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Faktencheck: Will die deutsche Regierung die Meinungsfreiheit einschränken?

Der Vorsitzende der Christdemokraten, Friedrich Merz, wird vom scheidenden Bundeskanzler Olaf Scholz nach seiner Wahl zum neuen Bundeskanzler im Deutschen Bundestag beglückwünscht
Der Vorsitzende der Christdemokraten, Friedrich Merz, wird vom scheidenden Bundeskanzler Olaf Scholz nach seiner Wahl zum neuen Bundeskanzler im Deutschen Bundestag beglückwünscht Copyright  Ebrahim Noroozi/Copyright 2025 The AP. All rights reserved
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Von Mared Gwyn Jones
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Im Internet kursieren irreführende Behauptungen, die schwarz-rote Regierung unter Friedrich Merz wolle mit einem "Wahrheitsministerium" sogenannte "Zensurgesetze" einführen. Euroverify hat die Fakten.

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Der 144-seitige Koalitionsvertrag, der vergangene Woche zwischen der konservativen CDU/CSU und den Mitte-Links-Sozialdemokraten unterzeichnet wurde, sieht Maßnahmen gegen "Desinformation" und "gezielte Wahlbeeinflussung" vor und spricht von "ernsthaften Bedrohungen für unsere Demokratie".

Das Vorgehen erfolgt wegen der wachsenden Besorgnis in Europa über die Auswirkungen von Desinformation bei Wahlen und folgt auf mehrere Zusammenstöße zwischen der US-amerikanischen und der deutschen Regierung zum Thema Meinungsäußerung und demokratische Grundsätze.

Im Vorfeld der deutschen Wahlen im Februar versuchte der Trump-Verbündete und Tech-Mogul Elon Musk, die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) zu unterstützen. Und US-Vizepräsident J.D. Vance übte auf der Münchner Sicherheitskonferenz scharfe Kritik an der angeblichen Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Europa aus.

US-Außenminister Marco Rubio hat Deutschland inzwischen "Tyrannei im Verborgenen" vorgeworfen, nachdem der deutsche Geheimdienst die AfD als "rechtsextreme" Partei eingestuft hatte. Diese Einstufung wird vorerst ausgesetzt, aufgrund einer Klage von Seiten der AfD.

Nun haben konservative Kommentatoren der neuen deutschen Regierung vorgeworfen, ein "Lügenverbot" einzuführen, da ein Satz des Koalitionsvertrags zwischen CDU/CSU und SPD lautet: "Die vorsätzliche Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt."

Keine Änderung der Garantien der Meinungsfreiheit

Zwei Rechtsexperten erklärten jedoch gegenüber Euroverify, dass dieser Auszug aus dem Koalitionsvertrag "nichts Neues" sei und im Einklang mit dem Schutz der Meinungsfreiheit nach deutschem Recht stehe.

"Dieser Satz (...) ist durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gut begründet. Er ist also keineswegs neu", so Dr. Matthias Bäcker, Professor für Öffentliches Recht und Informationsrecht an der Gutenberg-Universität Mainz.

Zwar garantiert Artikel 5 des Grundgesetzes die Meinungsfreiheit, aber unwahre Behauptungen, die nachweislich unwahr sind und vorsätzlich verbreitet werden, sind streng genommen nicht immer von der Meinungsfreiheit gedeckt.

"Das war nach der Rechtsprechung unseres Bundesverfassungsgerichts schon immer der Fall", sagt Dr. Ralf Müller-Terpitz, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht, Wirtschaftsordnungsrecht und Medien an der Universität Mannheim, gegenüber Euroverify.

Das deutsche Faktenchecking-Portal Correctiv wies darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht bereits 1982 entschieden hat, dass Äußerungen, die nicht als Meinung gelten können, nicht automatisch geschützt sind, insbesondere wenn es sich um "erwiesene oder wissentlich unwahre Tatsachenbehauptungen" handelt.

Dies wurde seitdem in mehreren Fällen bestätigt, einschließlich eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012, in dem festgestellt wurde, dass "eine erwiesene oder wissentlich unwahre Tatsachenbehauptung nicht unter den Schutz" des deutschen Grundgesetzes fällt.

Regionalminister sagt, die Meinungsfreiheit habe "Grenzen"

Der nordrhein-westfälische Minister für Bundesangelegenheiten, Europa, Internationales und Medien, Nathanael Liminski, der der für Medienpolitik zuständigen Arbeitsgruppe im Koalitionsvertrag angehörte, erklärte gegenüber Euroverify, dass der Entwurf dazu diene, "den Kampf gegen Desinformation auf europäischer Ebene, auf Bundesebene und auf Landesebene zu verstärken".

