Im zweiten Anlauf wurde Friedrich Merz (CDU) zum Kanzler gewählt. Die Herausforderungen in Deutschland sind groß – wie auch die Wahlversprechen von Merz. Doch Politikbeobachter zweifeln daran, dass Merz seinen "Politikwechsel" umsetzen kann.
Deutschland hat nach der zerbrochenen Ampel-Regierung wieder einen neuen Kanzler. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hatte einen historisch holprigen Start. Noch am Morgen scheiterte er in der ersten Wahlrunde. Die benötigte Mehrheit der Abgeordneten konnte er zunächst nicht aufbringen.
Doch am Nachmittag in der zweiten Wahlrunde wurde er schließlich von der schwarz-roten Mehrheit gewählt. Seine Wahl offenbarte nochmals, wie stark die Kanzlerschaft von Merz von der SPD abhängig ist.
Wie Euronews aus dem Bundestag heraus hörte, war die Merz-Rettung im zweiten Wahlgang nicht kostenlos. Die Gerüchteküche, wie teuer der Preis für seine Kanzlerstimmen war, brodelt. Darunter: Die Anstrebung eines gemeinsamen AfD-Verbots sowie keine Umsetzung einer deutlichen Migrationswende an den deutschen Grenzen.
Was wird von den großen Versprechen bleiben?
Merz' Versprechen im Wahlkampf unter dem Motto "Politikwechsel" waren enorm. Deutschland steht innenpolitisch vor großen Herausforderungen. Der CDU-Chef kündigte deshalb eine 180-Grad-Wende in der Migrationspolitik, einen Wirtschaftsaufschwung, eine technologie-offene Enerigepolitik sowie eine Neuausrichtung der Sozial- und Arbeitspolitik an.
Denn in Deutschland stapeln sich die Probleme. Darunter: Wachsende Kriminalität durch unkontrollierte Migration. Überlastete Sozialsysteme. Teure Energiepreise. Die Wirtschaft droht 2025 das dritte Jahr in Folge zurückzugehen. Das Land befindet sich in einer Deindustrialisierung.
Jedoch folgte schon nach der Wahl der erste Bruch: Merz einigte sich mit der SPD auf ein 1-Billion-Schuldenpaket. Das Einhalten der Schuldenbremse stand plötzlich nicht mehr auf Merz' Tagesordnung. Dafür stand nach dem Schulden-Deal rasch die schwarz-rote Koalition. Ein Deal also für den Weg ins Kanzleramt.
Bei den Neuwahlen erreichte die Union 28 Prozent. Merz versprach seinen Wählern "wieder für die Mehrheit der Bevölkerung Politik zu machen". Ein schwarzer "Politikwechsel" mit einem roten Koalitionspartner erscheint allerdings für viele Politikbeobachter nahezu unmöglich.
Und auch innerhalb der Bevölkerung herrscht Misstrauen. Die CDU rutschte erstmals in Wahlumfragen hinter die Partei AfD. Auch eine befragte Mehrheit von 56 Prozent lehnte Merz vor seiner Wahl als Kanzler ab, so das ZDF-Politbarometer.
Politikexperte: "Er wird weder ein linker noch ein rechter Kanzler"
Stehen die Deutschen etwa vor einem Kanzler, bei denen sie nicht so richtig wissen, woran sie sind?
"Merz wird weder ein linker Kanzler noch ein rechter Kanzler. Sondern so, wie es gerade passt." Der renommierte Politologe und Rechtssoziologe Prof. Volker Boehme-Neßler erklärt im Interview mit Euronews, dass Merz sich in einer Zwickmühle zwischen seinen Wahl-Versprechen und dem Regierungspartner befinde.
"Er hat sich in die babylonische Gefangenschaft der SPD begeben. Er hat ohne Not im Wahlkampf immer wieder die Brandmauer betont. Dadurch hat er sich die einzige Option geschaffen – die heißt SPD. Hätte er sich mutig getraut, eine Minderheitsregierung zu wagen, dann wäre er in die Geschichtsbücher eingegangen", meint Staatsrechtler Boehme-Neßler.
"Merz wird oft vor der Frage stehen: ' Halte ich mein Versprechen oder lasse ich die Regierung platzen'"?
Die neue Regierung sei schon wackelig mit dem Tag ihrer Ernennung. "Immer öfter wird Friedrich Merz vor der Frage stehen: 'Halte ich mein Versprechen ein oder lasse ich die Regierung platzen'".
Die größte politische Frage im Land sei die der Migrationspolitik, erklärt Prof. Boehme-Neßler weiter. Falls bloß "schlechte Kompromisse und Symbolpolitik" gemacht werde, wäre das "eine direkte Wahlhilfe für die AfD".
"Die Bürger wollen, dass die Menschen Lösungen finden für Ihre Problem. Wenn das nicht funktioniert, verlieren sie das Vertrauen in die Demokratie." Merz hat es in der Hand.