Die meisten Fraktionen werden den Misstrauensantrag, der die Kommission von der Leyen zu Fall bringen würde, zwar nicht unterstützen. Trotzdem wurde die Unzufriedenheit im EU-Parlament bei der Debatte deutlich spürbar.
Entwarnung für die EU-Kommission: Die Mehrheit der Fraktionen des Europäischen Parlaments wird das Misstrauensvotum gegen die Präsidentin Ursula von der Leyen nicht unterstützen, aber auch die Abgeordneten jener Koalition, die sie im letzten Jahr ins Amt gewählt hat, machen ihr Vorwürfe. In einigen Fraktionen gibt es offen Diskussionen darüber, wie die Abgeordneten abstimmen sollten.
Nach der Debatte, die im Plenarsaal in Straßburg stattfand, haben einige der acht Fraktionen des Parlaments ihre Position vor der Abstimmung klar abgesteckt. Andere haben keine klare Position deutlich gemacht, und nicht alle Abgeordneten stimmen mit ihren Fraktionen überein.
EVP steht voll hinter Ursula von der Leyen
Die Europäische Volkspartei (EVP), die politische Fraktion von Ursula von der Leyen - zu der auch die CDU/CSU gehört, steht voll hinter ihr. "Wir werden einstimmig dagegen stimmen", so der Fraktionsvorsitzende Manfred Weber.
Für die EVP ist die Abstimmung von rechtsextremen Abgeordneten initiiert, die mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin befreundet seien. "Mit diesem Misstrauensantrag vergeuden wir nur Zeit: Putin wird sich darüber freuen, was seine Freunde hier tun. Ich weiß, dass die deutsche AfD (Alternative für Deutschland) und die rumänische AUR (Allianz für die Einheit der Rumänen) die Marionetten von Putin sind. Dieser Misstrauensantrag ist gegen die Sicherheit der Europäer", so Weber in der Debatte.
Viel Kritik an von der Leyen
Die Fraktionen der Sozialisten und Demokraten (S&D), die liberale "Renew Europe" und die Grünen/EFA haben ebenfalls erklärt, dass sie nicht für den Misstrauensantrag stimmen werden.
Ihre Vorsitzenden hielt das jedoch nicht davon ab, von der Leyen dafür zu kritisieren, dass sie mit den Parteien des rechten Flügels im EU-Parlament zusammenarbeitet, wichtige politische Dossiers ignorieren und die Kommission mit einem extrem zentralisierten und undurchsichtigen Arbeitsstil führen würde.
"Wir werden denen, die die Europäische Union zerstören wollen, keine einzige Stimme geben", sagte die S&D-Vorsitzende Iratxe García Pérez und bezeichnete den Misstrauensantrag als einen "reaktionären Angriff".
García Pérez warf von der Leyen aber auch vor, beim Green Deal zurückzurudern. Die Kommissionspräsidentin habe sich mit den Konservativen verbündet, um eine geplante Richtlinie, die gegen Greenwashing vorgehen soll, zurückzuziehen.
Außerdem bedeutet die Nichtunterstützung des Antrags nicht zwangsläufig, dass die Sozialdemokraten gegen den Antrag stimmen werden. Quellen aus dem Parlament zufolge könnten sich die Mitglieder der Fraktion auch der Stimme enthalten.
"Wir haben uns noch nicht entschieden, wir werden das Thema in den nächsten Tagen vor der Abstimmung diskutieren", so die belgische S&D-Abgeordnete Estelle Ceulemans gegenüber Euronews nach einer fraktionsinternen Sitzung.
Renew Europe hat sich ebenfalls klar gegen den Misstrauensantrag ausgesprochen. "Der Antrag selbst zeigt die schlechten Absichten der Unterzeichner: ein Mischmasch von Behauptungen über Pfizer-SMS, die Ausgaben der Konjunkturfazilität, Verteidigungspläne und angebliche Wahleinmischung", hieß es in einer Erklärung der Gruppe.
Die Präsidentin von Renew Europe, die Französin Valérie Hayer, bekräftigte dies in ihrer Rede, nutzte aber ebenfalls die Gelegenheit, um von der Leyen zu kritisieren. "Die Kommission ist zu zentralisiert, zu versteinert", sagte sie.
Die Fraktion der Grünen/EFA wird den Misstrauensantrag ablehnen, da alle Abgeordneten dagegen stimmen, sich der Stimme enthalten oder am Tag der Abstimmung nicht anwesend sein werden. Das berichten interne Quellen.
"Sie füttern diese Bestie"
Der Fraktionsvorsitzende Bas Eickhout bezeichnete den Antrag als "eine große politische Show der extremen Rechten, um die Demokratie zu untergraben". Er wetterte aber auch gegen die jüngsten Absprachen zwischen der EVP und rechten Fraktionen bei Abstimmungen. "Sie füttern diese Bestie, und ab einem bestimmten Zeitpunkt wird die Bestie Sie fressen", sagte Eickhout mit Blick auf EVP-Präsident Weber.
