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Exklusiv: Wer sind die Drusen in Syrien und warum werden sie angegriffen?

Ein drusischer Milizionär wacht an einem Außenposten in der südsyrischen Provinz Suweida, 4. März 2025
Ein drusischer Milizionär wacht an einem Außenposten in der südsyrischen Provinz Suweida, 4. März 2025 Copyright  AP Photo
Copyright AP Photo
Von Gregory Holyoke & Euronews
Zuerst veröffentlicht am
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Nach den tödlichen Zusammenstößen im Süden Syriens sprach Euronews exklusiv mit religiösen Führern und Aktivisten der Gemeinschaft über die Ursprünge der Drusen und die Auswirkungen der jüngsten Gewalt.

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Nach den gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Drusen und Beduinenmilizen in der südlichen Region Suweida in Syrien in der vergangenen Woche, bei denen mehr als 1.000 Menschen getötet und fast 130.000 weitere vertrieben wurden, ist die religiöse Gruppe ins weltweite Rampenlicht gerückt.

Trotz der Gewalt sagte einer der drei religiösen Führer der Drusen, Hekmat Al-Hijri, in einem Interview mit Euronews, dass die Gruppe von "friedlichen Menschen begründet wurde, die in der Vergangenheit nie jemanden angegriffen haben" und sich auf drei Grundprinzipien stützen.

"Der Einsatz von Vernunft, Nichtangriff und Wahrhaftigkeit" sei das, worauf sich die Drusen stützen, erklärte Al-Hijri.

Dennoch sind den Drusen im Laufe ihrer 1.000-jährigen Geschichte Konflikte nicht fremd gewesen.

Religion der Einheit

Die Geschichte einer der komplexesten religiösen Gruppen des Nahen Ostens zu erklären, ist selbst für Eingeweihte kein leichtes Unterfangen. Wie ein religiöser Führer der Drusen gegenüber Euronews erklärte, "müssten wir bis in die Zeit der Propheten Schuaib und Moses zurückgehen".

Begründet in Ägypten im frühen 11. Jahrhundert als ein Ableger des ismailitischen Islams - der selbst ein Ableger des schiitischen Islams ist - wurde die drusische Doktrin Berichten zufolge erstmals 1017 in Kairo gepredigt, was zu Unruhen in der ägyptischen Hauptstadt führte.

Ein Großteil der grundlegenden Ideologie basierte auf der Persönlichkeit des fatimidischen Führers Al-Hakim, der von einigen abwertend als "der verrückte Kalif" bezeichnet und von anderen als göttlich auserwählter oberster Führer verehrt wurde.

Al-Hakim war eine umstrittene Figur, die der Verfolgung von sunnitischen Muslimen sowie von Christen und Juden beschuldigt wurde und 1021 auf mysteriöse Weise verschwand.

Was für die neu gegründete drusische Minderheit folgte, war geprägt von Diskriminierung und Verfolgung.

Sie wurden von Al-Hakims Nachfolgern weitgehend aus Ägypten vertrieben und ließen sich in den Bergregionen des Schamgebiets nieder, das das heutige Syrien, den Libanon und umstrittene Teile Israels umfasst.

Archiv: Ein Druse vor dem  Nabi-Schuaib-Schrein bei der jährlichen Pilgerfahrt zu der Wallfahrtsstätte in Nordisrael, 25. April 2025
Archiv: Ein Druse vor dem Nabi-Schuaib-Schrein bei der jährlichen Pilgerfahrt zu der Wallfahrtsstätte in Nordisrael, 25. April 2025 AP Photo

Ein großer Teil des drusischen Dogmas bleibt geheimnisumwittert. Ein drusischer Einwohner von Suweida, der aus einer Scheich-Familie stammt, aber aus Sicherheitsgründen anonym bleiben wollte, sagte Euronews, dass die Gruppe "der Religion der Tawhid (Einheit) folgt, die ein intellektueller und spiritueller Glaube ist, basierend auf der Idee, dass die Beziehung einer Person zu Gott eine spirituelle und intellektuelle ist, die nicht von auferlegten religiösen Ritualen abhängt".

Kurz gesagt, es handelt sich um einen "freiwilligen, nicht obligatorischen Glauben", der zu keiner anderen Religion gehört, auch nicht zum Islam. In der drusischen Weltanschauung bedeutet dies, dass die Gruppe "in der Lage ist, mit verschiedenen Sekten, Religionen und Ethnien zu harmonieren".

Seit 1043 ist die drusische Religion für neue Konvertiten gesperrt. Heute gibt es weltweit nur noch etwa eine Million Drusen, von denen über zwei Drittel in Syrien leben.

Kampf um die Freiheit

Im Laufe ihrer knapp tausendjährigen Geschichte haben die Drusen häufig Bündnisse mit verschiedenen Großmächten geschlossen. Während der Kreuzzüge unterstützten drusische Soldaten die ayyubidischen und später die mamlukischen Streitkräfte, indem sie sich dem Vormarsch der Kreuzfahrer an der libanesischen Küste widersetzten.

