröffentlicht am Zuletzt aktualisiert
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Nahezu alle großen und kleinen Parteien versprechen im Wahlkampf mehr und schnellere Abschiebungen von illegalen Migranten. Aber sind Abschiebungen die Lösung in der Migrationsdebatte und wie funktionieren Abschiebungen heute?

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Während sich Deutschland auf die Bundestagswahl am kommenden Sonntag vorbereitet, hat sich das Thema Migration zu einem der wichtigsten Anliegen der Wähler herauskristallisiert.

Vor zwei Wochen löste eine Bundestagsdebatte landesweite Proteste aus, nachdem der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz einen unverbindlichen Antrag zur Verschärfung der Zuwanderungsregeln durch das Parlament gebracht hatte. Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte des Landes akzeptierte er die Stimmen der rechten Partei Alternative für Deutschland (AfD) und löste damit eine breite Verurteilung aus.

Trotz der Kritik an Merz' Vorschlägen und seiner Bereitschaft, mit den Rechten zusammenzuarbeiten, haben sich auch die anderen deutschen Parteien für strengere Migrationsgesetze ausgesprochen.

Die Sozialdemokraten (SPD) des amtierenden Bundeskanzlers Olaf Scholz und die Grünen sind in der Migrationsfrage nach rechts gerückt und versprechen mehr und schnellere Abschiebungen aus Deutschland.

Euronews geht der Frage nach, warum sowohl die etablierten als auch die populistischen Parteien Abschiebungen als Lösung für die Migrationsdebatte und als Methode zur Gewinnung von Wählern nutzen.

Eine Situation, die "nicht funktioniert"?

Der CDU-Abgeordnete Christoph De Vries sagte Euronews, dass das derzeitige europaweite Abschiebemodell dysfunktional sei und dass eine Änderung dringend notwendig sei.

Bei der Abschiebung handelt es sich um ein rechtliches Verfahren zur Ausweisung von Nicht-Staatsbürgern, die kein legales Bleiberecht haben - in der Regel Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, die keine gültige Aufenthaltsgenehmigung haben oder Ausländer, die wegen schwerer Straftaten verurteilt wurden.

Das deutsche Abschiebemodell folgt nationalem und EU-weitem Recht, wobei die 27 Mitgliedsstaaten der EU bei der Umsetzung von Abschieberegeln flexibel sind.

Im Jahr 2023 hat Deutschland rund 16.430 Menschen abgeschoben - ein deutlicher Anstieg gegenüber den Vorjahren. In den ersten 11 Monaten des Jahres 2024 wurden insgesamt 18.384 Personen aus Deutschland abgeschoben. Trotzdem drängt die Politik auf mehr Abschiebungen.

De Vries zufolge werden Abschiebungen nicht immer durchgeführt, da "bis zu 60 %" der Ankommenden ihre Pässe bei der Einreise nach Deutschland absichtlich zerstören, was es den Behörden erschwert, ihre Identität festzustellen.

Ein weiteres Hindernis ist die mangelnde Kooperation der Länder, in die jemand zurückgeschickt werden soll.

Die Herkunftsstaaten weigern sich häufig, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, obwohl sie dazu völkerrechtlich verpflichtet sind.

"Und selbstverständlich erleben wir viele Situationen, wo sich die Ausreisepflichtigen einfach der Abschiebung entziehen, indem sie untertauchen oder nicht anzutreffen sind, wenn die Polizei kommt", so De Vries.

"Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass ausreisepflichtige Ausländer bleiben, egal wie das Asylverfahren ausgegangen ist, wie das Ergebnis ist, dann erschüttert das das Vertrauen in den Rechtsstaat und deswegen müssen wir dabei besser werden", erklärte er.

Der Migrationsrechtsexperte Daniel Thym macht "schwerfällige" Behörden für Mängel im deutschen Abschiebesystem verantwortlich. Seiner Meinung nach arbeiten die Behörden nicht effizient zusammen, es gibt zu viele Fälle, und die Verfahren sind unnötig kompliziert.

Das ist "einfach eine Gesamtsituation, die nicht funktioniert", so Thym.