Der Ko-Vorsitzende der Linken, Martin Schirdewan, sagte, seine Fraktion lehne den Misstrauensantrag ab, weil sie sich "nicht von Rechtsextremisten instrumentalisieren lassen" wolle. Andere Fraktionsmitglieder scheinen jedoch nicht auf derselben Seite zu stehen.
Die italienische Fünf-Sterne-Bewegung zum Beispiel wird dafür stimmen: "Millionen von Bürgern, die an die EU, an die Demokratie und an die soziale Gerechtigkeit glauben, bitten uns heute, von der Leyen nach Hause zu schicken", heißt es in einer Erklärung der Partei. Auch die irischen Europaabgeordneten der Linken werden nach Angaben aus dem Parlament für den Antrag stimmen.
Konservative gespalten, Rechtspopulisten geeint
Die Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) veranschaulichen die wackelige Fraktionsdynamik noch deutlicher: Einige ihrer Mitglieder haben das Vertrauensvotum vorgeschlagen und aktiv unterstützt, während andere die Kommission verteidigen werden.
Offiziell überlässt es die Fraktion ihren Abgeordneten, ihrem Gewissen zu folgen und frei abzustimmen. Die größten nationalen Delegationen befinden sich dabei in entgegengesetzten Lagern.
Zu den Unterzeichnern des Misstrauensantrags gehören Rumänen von der ultranationalistischen Partei AUR und Polen von der rechtskonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), die damit eine lange Tradition von harter Kritik an von der Leyen und ihrer Kommission fortsetzt.
Auf der anderen Seite werden die Mitglieder der italienischen Regierungspartei Fratelli d'Italia nicht für den Antrag stimmen, da dies den Rücktritt aller Kommissare zur Folge hätte, einschließlich des Italieners Raffaele Fitto, Vizepräsident der Kommission für Kohäsion und Reformen, der aus den Reihen der Partei stammt.
"Dieser Antrag ist zum Scheitern verurteilt und erreicht nicht einmal annähernd die erforderliche Schwelle [zum Sturz der Kommission]. Das ist ein Geschenk an unsere politischen Gegner", sagte der Ko-Vorsitzende der EKR, Nicola Procaccini, in seinem Redebeitrag.
Patriots for Europe (PfE) und Europe of Sovereign Nations (ESN), die beiden rechtspopulistischen Fraktionen im Parlament, werden für den Antrag stimmen, der die Kommission zum Rücktritt auffordert.
"Pfizergate war ein Machtmissbrauch: Sie haben im Alleingang und außerhalb jedes demokratischen Rahmens gehandelt", so Fabrice Leggeri, ein französischer Abgeordneter des Rassemblement National von Marine Le Pen.
Der Vorsitzende von ESN, René Aust von der AfD, sagte, dass seine Fraktion beabsichtige, von der Leyen "in den unverdienten Ruhestand zu schicken".
Eine symbolische Abstimmung
Das Misstrauensvotum hat aber auch kaum Chancen, angenommen zu werden, da mindestens zwei Drittel der abgegebenen Stimmen den Misstrauensantrag unterstützen müssten, um die Kommission zu stürzen.
Die Debatte am Montag hat jedoch gezeigt, wie groß das Misstrauen gegenüber von der Leyen im Parlament ist, unabhängig von der politischen Zugehörigkeit der Abgeordneten.
Die Parteien der sogenannten "zentristischen Mehrheit" (EVP, S&D, Renew Europe) sind sich uneins über die Bewertung der bisherigen Bilanz der Kommission.
Während die EVP-Fraktion die politische Linie von der Leyens voll und ganz unterstützt (und wahrscheinlich auch hinter ihr steht), sind die Sozialdemokraten und die Liberalen mit ihr uneins, was darauf hindeutet, dass die Koalition, die von der Leyen vor einem Jahr zur Kommissionspräsidentin gewählt hat, auf wackligen Füßen steht.
In diesem Zusammenhang wandte sich S&D-Chef García Pérez am Ende ihrer Rede an EVP-Präsident Weber: "Dieser Antrag ist das direkte Ergebnis Ihrer Strategie im Parlament. Sie fordern Verantwortung, während Sie Ihre Politik mit der extremen Rechten verhandeln. So können wir nicht weitermachen", sagte sie.
Die Abstimmung über den Antrag am Donnerstag, den 10. Juli 2025, wird sehr wahrscheinlich zeigen, wie groß die Unzufriedenheit ist. Eine große Zahl von Enthaltungen könnte die Kommissare retten, gleichzeitig aber auch von der Leyen als politisch angeschlagen zurücklassen.