Die gewaltsamen islamistischen Proteste in Berlin um Düsseldorf am Wochenende polarisieren. Seyran Ateş, Imamin der einzig liberalen Moschee Deutschlands, warnte vor einer Islamisierung. Nun melden sich bei Euronews Imame zu Wort – werfen der Menschenrechtlerin eine "gefährliche" Wortwahl vor.
Seit den pro-Syrien-Regime Demonstrationen in Berlin und Düsseldorf nehmen die Diskussionen über eine islamistische Radikalisierung in Deutschland zu.
Bei den Protesten hatten letztes Wochenende Menschen die tödlichen Angriffe an Drusen in Syrien gefeiert und mit dem islamistischen Regime sympathisiert, Morde an der muslimischen Minderheit wurden verherrlicht. In Berlin nahmen rund 400 Menschen an den Protesten teil. In Düsseldorf waren es etwa 500 Teilnehmer, dort endete die Demonstartion in Gewalt, auch Polizisten wurden verletzt.
Die deutsch-türkische Imamin Seyran Ateş hatte bei Euronews die Demonstrationen kritisiert – und vor den Protestierern, die offen ihre Radikalität auf der Straße zeigen, eindringlich gewarnt: "Sie wurden nach Europa geschickt, um hier für Unruhe zu sorgen, Menschen für ihre Ideologie zu rekrutieren und an der großen Idee zu arbeiten, Europa zu islamisieren.“
Ateş mahnte auch, dass Sicherheitsbehörden mehr politischen Rückhalt brauchen. Gegenüber Islamisten werde "oft mehr Toleranz gezeigt, um nicht als islamfeindlich zu gelten."
Seyran Ateş, selbst Muslima, gründete 2017 die erste – bisher einzige – liberale Moschee in Deutschland, in der Frauen und Männer gleichberechtigt sind sowie Muslime mit jeglicher sexueller Orientierung offen ihre Religion ausüben können.
Imam hält dagegen: Islamisierungs-Aussage sei "gefährlich"
Wird Deutschland also extremistisch islamisiert? Gegenüber Euronews melden sich nun weitere Imame zu Wort. Sie sehen das anders – und warnen in andere Richtungen.
Benjamin Idriz, Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg (Bayern), hält nun dagegen: "Ich widerspreche der Unterstellung, dass 'der Islam' oder 'die Muslime' Europa bedrohen wollen." Wer den Begriff Islamisierung verwende, "schürt Islamfeindlichkeit", betont er.
Idriz meint gegenüber Euronews: "Die Aussagen von Frau Seyran Ateş, wonach junge Syrer angeblich" hierher geschickt werden, um Europa zu islamisieren, "halte ich pauschalisierend gefährlich und schlichtweg unverantwortlich".
Sie würden damit "Öl ins Feuer" gießen, wirft Idriz ihr vor. Es gäbe "natürlich Einzelne – mit oder ohne Migrationshintergrund –, die religiöse Begriffe missbrauchen", um gegen Andersgläubige zu hetzen. Die sei durch nichts zu rechtfertigen. Idriz insistiert: "Aber solche Menschen mit einer Religion oder einem gesamten Glauben zu identifizieren, ist ebenso falsch wie gefährlich"
Wer ist die liberale Imamin Seyran Ateş?
Die Feministin, Rechtsanwältin und Imamin Seyran Ates wurde durch ein konservatives Elternhaus geprägt. Sie kämpft dafür, den Islam zu reformieren. In Deutschland existiert bisher nur eine liberale Moschee – die von Ates' – , wo Homosexuelle als Imame willkommen sind.
2024 musste die Ibn-Rushd-Goethe Moschee vorübergehend wegen islamistischer Anschlagsplänen schließen.
Sie selbst wurde 1984 Opfer eines Anschlags der türkischen Rechtsextremisten "Graue Wölfe" in Berlin. Seit fast 18 Jahren steht sie unter Polizeischutz – trotzdem macht sie weiter, setzt sich für Gleichberechtigung der Geschlechter und LGBTQ-Rechte ein.
Viele in der muslimischen Welt empfinden das als Provokation. So auch die Fatwa-Behörde in Ägypten, die Gebete in ihrer Moschee für „nicht gültig“ erklärte.
Der Preis für ihren Kampf für einen liberalen Islam: Morddrohungen, Polizeischutz, Stress. Schon einige Male zog Ateş sich aus der Öffentlichkeit zurück.
Imam: "Ich widerspreche, dass 'der Islam' Europa verändern will"
Sowohl die radikalen Demonstrationen als auch die Warnungen von Imamin Seyran Ateş sorgten für Aufsehen. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) erklärte Donnerstag: „Menschenverachtende Demonstrationen haben in Berlin nichts zu suchen. Wenn zu Mord, Terror und Straftaten aufgerufen wird, dann gehört das nicht zu Berlin.“
Auch führende Islamismus-Experten warnten, dass diejenigen, die der islamistischen Opposition gegen Assad angehörten, hier eine Gefährdung der inneren Sicherheit darstellen. Mittlerweile gilt der Islamismus für viele Sicherheitsexperten als die größte Gefahr in Deutschland.