Auch während der jahrhundertelangen osmanischen Herrschaft bewahrten sie ein relativ hohes Maß an Autonomie und stellten deren Autorität um 1600 sogar in Frage, nachdem sie eine Koalition mit maronitischen Christen gebildet hatten.

In jüngerer Zeit, als die Region von den europäischen Mächten in die modernen Nationalstaaten aufgeteilt wurde, stellte Scheich Al-Hijri fest, dass die Drusen "zu denjenigen gehörten, die den Staat Libanon mitbegründet haben".

Der libanesische Drusenführer Kamal Jumblatt posiert inmitten bewaffnerter Anhänger  in seinem Hauptquartier in Mouktara, 5, Juli 1958
Der libanesische Drusenführer Kamal Jumblatt posiert inmitten bewaffnerter Anhänger in seinem Hauptquartier in Mouktara, 5, Juli 1958 AP Photo

In Syriens Nachbarland sind sie nach wie vor eine mächtige politische Kraft, die von einer Dynastie der Familie Jumblatt angeführt wird, die seit Generationen die mehrheitlich drusische Progressive Sozialistische Partei führt.

In Syrien ist die Geschichte eine andere, eine, die von "extremer Marginalisierung und abscheulicher sektiererischer Behandlung" geprägt sei, so der Scheich.

Die Gemeinschaft wurde nicht nur gespalten, als Israel die mehrheitlich drusischen Golanhöhen im Sechstagekrieg 1967 annektierte, sondern vier Jahre später kam die von Assad geführte Baath-Partei an die Macht, was nach Angaben von drusischen Führern und Aktivisten der Beginn von fünf Jahrzehnten Diskriminierung war.

"Das Assad-Regime marginalisierte die Drusen in einem solchen Ausmaß, dass es ihnen verboten war, einen Brunnen zu graben oder eine Fabrik zu bauen, und sie durften keine höheren militärischen Ränge erreichen", behauptet Al-Hijri.

Allerdings wird die Beziehung zwischen den Drusen und Hafez Al-Assad und seinem kürzlich abgesetzten Sohn Bashar nicht von allen als so schwierig dargestellt. Einige sind der Ansicht, dass das alte Regime religiöse Spannungen in einem Land unterdrückte, in dem etwa 20 % der 24 Millionen Einwohner religiösen Minderheiten angehören.

Es gab sogar Vorwürfe, dass die Assads, die selbst von einer anderen schiitischen Ablegergruppe, den Alawiten, abstammen, nicht-sunnitische Gruppen bevorzugt behandelt hätten.

Ein prominentes Mitglied der drusischen Gemeinschaft in Suweida sagte gegenüber Euronews: "Drusische Persönlichkeiten haben vom letzten Regime profitiert; sie haben mit ihm Geschäfte gemacht, sie haben die Ideen und Handlungen des Regimes unterstützt."

Die drusische Künstlerin und Aktivistin Tamara Abu Alwan beharrt jedoch darauf, dass viele, wenn nicht sogar die meisten Mitglieder der Minderheit, leidenschaftlich gegen Assad waren.

"Ich persönlich bin seit 14 Jahren an der Revolution beteiligt. Auch mein Vater hat seinen Job verloren, weil er ein Gegner des Regimes war. Wir waren alle in der Opposition. Wir waren eine Familie, die sich gegenseitig unterstützte und Hilfe in Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle leistete - auch wenn dies unser Leben gefährdete."

Als das Regime gestürzt wurde von den Truppen unter dem Kommando von Ahmed Al-Sharaa, einem ehemaligen islamistischen Milizenführer, dessen Pseudonym Al-Jolani von der arabischen Bezeichnung für die Golanhöhen abgeleitet wurde, sei sie so glücklich gewesen, erzählt Abu Alwan im Interview mit Euronews: "Ich habe geglaubt, dass die 14 Jahre mit all den Märtyrern, die Blut vergossen haben, vorbei sind. Aber dann stellte sich heraus, dass es nur der Anfang von etwas noch Schlimmerem war."

Der Komplott verdichtet sich

Die neuen Regierenden in Damaskus wurden von der internationalen Gemeinschaft weitgehend mit Vorsicht, aber auch Erleichterung begrüßt.

Al-Sharaa hat sich mit führenden Vertretern westlicher Mächte getroffen, darunter Großbritannien, die EU und die USA. Donald Trump nannte den Interims-Präsidenten sogar "gutaussehend".

Es folgte die Aufhebung vieler lähmender Sanktionen, die gegen das Assad-Regime wegen Verbrechen gegen das syrische Volk verhängt worden waren. Heute leben immer noch 90 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, und die Wirtschaft hängt am seidenen Faden.

Obwohl viele al-Sharaa dafür gelobt haben, dass er einem von mehr als einem Jahrzehnt Krieg verwüsteten Land Stabilität verliehen hat, kam es in Syrien mehrfach zu Ausbrüchen interethnischer Gewalt, insbesondere Anfang März, als alawitische Gemeinden in den Küstenregionen massakriert wurden.