Asylbewerber vs. Facharbeiter

De Vries zufolge gibt es einen Unterschied zwischen Asylbewerbern und Fachkräften - letztere sind es, die Deutschland braucht.

De Vries sagt, dass Asylbewerber in großer Zahl kommen und dazu neigen, die Sozialsysteme zu belasten, anstatt in den Arbeitsmarkt einzutreten, und Statistiken zeigen, dass Asylmigranten oft mehr auf das deutsche Sozialversicherungssystem angewiesen sind.

Diese Leute sprechen kein Deutsch, sie sind "dann erst mal arbeitslos, werden vom Staat untergebracht und nehmen auch die durchaus sehr großzügigen deutschen Sozialleistungen in Anspruch". "Das sind zwei ganz unterschiedliche Formen von Migration", so Thym.

Fachkräfte, die gebraucht werden, "kommen nicht, weil wir als Standort nicht attraktiv sind, weil wir zu bürokratisch sind, weil unsere Verwaltung, unsere Bürokratie einfach zu groß ist", sagt De Vries.

De Vries ist der Meinung, dass die Regierung nicht genug getan hat, um qualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen. Darüber hinaus neige die politische Debatte dazu, die beiden Kategorien zu vermischen.

"Wir müssen diese beiden Dinge (Asylbewerber und Fachkräfte) dringend voneinander trennen. Wir dürfen das nicht vermischen. Wir müssen die Asyl-Migration strikt begrenzen und reduzieren und gleichzeitig brauchen wir mehr Fachkräfte", so De Vries.

Mangel an Auffanglagern

Nach Angaben des deutschen Innenministeriums scheitern etwa 60% der Abschiebungen. In der Zwischenzeit müssen Menschen, die nicht abgeschoben wurden, irgendwo untergebracht werden, was das ohnehin schon komplexe Problem noch weiter verkompliziert.

Sowohl De Vries als auch der Vorsitzende der größten deutschen Polizeigewerkschaft, Andreas Roßkopf, argumentieren, dass es nicht genügend Haftplätze gibt, um die zur Abschiebung vorgesehenen Migranten unterzubringen.

De Vries sagt, es gebe "rund 225.000 Ausreisepflichtige in Deutschland, davon ungefähr 45.000 vollziehbar". In Wirklichkeit gebe es aber nur wenige hundert Abschiebehaftplätze.

Ein weiterer Faktor, so De Vries, sei die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Ländern - die für die Durchführung von Abschiebungen zuständig sind - und dem Bund.

Percentage of failed deportations in Germany
Percentage of failed deportations in Germany Euronews

Da die Behörden nicht in der Lage seien, die Menschen, die sie abschieben wollen, in Gewahrsam zu nehmen, so Roßkopf, suchten viele nach Möglichkeiten, sich ihnen zu entziehen oder unterzutauchen. Um Wiederholungstäter und Kriminelle festhalten und Abschiebungen effektiv durchführen zu können, müssen die Behörden nach Roßkopfs Ansicht die Haftplätze deutlich aufstocken.

Außerdem "müssen wir dringend mit Herkunftsstaaten und mit Drittstaaten Vereinbarungen treffen, um diese Menschen auch dann wegzubringen. Das heißt, die Staaten müssen diese Menschen auch zurücknehmen", so Roßkopf.

Das Thema Abschiebung ist in Deutschland nach einer Reihe von tödlichen Anschlägen in den Städten Solingen und Aschaffenburg ins Rampenlicht gerückt. In beiden Fällen handelte es sich bei dem Verdächtigen um einen Migranten, der abgeschoben werden sollte.

Der Anschlag in Solingen, bei dem drei Menschen getötet und acht verletzt wurden, soll von einem syrischen Staatsangehörigen verübt worden sein, der nach Bulgarien abgeschoben werden sollte. Am Tag seiner Abschiebung konnten die Behörden ihn nicht ausfindig machen.

Obwohl genügend Personal für die Durchführung der Abschiebungen zur Verfügung stehe, so Roßkopf, müsse es eine bessere Koordination zwischen den Behörden geben.

