Jaroslaw Kurski : "Die Regierung hasst uns"

Jaroslaw Kurski : "Die Regierung hasst uns"
Von Hans von der Brelie
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Euronews-Interview mit dem stellvertretenden Chefredakteur der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Ist die Pressefreiheit in Polen in Gefahr?

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Ist die Pressefreiheit in Polen in Gefahr? Die internationale Nichtregierungsorganisation “Reporter ohne Grenzen” veröffentlicht jedes Jahr ein Ranking, mit dem Veränderungen bei der Pressefreiheit rund um den Globus bewertet werden. Bei diesem weltweiten Vergleich stürzte Polen spektakulär ab. Euronews-Reporter Hans von der Brelie wollte wissen warum und verabredete sich in Warschau mit Jaroslaw Kurski, dem stellvertretenden Chefredakteur der linksliberalen polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

euronews:
Ende des vergangenen Jahres mussten Sie fast 200 Mitarbeiter entlassen, etwa zwanzig Prozent der Gesamtbelegschaft! Warum?

Jaroslaw Kurski:
Wir stehen vor zwei Herausforderungen. Erstens, politische Unterdrückung. Zweitens, veränderte Mediennutzung. Die Menschen greifen seltener zur Papierausgabe und blicken häufiger auf ihre Bildschirme.

euronews:
Politische Unterdrückung? Das müssen Sie schon etwas genauer erklären.

Jaroslaw Kurski:
Unsere Zeitung, Gazeta Wyborcza, ist gewissermaßen ein Kind der “samtenen Transformation” Ende der 80er Jahre in Polen, ein Kind der Gespräche am “runden Tisch”, ein Kind der erfolgreichen politischen Transformationsprozesse. Die aktuelle Regierung steht diesen großen Erfolgen Polens mißtrauisch gegenüber. Polens Erfolg basiert auf der Eingliederung in die NATO, in die Europäische Union und auf dem erfolgreich durchstandenen Abenteuer eines zivilisatorischen Umbruchs. Und genau deswegen hasst uns die Regierung. Denn alle diese Veränderungen werden von der Regierung als Ergebnis einer angeblichen Verschwörung der postkommunistischen Eliten ausgelegt. Und Gazeta Wyborcza ist ein Symbol dieses Wandels. Genau deshalb hat es die Regierung auf uns abgesehen.

euronews:
Und wie macht sich diese “politische Unterdrückung” in Ihrem Redaktionsalltag bemerkbar?

Jaroslaw Kurski:
Sofort nach dem Regierungswechsel wurden massenhaft Abo-Verträge gekündigt. Die Gerichte bestellten Gazeta Wyborcza ab, die Justizverwaltung und andere Behörden kündigten den Bezug unser Zeitung. Die Regierung wie auch sämtliche Staatsbetriebe schalten keine Werbung mehr und kündigten bestehende Werbeverträge. Selbst Todesanzeigen werden seitens der öffentlichen Hand nicht mehr bei uns in Auftrag gegeben. Die Idee ist, uns wirtschaftlich gesehen die Luft zum Atmen zu nehmen. All das kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, denn weltweit gesehen ändern sich die Nutzergewohnheiten und es ist generell eine schwierige Zeit für Medien.

euronews:
Hat dieser Konflikt noch weitere konkreten Auswirkungen?

Jaroslaw Kurski:
Von Anfang an demonstrierten militante Anhänger der (nationalkonservativen) PiS-Partei vor den Türen des Verlagsgebäudes der Gazeta Wyborcza. Wir hatten sogar schon demonstrierende Rosenkreuzer vor dem Eingang. Die Gazeta Wyborcza wurde als “Lügenpresse” diffamiert, als Bannerträger der Multi-Kulti-Ideologie. Es gab Demonstrationen, die uns beschuldigten, islamistische Terroristen nach Polen bringen zu wollen…

euronews:
Warum steht immer wieder die Gazeta Wyborcza im Fadenkreuz der ultrakonservativen Kritiker?

Jaroslaw Kurski:
Nachdem die Regierung die öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten unter ihre Kontrolle gebracht hatte, blieben in letzter Konsequenz nur noch einige der privaten Medien übrig, die für Meinungsfreiheit auf die Barrikaden gingen, wie etwa die Gazeta Wyborcza, aber nicht nur. Auch der polnische Sender TVN, der den Amerikanern gehört, und auch viele lokale Medien Polens, die großteils deutsche Kapitalbeteiligungen haben, kann man hier erwähnen.

euronews:
Die rechtspopulistische Regierung plant ein Gesetz zur “Repolonisierung”. Was hat es damit auf sich?