Imam Idriz hält nichts von der These, dass vereinzelnde Migranten mit islamistischen Absichten europäische Länder verändern wollen. "Ich widerspreche der Unterstellung, dass es „der Islam“ oder „die Muslime“ seien, die Europa verändern oder gar bedrohen wollten." Dies könne man daran sehen, dass viele Muslime Engagement in "in Schulen, Betrieben, Vereinen, Moscheegemeinden" leisten würden.
"Haben wir diese jungen Menschen wirklich gesehen, gefördert, einbezogen? Oder wurden sie – teils traumatisiert durch Krieg und Flucht – in den Randzonen unserer Gesellschaft sich selbst überlassen?", fragt Imam Idriz hinsichtlich der Syrer auf den islamistischen Demonstrationen.
Dann beteuert der Imam, dass der Begriff „Islamisierung“ ein "politisch aufgeladener Kampfbegriff", sei. Er würde aus "rechtspopulistischen Kontexten" stammen und eine "gezielte Unterwanderung Europas durch den Islam" suggerieren. Dies sei "ein Narrativ", das sich "nahe an Verschwörungsideologien" bewege. Wer ihn verwende, schüre "Islamfeindlichkeit".
Berliner Imam: Gäbe keinen Zusammenhang "mit dem Islam"
Ebenfalls empört ist der Berliner Imam Scharjil Khalid. "Die Funktion dieser selbsternannten Islamexperten scheint vor allem darin zu bestehen, vereinfachte Pauschalurteile zu fällen", sagt er zu Euronews.
Das würde man an der "entkontextualisierten Verwendung des Begriffs" Islamisierung erkennen. Der Begriff würde "zunehmend populistisch verwendet" werden, "ohne Rücksicht auf Kontext oder Differenzierung. So auch bei den Protesten in Berlin und Düsseldorf".
Khalid sieht mehr einen ethnischen Konflikt statt islamistische Ursachen. "Warum bringt Frau Ates diese Demonstrationen, bei denen es eindeutig um einen ethnischen Konflikt zwischen Drusen und Syrern ging, plötzlich in Zusammenhang mit dem Islam?"
Er erklärt, was er damit meint: "Dabei wissen wir, dass viele der muslimisch gelesenen Menschen religiös kaum gebildet sind. Auch bei extremistischen Gruppen wie Al-Qaida oder dem IS war das der Fall. Berichte haben gezeigt, dass viele Mitglieder kaum islamisches Wissen hatten, eine hohe Anzahl waren sogar Analphabeten. Trotzdem wird immer wieder pauschal ein direkter Zusammenhang zum Islam hergestellt."
"Was wir bei diesen Ausschreitungen beobachten, ist kein Ausdruck des Islam", betont Khalid, sondern "das Ergebnis tiefgreifender ethnischer und geopolitischer Probleme".
Jeder Aufruf zur Gewalt sei entschieden abzulehnen. "Als Imam und islamischer Theologe möchte ich an eine zentrale Überlieferung des Heiligen Propheten Muhammad (saw) erinnern: „Ein Muslim ist derjenige, von dessen Zunge und Hand die Menschen sicher sind.“
Empörung auch aus Österreich: "Gibt Muslime, die sind Deutscher als manche Deutsche"
Seyran Ateş Warnungen schlugen Wellen in ganz Europa, auch in Österreich. Der österreichisch-türkische Politikanalyst Ercan Karaduman sagt zu Euronews: "In allem Respekt zu beruflich erzielten Erfolgen der autochthonen Deutsch-Türk:innen, aber Angst schürende Verschwörungstheorien wie 'Die Islamisten wurden geschickt, um Europa zu islamisieren!' ist hierbei weniger nützlich!"
Karaduman saß schon mit Imamin Seyran Ates in der Talkshow "Talk im Hanger-7", um über das Thema Islam zu diskutieren. "Ich kann nicht nachvollziehen, dass Andersdenkende Morddrohungen ausgesetzt sind. Auch Muslime dürfen sowas nicht machen", sagte er damals über islamistische Todesdrohungen gegen Ates.
Es sei zu beobachten, wie durch die "Taliban in Afghanistan, die Al-Qaida mit 9/11, der Daesh-Terror in Syrien, die Hamas in Gaza, die Hisbollah im Iran und seine Ableger in Libanon Pauschalmeinungen über alle Muslime und den Islam in europäischen Gesellschaften bilden lässt!"
Karaduman findet das nicht gerechtfertigt: "Damit entstehen sogar Pauschalurteile über Muslime, die über Generationen hinweg sogar deutscher als die Deutschen in NRW leben!"
Hinsichtlich der radikalen Proteste in Berlin und Düsseldorf meint er, es würde nichts nützen, "den Islam als die Quelle des Problems" zu sehen. "Wir müssen uns auf die professionelle Extremismusprävention konzentrieren", sagt der österreichische Politikanalyst mit türkischen Wurzeln.
Es hätte keinen Mehrwert "mit dem Finger auf emotional geladene Menschen" auf der Straße zu zeigen. Schuldzuweisungen seien keine Methoden der Extremismusprävention. Sein harter Vorwurf an beide Seiten: "Die einen bekämpfen die Politik im Westen, verstehen sie gegen sich – die anderen bekämpfen den Islam, verstehen ihn als Übel für alles."