Deutschland steckt mitten in einer Wohnungs- und Baukrise. Was wollen die Parteien dagegen unternehmen?
Endlos lange Schlangen bei Besichtigungen, undurchsichtige Verträge, die den Wert von Möblierungen massiv überschätzen oder einfach Mieterinnen und Mieter, die sich neben der Unterkunft das Leben nicht mehr leisten können: Die Wohnungskrise hat sich in ganz Deutschland massiv verschärft.
Laut aktuellen Berechnungen des Pestel-Instituts fehlen rund 550.000 Wohnungen. Vor allem in großen Ballungszentren wie München, Berlin oder Hamburg ist die Situation prekär. Dort sind die Mietpreise pro Quadratmeter in den letzten Jahren besonders rasant gestiegen.
Die SPD hatte noch vor der letzten Bundestagswahl 2021 versprochen, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen - ein Viertel davon sollten Sozialwohnungen sein. Doch vom angedachten Ziel blieb unter der von den Sozialdemokraten geführten Ampelregierung am Ende nur ein Bruchteil übrig, die Zahl der Baugenehmigungen ist seit Jahren rückläufig.
Doch was wollen die Parteien dagegen tun, die in den Umfragen momentan über zehn Prozent liegen? Euronews hat die Programme der Union, SPD, AfD und Bündnis 90/ Die Grünen unter die Lupe genommen.
Mietpreisbremse: Wer zieht weiter an?
"Leistbares Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit", ist sich Melanie Weber-Moritz, Direktorin des deutschen Mieterbundes, sicher.
Pünktlich zur Endphase des Wahlkampfes veröffentlichte der Mieterbund eine detaillierte Einschätzung zu den Aspekten Miete und Wohnen in den Wahlprogrammen der Parteien. Die Punkte wurden in einem Ampelsystem beurteilt - darin, wie nahe sie den Kernforderungen des Verbands kommen. Grün steht für Zustimmung, Gelb für Klärungsbedarf und Rot für Unzulänglichkeiten.
Die erste große Forderung des Mieterbundes ist die Verlängerung der Mietpreisbremse. Sie soll Neumieter schützen, indem die Anbieter nur Mietpreise anbieten dürfen, die nicht mehr als zehn Prozent über dem regionalen Durchschnitt liegen.
Auch wenn die Maßnahme immer wieder als unzureichend kritisiert wird, kann ihr Melanie Weber-Moritz viel abgewinnen: "Wir haben sehr viele Mieter, die dadurch berechtigt Geld zurückerhalten konnten", erklärt sie und fordert, dass die Maßnahme verlängert wird.
In den Regierungsprogrammen sind sich die Parteien dabei jedoch nicht einig. SPD und Grüne wollen eine Verlängerung, die Union hält sich bedeckt und die AfD möchte die Bremse auslaufen lassen.
Letztere spricht bei der Maßnahme von "staatlicher Überregulierung". Kritik, die Weber-Moritz zurückweist: "Die AfD setzt stattdessen komplett auf Eigentumsbildung, erklärt aber im Programm nicht, wie genau", so die Expertin. Vor allem Ansätze zur kurzfristigen Stabilisierung der Situation seien ihrer Meinung nach nicht auffindbar.
Teuer, möbliert oder nur vorübergehend
Ein weiteres, eng mit der Mietpreisbegrenzung verbundenes Problem: Zunehmend mehr Vermieter bieten bereits möblierte Wohnungen an.
Der Wert der Möblierung ist jedoch oft nicht überprüfbar und die Anbieter selbst müssen darüber keine Angaben machen. So können sie Wohnungen letztlich zu einem teureren Gesamtpreis vermieten, oft auch teurer, als es die Mietpreisbremse eigentlich erlauben würde.
"Das ist eine ganz bewusste Umgehungsstrategie", so Weber-Moritz gegenüber Euronews. Die Forderung des Mieterbundes nach Maßnahmen, um die Vorgehensweise zu unterbinden, findet sich aber nur in den Programmen von SPD und Grünen explizit.
Auch "Zweckentfremdung" wird als tiefgreifendes Problem im Forderungskatalog des Mieterbundes angeführt. Der Begriff steht für eine Benutzung des Wohnraums, die von der ursprünglichen Langzeitvermietung abweicht. Stattdessen werden die Wohnungen auf Portalen, wie beispielsweise Airbnb als Hotelalternative angeboten.
Die Konsequenz davon ist, dass die Wohnungen als Räumlichkeiten für Langzeitmieter nicht zur Verfügung stehen, sie tragen somit in weiterer Folge zur Verknappung des Bestands bei.
In anderen europäischen Städten wie Barcelona, das Ferienwohnungen sogar bis 2029 abschaffen möchte, führt das ebenfalls zu Problemen.
Erwähnt wird die Zweckentfremdung unter allen betrachteten Parteien aber nur in den Wahlprogrammen von SPD und Grünen.
Weitere Forderungen der beiden Parteien: Mietsteigerungen zu begrenzen oder Indexmieten, deren Preis sich an die Inflation anpasst, zu deckeln. Generell sind die Maßnahmenkataloge der Sozialdemokraten sowie der Grünen zu diesen Themen mit einem "grünen Licht" des Mieterbundes versehen, weil sie aus der Sicht der Organisation grundlegende Verbesserungen mit sich bringen würden.
Sozialwohnungen machen sich rar
Wenig überraschend wird vor allem eine Gruppe von den Preisanstiegen bei Mieten und dem Fehlen von leistbarem Wohnraum besonders hart getroffen: Einkommensschwache Haushalte. Denn auch der Bestand von leistbaren Sozialwohnungen sinkt insgesamt.
