Österreich drängt in Brüssel auf Entschädigung für die Raiffeisen Bank, die in Russland Milliardenverluste erlitt. Diplomaten warnen vor einem gefährlichen Präzedenzfall, der das EU-Sanktionsregime ins Wanken bringen könnte.
Der jüngste Versuch der EU, Moskau mit einer neuen Sanktionsrunde unter Druck zu setzen und Wladimir Putin zu einem Waffenstillstand in der Ukraine zu bewegen, hat einen unerwarteten Nebeneffekt: Er bringt die Raiffeisen Bank International (RBI) ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Österreichs zweitgrößte Bank und eines der größten Finanzinstitute Osteuropas steht im Fokus, während Diplomaten mit Skepsis einen heiklen Vorschlag prüfen: Wien drängt darauf, Raiffeisen für Verluste zu entschädigen, die auf die Sanktionen gegen Russland zurückgehen – ein Schritt, der in Brüssel als gefährlicher Präzedenzfall gilt. Die Raiffeisen Bank betreibt immer noch eine erfolgreiche Tochtergesellschaft in Russland.
Zum Ende des zweiten Quartals 2025 verfügte die Raiffeisen Bank Russland über ein Eigenkapital von mehr als 5,3 Milliarden Euro und betreute rund drei Millionen Kunden. Doch im Januar traf sie ein schwerer Rückschlag: Ein russisches Gericht verpflichtete die Bank, über zwei Milliarden Euro Schadenersatz an die Investmentgesellschaft Rasperia Trading zu zahlen.
Wie Raiffeisen Euronews schriftlich mitteilte, geht es in dem Streit um die Strabag, ein österreichisches Bauunternehmen. Sowohl Rasperia als auch Raiffeisen Niederösterreich/Wien sind daran beteiligt.
Bis März 2024 stand Rasperia unter der Kontrolle des Oligarchen Oleg Deripaska, der wegen seiner Nähe zum Kreml bereits kurz nach Beginn des großangelegten russischen Angriffskrieges von der EU sanktioniert wurde.
Der EU-Rat begründete seine Entscheidung damit, dass Deripaska „für Handlungen oder politische Maßnahmen verantwortlich ist, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben“.
Zwei Jahre später wurde auch Rasperia selbst auf die Sanktionsliste gesetzt – zusammen mit mehreren Unternehmen und Strohmännern, die Deripaska für die Umgehung der Sanktionen genutzt haben soll. Die 28,5 Millionen Strabag-Aktien im Besitz von Rasperia wurden eingefroren, wodurch das Unternehmen keine Dividenden mehr erhielt.
Ende 2023 versuchte Raiffeisen, diese Anteile zu übernehmen. Doch die USA hatten Bedenken, weil der Handel eine Umgehung der Sanktionen darstellen könnte. Daraufhin leitete Rasperia rechtliche Schritte ein. Das Unternehmen forderte Schadenersatz für die eingefrorenen Aktien sowie entgangene Dividenden.
Nachdem die Klage in Österreich scheiterte, entschied ein russisches Gericht zugunsten von Rasperia – und verpflichtete Raiffeisens russische Tochtergesellschaft zur Zahlung von 2,1 Milliarden Euro.
Da Strabag in Russland kein pfändbares Vermögen hat, blieb die Tochtergesellschaft Raiffeisen Bank Russland auf der Forderung sitzen. Die Raiffeisen-Anwälte kritisierten, das russische Gericht habe mit Einschüchterungstaktiken gearbeitet und die Beweisführung behindert.
Eine diplomatische Büchse der Pandora
Inzwischen ist der Fall in Brüssel gelandet. Österreich fordert, die Sanktionen gegen Rasperia aufzuheben, damit die eingefrorenen Strabag-Aktien an Raiffeisen übertragen werden können – und so die milliardenschwere Abschreibung ausgeglichen wird.
„Die RBI hat keine Geschäftsbeziehungen zu Rasperia, verlangt aber Entschädigung für den von Rasperia in Österreich verursachten Schaden. Rasperia besitzt weiterhin eingefrorene Vermögenswerte in Österreich (bei der Strabag), auf die die RBI zugreifen möchte“, erklärte ein Sprecher der Bank gegenüber Euronews. Das könne „entweder durch eine Schadenersatzklage in Österreich oder über das derzeit diskutierte 19. EU-Sanktionspaket“ erfolgen.
Das österreichische Außenministerium wollte sich nicht dazu äußern. Doch klar ist: Jede Änderung des Sanktionsregimes erfordert Einstimmigkeit unter den EU-Mitgliedstaaten – und die scheint in weiter Ferne.
Wiens Ambitionen stoßen an ihre Grenzen: Diplomaten berichteten Euronews, dass kein anderer Mitgliedsstaat bereit sei, Wiens Vorstoß zu unterstützen. Die Sorge sei groß, damit die Büchse der Pandora zu öffnen und ähnliche Forderungen anderer Staaten zu legitimieren.
Die EU-Kommission versucht, einen Balanceakt zu vollziehen: Sie will Wien nicht verärgern, gibt intern aber zu, dass der Plan höchst umstritten ist.
In der ursprünglichen Entwurfsfassung des Sanktionspakets war der Raiffeisen-Fall gar nicht vorgesehen. Sie wurde vergangenen Monat vorgestellt. Erst später wurde der Fall auf österreichischen Druck hin ergänzt.
Da Einstimmigkeit kaum erreichbar scheint, dürfte der Vorschlag letztlich scheitern – es sei denn, Wien nutzt sein Vetorecht. Im Gegensatz zu Ungarn oder der Slowakei ist Österreich jedoch bislang nicht dafür bekannt, EU-Entscheidungen im Alleingang zu blockieren.
„Wir sind auf einem guten Weg. Es gibt kaum noch wesentliche Meinungsverschiedenheiten“, sagte ein hochrangiger Diplomat mit Blick auf das neue Paket.
Raiffeisen im Zwielicht
Ein Grund für die Zurückhaltung der EU-Partner: Raiffeisen ist der letzte große westliche Kreditgeber, der weiterhin in Russland aktiv ist – trotz mehr als dreieinhalb Jahren Krieg und massiver Sanktionen.
Die Yale School of Management, die den Rückzug westlicher Unternehmen aus Russland dokumentiert, listet Raiffeisen als eines der Institute, die sich dort „eingraben“.
Seit Ende 2022 versuche Raiffeisen, ihre russische Tochtergesellschaft zu verkaufen. Doch dafür braucht es die Zustimmung von fünf Regulierungsbehörden – darunter der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Präsidialamt in Moskau. Der Verkauf ist bisher noch nicht zustande gekommen.
„Wenn wir am Ende der Liste (der potenziellen Käufer) angekommen wären, würden wir das sagen“, erklärte Raiffeisen-Chef Johann Strobl kürzlich. „Wir geben nicht auf.“
Strobl hofft, dass der Rechtsstreit bald beigelegt wird. Sollte Brüssel den österreichischen Plan ablehnen, will die Bank in Österreich beantragen, die eingefrorenen Rasperia-Anteile an der Strabag zu verkaufen und den Erlös als Schadenersatz zu erhalten. „Wir sind zuversichtlich, dass wir Entschädigung bekommen werden“, so Strobl.