Drusenfürst Walid Dschumblat: "Eine Übergangszeit für Syrien ist unmöglich"

Drusenfürst Walid Dschumblat: "Eine Übergangszeit für Syrien ist unmöglich"
Copyright 
Von Euronews
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button
Den Link zum Einbetten des Videos kopierenCopy to clipboardCopied

Walid Dschumblat ist Chef der libanesischen Sozialistischen Fortschrittspartei und einflussreicher Führer der Drusen im “Land der Zedern”. Der

WERBUNG

Walid Dschumblat ist Chef der libanesischen Sozialistischen Fortschrittspartei und einflussreicher Führer der Drusen im “Land der Zedern”. Der 66-Jährige ist ein Gegner der syrischen Einflussnahme auf den Libanon und ein Gegner Israels.

Euronews-Reporterin Randa Abou Chacra: “Beginnen wir mit einem aktuellen Thema, Sie haben gesagt, dass die blutigen Anschläge in Paris Ressentiments gegen Araber und Muslime schüren könnten. Ihrer Meinung könnte es zu einer Eskalation der Gewalt führen. Wie würde sich das auswirken?”

Walid Dschumblat: “Auswirkungen könnten sein, dass man die Anzahl der syrischen Flüchtlinge begrenzt, die vor den Massakern des syrischen Regimes fliehen. Außerdem ein Aufstieg der faschistischen und rassistischen Rechten, wie Marine Le Pen in Frankreich und selbst der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy ist nicht weit weg von dieser Position der französischen und europäischen rechten Parteien. Eine weitere Auswirkung könnte man in verschiedenen europäischen Ländern sehen, die den Kern dieser faschistischen rechten Organisationen bilden wie beispielsweise in Deutschland, in Schweden und in vielen anderen Ländern. Der sogenannte “Islamische Staat” versucht uns, die gesamte Menschheit, in einen Konflikt zu treiben, einen Konflikt zwischen verschiedenen Kulturräumen so wie nach der Hypothese, die der gottverdammte amerikanische Denker Samuel Huntington in seinem Werk “Kampf der Kulturen” aufstellte. Das Problem ist, dass die dritte Generation arabischer Einwanderer in westlichen Ländern nicht in der Lage ist, sich anzupassen, sich zu integrieren und in Harmonie mit der Gesellschaft zu leben. Denn sie kennt weder ihre Ursprünge noch die des Islams, sie lehnt den französischen Säkularismus ab sowie die Integration in westliche Länder.”

Euronews: “Was sind Ihrer Meinung nach die Auswirkungen des türkischen Abschusses des russischen Militärflugzeugs?”

Walid Dschumblat: “Die Türkei kann kein russisches Flugzeug angreifen, ohne sich auf die eine oder andere Weise mit der NATO abgestimmt zu haben. Es ist nicht das erste Mal, dass der türkische Luftraum verletzt wurde. Aber dieses Mal, denke ich, handelt es sich um einen Konflikt zwischen der NATO und Russland und das hat die Spannung auf internationaler Bühne erhöht. Es begann mit der Krimfrage und der Ukraine, aktuell stellt sich Russland gegen die Türkei. Die Antwort darauf war offensichtlich sehr gewalttätig, aber ich glaube nicht, dass die Vergeltungsmaßnahme ein Angriff auf ein türkisches Flugzeug sein wird. Russland wird dagegen die syrischen Zivilisten turkmenischen Ursprungs bombardieren, um sie aus der Region Latakia zu vertreiben.”

Euronews: “Ist Ihrer Meinung nach das Sykes-Picot-Abkommen von 1916, auf das die aktuellen Ländergrenzen in der Region zurückgehen, immer noch relevant?”

Walid Dschumblat: “Diese Vereinbarung ist tot. Heute stehen wir am Anfang eines langen Wegs, der neue Grenzen zwischen den Minderheiten ziehen wird. Zwischen kurdischen und turkmenischen Minderheiten sowie zwischen Religionen und Konfessionen. Wir stehen erst am Anfang eines langen Prozesses. Aber ich glaube nicht, dass der syrische und der irakische Staat bestehen bleiben werden.”

Euronews: “Vor Kurzem haben Sie gesagt, dass Syrien zum Streitobjekt zwischen den Nationen wurde, dass es einen Wettlauf darum gibt, wer es bekommt bzw. das, was davon übrig ist, dass wir ganz am Anfang dieses Konflikts stehen. Was meinen Sie damit?”

