Die EU und Zentralasien halten in dieser Woche ihr erstes Gipfeltreffen ab, um den Handel und die diplomatischen Beziehungen zu stärken. Sie wollen einen Gegenpol zur Abhängigkeit von Russland und China schaffen.
Das erste Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und Zentralasien findet Ende der Woche in Samarkand in Usbekistan statt. Die vertretenen zentralasiatischen Länder sind Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Turkmenistan.
Die Diversifizierung des Handels abseits von Russland und China und der Ausbau der diplomatischen Beziehungen sind die wichtigsten Punkte auf der Tagesordnung. Menschenrechtsfragen und die Umgehung der Russland-Sanktionen werden wahrscheinlich nur kurz erwähnt.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Antonio Costa werden am Donnerstag nach Samarkand reisen. Sie erhoffen sich, Partnerschaften mit der rohstoffreichen Region in den Bereichen Energie und kritische Rohstoffe zu etablieren und zu vertiefen. Die Staats- und Regierungschefs des zentralasiatischen Blocks hoffen unterdessen auf Investitionen in ihre Industrie und Infrastruktur.
Umfassende Partnerschaft zwischen EU und Zentralasien geplant
Auf der eng getakteten Tagesordnung stehen neben wirtschaftlichen Aspekten außerdem der Schutz des Multilateralismus, gemeinsame und regionale Sicherheitsherausforderungen, die Zusammenarbeit in den Bereichen saubere Energie, Tourismus und People-to-People-Programme sowie die Verteidigung der Ukraine.
„Präsident Costa hat von Beginn seiner Amtszeit an deutlich gemacht, dass er der Meinung ist, dass die EU in dieser multipolaren Welt wieder mit ihren globalen Partnern zusammenarbeiten muss“, erläuterte uns ein hochrangiger EU-Beamter, der anonym bleiben wollte, im Vorfeld des Gipfels. „Zentralasien ist ein Element bei diesem Ansatz“.
Hintergrund des hochrangigen Treffens ist das beiderseitige Ziel, sich stärker von Russland und China abzukoppeln. Die beiden Länder sind aus historischen und geografischen Gründen Groß-Abnehmer der zentralasiatischen Waren, beeinträchtigen aber teilweise Europas Energie- und Technologiesicherheit. Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine sowie Pekings und nun auch Washingtons Handels- und Außenpolitik tun ein Übriges, dass Europa sich stärker Zentralasien zuwendet.
Energie, kritische Rohstoffe und industrielles Know-how
Für die EU „geht es nicht darum, China und Russland ernsthaft herauszufordern, sondern vielmehr darum, in einigen Sektoren Alternativen anzubieten, in einigen Sektoren zu konkurrieren, insbesondere bei Rohstoffen und bei der Infrastruktur“, so Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik gegenüber Euronews.
Die EU hat sich seit Beginn des Krieges zunehmend von russischen fossilen Brennstoffen abgekoppelt. Die weiterhin bestehenden Importe von russischem Flüssiggas in europäische Häfen und von Pipeline-Öl nach Mitteleuropa bleiben jedoch ein wunder Punkt, da sie zur Finanzierung von Russlands Kriegsmaschinerie beitragen.
Eine weitere Abhängigkeit wurde durch die geopolitischen Veränderungen deutlich: Die EU ist für einen grünen Wandel auf China angewiesen. Das Land kontrolliert den Abbau und die Verarbeitung vieler seltener Erden, die für die Entwicklung erneuerbarer Energien von entscheidender Bedeutung sind.
Zentralasien baut seine Produktion erneuerbarer Energien aus und verfügt über bedeutende Vorkommen kritischer Rohstoffe. Die EU hat bereits zwei Absichtserklärungen mit Kasachstan und Usbekistan zu diesem Thema unterzeichnet und hofft nun, eine umfassendere Erklärung zu kritischen Rohstoffen zu erreichen.
Europäische Union sieht großes Potenzial in Zentralasien
Für die EU ist dies eine Win-Win-Situation. Die Union würde sich einerseits die Seltenen Erden sichern, die sie für ihre Energiewende und zur Stärkung ihrer strategischen Autonomie benötigt, während Zentralasien seinerseits die Investitionen erhalten würde, die es für die Entwicklung der lokalen Industrie benötigt.
„Die Europäische Union fördert nicht nur den Abbau und die Ausfuhr von Rohstoffen, sondern wir wollen auch die Industrie in der Region fördern und damit die Entwicklung sauberer Technologien unterstützen. Wir wollen gemeinsam mit den zentralasiatischen Ländern in die gesamte Wertschöpfungskette investieren“, erklärt ein anderer hochrangiger EU-Mitarbeiter, der ebenfalls anonym bleiben will.
Die zentralasiatischen Länder suchen ihrerseits auch mehr Industriepartnerschaften, um ihre Produktionsbasis und ihr Know-how auszubauen, damit sie ihre Exporte und damit ihren Kundenstamm erweitern können.
„Sie haben Industrien entwickelt, um zu versuchen, mit Chemikalien, Textilien, Baumaterialien und anderen nicht-energetischen Produkten auf die europäischen Märkte zu gelangen“, erläutert uns Anna Matveeva, eine Gastwissenschaftlerin am King's College London. Aber dafür müssen sie in der Lage sein, ihre Waren tatsächlich in die EU zu exportieren. "Tadschikistan produziert eine Menge Aluminium, es ist einer der größten Aluminiumproduzenten der Welt. Aber es ist fast unmöglich, Aluminium in die Europäische Union zu exportieren, wegen der Logistik (...) also müssen sie es nach China und Russland verkaufen, was für sie viel einfacher ist“, so Matveeva.