Merz' Maßnahmen zur Verschärfung der Migrationsregeln mögen eine Gegenreaktion ausgelöst haben, doch laut Roßkopf waren viele Elemente darin nicht neu.

Einer der Vorschläge von Merz - nämlich die Zurückweisung von Personen ohne gültige Einreisedokumente an den deutschen Grenzen - widerspreche jedoch dem europäischen Asylrecht.

"Wir brauchen Rechtssicherheit", sagte Roßkopf. "Wenn diese gegeben ist und unsere Kolleginnen und Kollegen rechtssicher arbeiten können, dann ist das sicherlich eine Maßnahme, um Migration weiter eindämmen zu können."

Elemente von Merz' Migrationsvorschlägen umfassen die sofortige Inhaftierung von Personen, die zur Abschiebung vorgesehen sind, eine Erhöhung der Haftplätze und tägliche Abschiebungen.

Merz schlug vor, dass „gefährliche Personen“, die ausreisepflichtig sind, in einem „unbefristeten Ausreisegewahrsam“ bleiben sollten, bis sie entweder freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren oder abgeschoben werden. Darüber hinaus argumentierte Merz, dass die polizeilichen Befugnisse in den deutschen Bundesländern zur Durchsetzung von Abschiebungen gestärkt werden sollten.

Ein europäisches Problem?

Die Diskussion über Migration und Abschiebung ist nicht auf Deutschland beschränkt.

"Ich glaube, man muss in der Diskussion mal ganz offen und ehrlich sagen: Die Rückführungen funktionieren in keinem Mitgliedstaat der europäischen Union wirklich zufriedenstellend", so De Vries.

"Das führt uns in der CDU zu der Erkenntnis, dass wir die illegale Einreisen nach Deutschland, aber vor allen Dingen insgesamt nach Europa stoppen müssen, weil wir ja sehen, wie schwer die Rückführungen sind. Und wenn die Menschen erst mal eingereist sind, sind die rechtlichen und tatsächlichen Hürden für die Abschiebung so groß, dass wir das niemals so zufriedenstellend hinbekommen werden, wie es eigentlich notwendig und wünschenswert wäre", erklärt er.

Die CDU hofft, dass, wenn es ihr gelingt, die Migration an den deutschen Grenzen zu stoppen, ihre Pläne einen "Kaskadeneffekt" an den Grenzen der Europäischen Union auslösen werden, so dass sich die Menschen "nicht mehr auf den Weg machen werden, wenn sie wissen, dass sie keine Chance haben, nach Deutschland, nach Frankreich, nach Spanien einreisen zu können".

De Vries zufolge sollten die europäischen Länder zusammenarbeiten, um das Asylproblem zu lösen. Solange die etablierten Parteien die Mängel in der Asylpolitik nicht beheben, werden sich rechtspopulistische Parteien als Antwort auf das Problem anbieten.

"Gleiche Bedingungen für alle Menschen, die bei uns Asyl und letztendlich Schutz suchen", fordert Roßkopf. "Wir brauchen einen klaren Verteilungsschlüssel für alle und wir müssen unsere europäischen Außengrenzen viel besser schützen. Hier bedarf es Frontex, die stark aufgestockt werden müssen, die die europäischen Außengrenzen mit den jeweiligen Ländern besser schützen, um letztendlich dadurch die Reisefreiheit innerhalb von Europa nicht zu gefährden," so Roßkopf.

Trotzdem argumentieren Kritiker, dass Merz' Vorschläge EU-weitem Recht widersprechen und andere Mitgliedstaaten verärgern könnten, die eine Änderung der gemeinsamen Asylpolitik nicht mittragen.

Thym sagt, dass Merz eine "Notlage-Klausel in den europäischen Verträgen" schaffen will, um die Schwierigkeiten zu umgehen. "Genauso wie Italien sich nicht mehr daran hält."

"Ob das allerdings rechtskonform ist, das kann man nicht definitiv vorhersagen. Es gibt einige Argumente dafür und auch sehr viele dagegen."

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