"Wir haben eine Tradition, dass Freiheit nicht ohne Verantwortung ist. Und das bedeutet, dass die Freiheit Grenzen hat. Und zumindest in unserer europäischen Art der freien Meinungsäußerung ist sie immer mit Verantwortung verbunden, und das bedeutet, dass die Meinungsfreiheit Grenzen hat", sagte Ministerin Liminski und nannte Antisemitismus und die Leugnung des Holocausts als konkrete Beispiele für diese Grenzen.

Experten verteidigen starken Schutz der Meinungsfreiheit

Fälle, in denen Äußerungen nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen, sind dabei äußerst selten.

"Wann immer es Zweifel gibt, befindet man sich innerhalb des Geltungsbereichs der Meinungsfreiheit. Und wenn man Tatsachenbehauptungen mit Wertaussagen, Bewertungen, Kommentaren kombiniert, ist man auch innerhalb des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit, selbst wenn der sachliche Teil falsch sein könnte", erklärte Professor Bäcker und fügte hinzu, dass alles, was außerhalb des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit liegt, "dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss".

Auch wenn eine Aussage nicht durch das Grundgesetz geschützt ist, bedeutet das nicht, dass sie verboten oder strafbar ist.

Die Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen kann jedoch strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie dem Betrug, der Verleumdung oder der Volksverhetzung dienen, da solche falschen Behauptungen konkret das Eigentum oder die Grundrechte des Einzelnen verletzen.

Der Chefredakteur eines der AfD nahestehenden rechten Medienunternehmens wurde kürzlich zu einer siebenmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er ein gefälschtes Meme der ehemaligen Innenministerin Nancy Faeser in den sozialen Medien verbreitet hatte.

Diese Verstöße sind laut Professor Bäcker schwieriger zu definieren, wenn es um Desinformation in einem Wahlkampfkontext geht, da sie sich auf "demokratische Konzepte" und "kollektive Güter" beziehen.

Behauptungen, Berlin werde ein "Wahrheitsministerium" einrichten, sind unbegründet

Kommentatoren haben auch behauptet, die neue Regierung wolle ein so genanntes Wahrheitsministerium einrichten, um "Wahrheit und Lüge zu definieren".

Diese Behauptung ist unbegründet. Im Koalitionsvertrag heißt es vielmehr: "[D]ie staatsferne Medienaufsicht [muss] unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können."

Gemeint sind die 14 regierungsfernen, unabhängigen Landesmedienanstalten in Deutschland, die auf Landesebene organisiert sind.

Der Wortlaut des Koalitionsvertrags deutet auf eine stärkere Rolle der Medienaufsicht hin, sagte Dr. Tobias Schmid, Europabeauftragter der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM), gegenüber Euroverify: "Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass dieser Koalitionsvertrag eine politische Aussage ist, kein Gesetz".

"Wir sind Teil der Exekutive und der verbindliche Teil ist natürlich das Gesetz und nicht irgendwelche politischen Ideen", fügte er hinzu. "Aber abgesehen davon denke ich, dass dieser Koalitionsvertrag in der Tat besagt, dass es einen klaren Fokus auf die Frage der Desinformation gibt, um die Freiheit der Medien im Allgemeinen zu schützen."

Das digitale Regelwerk der EU

Im Text des Koalitionsvertrages heißt es weiter, dass "[s]ystematisch eingesetzte manipulative Verbreitungstechniken wie der massenhafte und koordinierte Einsatz von Bots und Fake Accounts verboten werden [müssen]."

Laut Professor Bäcker ist dies eine Aufgabe, die "möglich" und "gerechtfertigt sein könnte, vorausgesetzt, sie ist verhältnismäßig" und es wird eine robuste Vorhersage getroffen, um solche Bots zu identifizieren, die manipulativ eingesetzt werden.

Professor Müller-Terpitz sagte jedoch, dies sei eine "heikle Angelegenheit", und fügte hinzu, er habe "nicht den Eindruck, dass der Bund die Kompetenz hat, ein Gesetz zu erlassen, das ein solches Verbot vorsieht".

Minister Liminski schlug gegenüber Euroverify vor, dass ein solches Verbot "als Teil einer Weiterentwicklung" des umfassenden digitalen Regelwerks der EU, dem Digital Services Act, in Erwägung gezogen werden könnte.

"Wir haben sehr konkrete Vorschläge in den Vertrag aufgenommen. So zum Beispiel, dass die Bundesregierung eine Initiative zur Verbesserung des Digitalen Dienstleistungsgesetzes starten soll, um zum Beispiel den massiven Einsatz von Fake-Accounts von Bots zu bekämpfen", erklärte Liminski. "Und das müssen wir bekämpfen, weil das den öffentlichen Raum verzerrt."

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