Ausbau der Verkehrsverbindungen
Der Schlüssel dazu ist der transkaspische Verkehrskorridor, der eines der Themen sein dürfte, auf die sich die Staats- und Regierungschefs konzentrieren werden. Die EU hat im vergangenen Jahr angekündigt, dass sie im Rahmen ihrer Global Gateway Initiative zehn Milliarden Euro für den so genannten Mittleren Korridor bereitstellen wird - eine Summe, die einige angesichts der Länge der Strecke und des schwierigen bergigen Geländes für gering halten.
"Die Global-Gateway-Initiative zeigt nur sehr langsam Wirkung in der Praxis. Das sorgt für Frustration bei einer Reihe von Partnerländern, einschließlich der zentralasiatischen Länder“, räumt Marie Dumoulin ein, die Direktorin für das Programm "Größeres Europa" beim Europäischen Rat für Auswärtige Beziehungen (ECFR). Dies sei insbesondere seit Russlands Angriff in der Ukraine der Fall, weil die EU weitreichende Sanktionen gegen Russland verhängt hat.
Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) schätzte 2023, dass allein in den zentralasiatischen Ländern 18,5 Milliarden Euro an Investitionen nötig sind, um die für die Route erforderlichen Infrastrukturprojekte fertigzustellen.
Ein Ergebnis des Gipfels könnte die Ankündigung eines neuen Investorenforums sein, das dem transkaspischen Verkehrskorridor gewidmet ist und noch in diesem Jahr stattfinden soll, bestätigt einer der hochrangigen EU-Beamten. Zusätzliche Finanzierung sei der Schlüssel. Doch die technische "harte" Infrastruktur ist nur die Spitze des Eisbergs, schränkt Aruzhan Meirkhanova, eine leitende Forscherin des Nationalen Analytischen Zentrums Kasachstans, gegenüber Euronews ein:
„Softe Konnektivitätsherausforderungen - wie eine begrenzte regulatorische Harmonisierung, Ineffizienzen an den Grenzen und die Notwendigkeit einer stärkeren Digitalisierung der Transportdokumente - behindern weiterhin die Effizienz des Transits." Sie fügt hinzu: „Politischer Wille, Vertrauen und eine stärkere Koordinierung der Interessengruppen sind der Schlüssel zur Bewältigung der weichen Konnektivitätsprobleme.“
Umgehung von Sanktionen gegen Russland
Auf dem Gipfel sollten daher beide Seiten eine Gratwanderung vollziehen. Für Zentralasien geht es darum, sich dem Westen anzunähern, ohne Moskau oder Peking zu verärgern.
„Die zentralasiatischen Länder versuchen, eine so genannte multisektorale Außenpolitik zu betreiben. Das bedeutet, dass sie bereit sind, mit verschiedenen Akteuren zusammenzuarbeiten, ohne einen von ihnen zu verprellen. Sie möchten von allen Seiten profitieren“, erklärt Matveeva. „Das heißt, sie wollen nicht zu weit gehen, vor allem nicht mit dem Westen, mit der EU, weil sie aus verschiedenen Gründen nicht zu pro-westlich werden wollen.“
Für die Europäische Union geht es unterdessen darum, mit bestimmten autoritären Regimen in Russlands Nachbarschaft Abkommen zu schließen und gleichzeitig politischen und wirtschaftlichen Druck auf Moskau auszuüben. Hochrangige EU-Vertreter betonten, dass die Umgehung russischer Sanktionen auf dem Gipfel zur Sprache kommen werde, da einige Länder in der Region durch den Verkauf von in Europa hergestellten Produkten an Russland, deren Einfuhr in das Land verboten ist, profitiert hätten.
Laut einem Bericht von Robin Brooks, Chefökonom des Institute of International Finance, sind die deutschen Exporte von Autos und Autoteilen nach Kirgisistan im Jahr 2023 um 5.500 Prozent gestiegen, nach Kasachstan um 720 Prozent.
Unterschiedliche Positionen in Menschenrechtsfragen
Ebenso schwierig könnte es für die EU sein, ihre Glaubwürdigkeit in Menschenrechtsfragen aufrechtzuerhalten. In ihrem Jahresbericht über die Menschenrechtslage in der Welt erklärte die Organisation Human Rights Watch, dass die EU die zentralasiatischen Regierungen "zur Rechenschaft ziehen" müsse. Die Union dürfe nicht akzeptieren, dass Andersdenkende, insbesondere Regierungskritiker, Aktivisten und Journalisten inhaftiert werden.
"Wir gehen nicht dorthin, um zu predigen", erläutert uns ein EU-Beamter. "Wir werden unsere Bedenken kundtun, mit ihnen zusammenarbeiten und einen Dialog führen. Je mehr Dialog, Engagement und Interaktion wir haben, desto mehr glauben wir, dass wir alle Dinge, die uns betreffen, ändern und verbessern können."
Meister sieht das kritischer: "Die EU hat keinen großen Einfluss auf diese Länder und baut auch keinen wirklichen Einfluss in diesem Bereich auf." Die Kommission würde wahrscheinlich mehr Geld für die Zivilgesellschaft bereitstellen, verfolge aber jetzt einen pragmatischeren Ansatz: "Das ist ein spezifischer Trend unter Von der Leyen, die meiner Meinung nach in Menschenrechtsfragen viel pragmatischer und interessenorientierter ist."