Walid Dschumblat: “Baschar al-Assad glaubte, die syrische Revolution unterdrücken und ersticken zu können, die Revolution der Jugendlichen von Daraa von 2011. Dieser Versuch ist fehlgeschlagen. Die Revolution hat sich überall ausgebreitet und in einen bewaffneten Konflikt verwandelt. Assad wurde von den Ereignissen überrollt. Er hat nicht mehr die Souveränität in Syrien. Heute werden die Entscheidungen größtenteils von den Iranern auf der einen und den Russen auf der anderen Seite getroffen. Darüber hinaus gibt es die westliche Koalition, die für eine Übergangszeit zwischen dem syrischen Regime und der Opposition plädiert. Meiner Meinung nach ist diese Lösung aufgrund der Struktur des Regimes, das ich gut kenne, unmöglich. Deswegen wird es ein sehr langer Konflikt werden.”

Euronews: Was wäre Ihrer Meinung nach die beste Lösung für die Syrienkrise?”

Walid Dschumblat: “Ich sehe keine Lösung, ich sehe keine angemessene Lösung. Es wäre möglich gewesen, es hätte eine Möglichkeit gegeben. Aber die ist heute nicht mehr gültig. Am Anfang der Revolution hätte es eine Aussöhnung und eine Überleitung zu freien Wahlen geben können, politische Pluralität bei den Präsidentschaftswahlen, um Assad zu ersetzen. Aber das ist heute nicht mehr möglich. Denn mit diesem Meer aus Blut einen Weg für einen friedlichen Wandel zu finden, ist eine Einbildung. Wie ich Ihnen am Anfang des Interviews sagte, stehen wir am Anfang eines langen Weges, egal ob in Syrien oder im Irak.”

Euronews: “Sprechen wir über die politische Situation im Libanon, ein Land, das seit anderthalb Jahren ohne Präsident ist. Laut aktuellen Gerüchten ist Suleiman Frangieh der Favorit für diesen Posten. Warum er?

Walid Dschumblat: “Ich war einer der ersten, der Suleiman Frangieh als Präsidentschafskandidaten unterstützt hat. Warum nicht? Seit anderthalb Jahren drehen wir uns im Kreis und haben Parlamentssitzungen erlebt, die zu nichts führten. Also warum nicht er schlussendlich? Der Libanon ist politisch zwischen den Partisanen des syrischen Regimes und des Irans einerseits und den sogenannten “Souveränisten” andererseits geteilt. Letztere werden von Ländern wie den USA und Saudi Arabien unterstützt. Um einen Kompromiss zu erreichen, hat man Suleiman Frangieh als Präsidenten und Saad Hariri als Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Warum dieser Vorschlag? Einzig und allein weil die Institutionen am Rand eines völligen Zusammenbruchs stehen und weil die wirtschaftliche Situation sehr schlecht ist. Daher wird das kommende Jahr sehr schwierig.”

Euronews: “Erstaunlicherweise gewinnt man den Eindruck, dass dieser Vorschlag wie früher die Wahl des Assad-Regimes ist, da Frangieh Assad sehr nahe steht.”

Walid Dschumblat: Ich bin in keinster Weise mit dieser Theorie einverstanden. Ich bin für meine Äußerungen verantwortlich. Ich habe das bereits von mir Nahestehenden, den sogenannten “Souveränisten” und anderen gehört. Aber ich glaube, Baschar al-Assad hat andere Sorgen, als sich mit libanesischen Angelegenheiten zu beschäftigen. Was würde er außerdem im Libanon gewinnen? Es gibt bereits die Hisbollah, die bei den Kämpfen in Syrien mitmacht. Er hat keinen Profit davon. Nichts. Wie ich Ihnen bereits am Anfang sagte, wird der Konflikt weitergehen. Wir arbeiten an einer Übereinkunft, Politik, Sie wissen, da geht es um Kompromisse.”

Euronews: “In einem Tweet haben Sie an Russlands Präsident Wladimir Putin gewandt gesagt, dass ihr Stammsitz Muktara in guten Händen ist. Was meinen Sie damit?”

Walid Dschumblat: Manchmal versende ich gern zynische Tweets. Ich habe irgendwo gelesen – vielleicht ist es falsch, vielleicht nicht – dass der der libanesische Außenminister Gebran Bassil versucht hätte, die Russen gegen mich aufzubringen. Und dass mein Freund, der russische Vizeaußenminister Michael Bogdanov ihm äußerst höflich geantwortet hat, dass ‘Muktara in guten Händen ist und dass Walid Dschumblat immer unser Freund bleiben wird’. Es gibt eine lange Beziehung zwischen uns, früher mit der Sowjetunion und jetzt mit Russland. Und unser Außenminister versteht überhaupt nichts von dieser Beziehung.”

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Israel meldet Tötung von Hisbollah-Kommandeur

Kein Frieden in Sicht: 71 Tote in 24 Stunden durch Israesl Bomben in Gaza

Viele Tote bei Angriffen im Gazstreifen und im Norden Israels