Während al-Sharaa damals zur Ruhe aufrief und eine unabhängige Untersuchung der Behauptungen versprach, regierungsnahe Kräfte hätten die "Gewaltorgie", wie ein Kommentator sie nannte, ausgelöst, glauben viele, dass der Interims-Präsident mitschuldig war.

Ein Beduinenmilizionär macht das Siegeszeichen in den Vororten von Suweida, 18. Juli 2025
Ein Beduinenmilizionär macht das Siegeszeichen in den Vororten von Suweida, 18. Juli 2025 AP Photo

"Sie forderten (die Alawiten) auf, Waffen auszuhändigen", erzählt der drusische Bewohner von Suweida, der anonym bleiben will: "Als die Waffen übergeben wurden und das syrische Küstengebiet isoliert war, griffen sie an und verübten schreckliche Massaker gegen die Menschlichkeit. Ganze Dörfer wurden ausgerottet. Häuser und Wohnungen wurden niedergebrannt."

Scheich Hikmat stimmt dem zu: "Sie benutzen eine Gruppe aus der Gegend, um Unfrieden zu stiften, und dann führen sie Massentötungen gegen ihre Gegner durch."

Der geistliche Führer behauptet, er habe die jüngste Gewalt schon Monate zuvor vorausgesehen. "Sie haben sieben Monate lang eine systematische Medienkampagne durchgeführt", erinnert er sich, und diese hat seiner Meinung nach ethnische Spannungen geschürt.

"Es gab sogar Wochen, in denen Suweida mehr als 25 % der Nachrichten in der arabischen Welt einnahm, obwohl es keine offenen Streitigkeiten oder Zusammenstöße gab, was eindeutig auf einen vorsätzlichen Plan gegen die Drusen hindeutet."

Vertrauen in al-Sharaa erodiert?

Ende April schlugen die Spannungen in Gewalt um und resultierten in fast 100 Toten unter drusischen Kämpfern.

Mehr als 30 Kämpfer der Regierung wurden ebenfalls getötet, und die israelischen Streitkräfte flogen Luftangriffe, auch in der Nähe des Präsidentenpalastes. Dies erwies sich als ein Vorspiel für das, was noch kommen sollte.

Am 13. Juli brachen im Süden Syriens erneut Kämpfe aus, bei denen sich Beduinen- und Drusen-Milizen gegenseitig großer Massaker und Kriegsverbrechen beschuldigten.

Die internationale Gemeinschaft verurteilte die Gewalt schnell, und die EU erklärte, sie sei "entsetzt", ohne jedoch die Schuld der einen oder anderen Seite zuzuweisen.

Die neu gewonnenen und zaghaften westlichen Unterstützer Syriens "begrüßten" jedoch eine von al-Sharaa am vergangenen Donnerstag verkündete Waffenruhe, in der der syrische Staatschef erklärte, es sei seine "Priorität", die Drusen zu schützen.

Drusische Milizen bewachen einen Kontrollpunkt nach den gewaltsamen Zusammenstößen von Drusen und regierungsnahen Kämpfern, 29. April 2025
Drusische Milizen bewachen einen Kontrollpunkt nach den gewaltsamen Zusammenstößen von Drusen und regierungsnahen Kämpfern, 29. April 2025 AP Photo

Für Tamara Abu Alwan klingen seine Worte hohl. "Er hat den Respekt vor dem syrischen Volk verloren", sagt sie Euronews.

"Ich habe geliebte Menschen und Freunde umsonst verloren, weil diese Kriminellen ein Regime übernommen haben, das sie nicht verdient haben. Deshalb glaube ich nicht, dass Ahmed Sharaa noch lange durchhalten wird".

In seiner Ansprache an die Nation verurteilte al-Sharaa auch Syriens Nachbarn Israel für die Luftangriffe und den Versuch, "unser Volk in einen Krieg zu verwickeln, der nur dazu dient, unser Heimatland zu zerstückeln und Zerstörung zu säen"

Die jüngsten Angriffe Israels im Herzen von Damaskus fanden international wenig Unterstützung. Al-Hijri verteidigte Israel und erklärte, dass "99 %" der drusischen Bevölkerung hinter ihm stünden: "Israel hat versucht, Beziehungen zum Regime in Damaskus aufzubauen und war eines der Länder, die ihm eine Chance gaben. Doch als das Regime die Drusen angriff und mehrere Warnungen ignorierte, schlugen sie in Damaskus zu."

"Wir begrüßen diese Aktion, die dazu beitragen könnte, die grausamen und barbarischen Kampagnen gegen uns zu beenden".

Privat äußerten sich einige Drusen, mit denen Euronews sprach, zurückhaltender über Israels Aktionen.

"Ich habe von diesen Angriffen in der Gegend von Damaskus gehört", berichtet eine Person. "Zur gleichen Zeit versuchten wir, vor den Massakern zu fliehen. Wir haben versucht, aus diesem Land zu fliehen."

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