Ein Hauptgrund dafür liegt in der Fristsetzung - während jedes Jahr neue Bestände gebaut werden, endet gleichzeitig auch die Preisbindung für immer mehr Wohnungen - wodurch eine Negativbilanz entsteht.
Jährlich sind es so rund 40.000 Sozialwohnungen, die wegfallen. Der Aderlass an günstigem Wohnraum ist hingegen schon länger im Gange: noch 2006 hatte Deutschland über zwei Millionen Sozialwohnungen, mittlerweile ist die Zahl auf fast die Hälfte geschrumpft.
In ihren Wahlprogrammen halten zumindest drei der vier laut den Umfragen stimmenstärksten Parteien fest, sozialen Wohnraum erhalten zu wollen. Neben SPD und Grünen verspricht auch die Union, günstige Wohnungen "solide zu fördern" und finanzielle Unterstützung in Form des Wohngeldes "regelmäßig anzupassen".
Die AfD hingegen bezeichnet den bisherigen sozialen Wohnungsbau als "gescheitert" und will auf günstigere Möglichkeiten zum Erwerb von Eigentum sowie vermehrt auf Wohngeld setzen.
Der Mieterbund schätzt hierbei die angedachten Maßnahmen von SPD und Grüne als angemessen, die der CDU als mittelmäßig und jene der AfD als unzureichend ein. So verteilt er jeweils einmal die grüne, gelbe sowie die rote Ampelfarbe an die Parteien.
Darüber hinaus zeigt sich Melanie Weber-Moritz von der mangelnden Präsenz von Vorschlägen für eine soziale Wohnungspolitik im öffentlichen Wahlkampf enttäuscht: "Dass man davon nicht mehr sieht, ist nicht verständlich". Dabei hätten günstige Sozialwohnungen auch eine entspannende Wirkung auf den Rest der Preise am Markt.
Baustelle Bauindustrie
Ein Grund für die Wohnungskrise sind auch die groben Missstände in der Bauindustrie. Denn während für eine Entlastung des Marktes eigentlich dringend neue Wohnungen gebraucht werden würden, ist die Zahl der Baugenehmigungen niedrig.
Eine kurz- oder sogar mittelfristige Entspannung der Situation rückt damit in weite Ferne. Die Parteien sind sich hier einiger als bei anderen Punkten: Für Anreize in der Bauindustrie muss mehr getan werden.
Wie genau, darüber besteht freilich weniger Konsens. CDU/CSU wollen dafür den Bau von Geschosswohnungen fördern, die SPD die Wohnungsbaugesellschaften stärken, die Grünen wollen die Fördermittel für sozialen Wohnbau erhöhen. Die AfD beschränkt sich in ihren Forderungen darauf, Rahmenbedingungen für den billigeren Erwerb von Eigentum zu schaffen.
Ob eine Verbesserung mit den Vorschlägen der Parteien zu erreichen ist, schätzt der Verband ein weiteres Mal unterschiedlich ein. Wieder erhalten SPD und Grüne ein "go" in Sachen Ampelfarbe, CDU/CSU sind auch hier auf gelb gestellt und die AfD ist - wie in anderen Kategorien - auf Rot.
Und sonst?
Neben den großen Forderungen stehen im Katalog des Mieterbundes weiters zum Beispiel Maßnahmen, um die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu stoppen. CDU/CSU machen hierzu keine Angaben, die AfD will "Umwandlungshemnisse abschaffen" und dementsprechend in die entgegengesetzte Richtung steuern.
Zur Schaffung von Anreizen für mehr Klimaschutz im Wohnungswesen haben hingegen wenig überraschend die Grünen die ausführlichsten Maßnahmen vorgelegt.
In der Frage der Sicherung von leistbarem Baugrund setzen alle der genannten Parteien bis auf die AfD auf die Erschließung von mehr Land. Letztere will die Grunderwerbssteuer für Käufer mit Hauptwohnsitz außerhalb der EU auf 20 Prozent erhöhen.
Eine Forderung des Mieterbundes will hingegen keine der vier Parteien vollends erfüllen: Die Einführung eines "Grundrechts auf Wohnen". Dieses Ziel soll dafür in der Verfassung festgeschrieben werden. SPD und Grüne versprechen stattdessen, die Wohn- beziehungsweise Obdachlosigkeit bis 2030 zu beenden.
Vorsichtiger Optimismus
In der Gesamtbewertung der Parteiprogramme durch den Mieterbund wiederholt sich das bekannte Bild: Die Organisation schätzt die von SPD und Grünen vorgeschlagenen Maßnahmen am effektivsten ein.
Dahinter folgt die CDU/CSU, ihr attestiert der Verband zumindest ein Bekenntnis zu Mieterinnen und Mieter, allerdings sei das Programm an vielen Stellen nicht konkret genug.
Die AfD dagegen mache insgesamt keine Vorschläge zur Verbesserung der Situation. Stattdessen priorisiere die Partei wie in den Unterpunkten erwähnt "Eigentum als Wohn- und Lebensform".
Was aber erwartet sich die Expertin von der nächsten Regierung? Sie sei vorsichtig optimistisch, so Melanie Weber-Moritz. Vor allem, weil es nach den aktuellen Umfragen eine Koalition aus zwei - statt wie zuvor drei - Parteien werden dürfte. Die Vorerfahrung mit einer Dreierkoalition sei schlecht. Dagegen könne sie sich mit den zwei derzeit wahrscheinlichsten Optionen für eine Regierung Verbesserungen vorstellen.
Noch weitere Fragen zu den Regierungsprogrammen der Parteien?
Natürlich kann man bei der Wahl noch mehr Parteien wählen, als die, die wir aufgezählt haben. Fragen Sie hierzu einfach den KI-Chatbot von wahl.chat.