Jaroslaw Kurski:
Autoritäre Machthaber sind nicht in der Lage, Medien zu akzeptieren, in denen rivalisierende Ansichten veröffentlicht werden. In Polen wurde bereits die Verfassungsgerichtsbarkeit ausgehebelt und damit die Gewaltenteilung beschädigt. Montesquieu wäre damit nicht einverstanden gewesen. Als nächste Etappe auf diesem Weg ist nun die “Repolonisierung” der Medien geplant, das heißt, es soll eine Obergrenze für ausländische Kapitalbeteiligungen eingeführt werden, hier haben offenbar Orban und Putin Pate gestanden.

euronews:
Offenbar wird nun auch ein neues Anti-Monopol-Gesetz gegen Sie in Stellung gebracht?

Jaroslaw Kurski:
Die Regierung denkt daran, ein Anti-Konzentrations-Gesetz zu schaffen, ein Gesetz, das man auch “Lex Agora” nennen könnte. Agora ist der Name unseres Verlagshauses. Zu unserer Gruppe gehören auch Kinos, Internetmedien (Radio und Fernsehen)… Deshalb sind die politischen Machthaber der Auffassung, dass wir Monopolisten sind und dass man unsere Agora-Gruppe zerschlagen sollte. Natürlich handeln die nicht aus hehren, idealistischen Beweggründen, sondern aufgrund praktischer Überlegungen. Die politischen Machthaber wollen uns ersticken, die Finanzen abgraben, uns (wirtschaftlich) erledigen, töten.

euronews:
Sehen Sie einen Zusammenhang mit den kommenden Lokalwahlen?

Jaroslaw Kurski:
Selbst die Sprecherin der regierenden PiS-Partei, selbst Partei-Chef Jarosław Kaczyński sagen ganz offen, dass man nicht akzeptieren könne, dass regionale Medien “in deutscher Hand” seien und dass es hinsichtlich der Lokalwahlen wirklich wichtig sei, diese Medien unter Kontrolle zu bekommen. Da haben Sie Ihre Antwort. Doch diese Antwort gilt nicht nur in Bezug auf die Lokalwahlen, sondern auch auf nationaler Ebene (hinsichtlich der Parlamentswahlen, die vermutlich im Herbst 2019 stattfinden werden; Anmerkung der Redaktion), denn Gazeta Wyborcza und TVN sind Oppositionsmedien.

euronews:
Und was ist mit den digitalen Medien?

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Jaroslaw Kurski:
Sicher, in Polen existieren viele soziale Medien. Glücklicherweise! Doch das ist ganz etwas anderes. Die traditionelle Referenz-Zeitung, das sind wir, Gazeta Wyborcza. Wir liefern vertrauenswürdige Informationen. Deshalb sind wir auch ein Symbol der Erfolgsgeschichte der dritten Republik. Und gerade in dieser Eigenschaft als Erfolgs-Symbol (des gesellschaftlichen Wandels; Anmerkung der Redaktion) sind wir in den Augen der Machthaber das Böse schlechthin.

euronews:
Der Präsident des Polnischen Journalistenverbandes, Krzysztof Skowronski, sieht das nicht so. Er verteidigt die Regierungslinie und rechtfertigt im Euronews-Gespräch sowohl den politisch motivierten Austausch an der Spitze der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten Polens wie auch das geplante Gesetzesvorhaben zur “Repolonisierung”. Warum widersprechen Sie dem Polnischen Journalistenverband?

Jaroslaw Kurski:
Das macht mich gewissermaßen traurig. Ich habe Krzysztof Skowronski noch als mutigen jungen Mann in Erinnerung, der sich gegen das Staats- und Meinungsmonopol des Kommunismus einsetzte, damals… Und heute entpuppt er sich als Diener der Macht. Wenn eines ganz bestimmt nicht die Rolle eines Journalisten sein sollte, dann dies, Diener der Macht zu sein. Unsere Aufgabe, ja Pflicht besteht darin, kritisch zu sein, zu hinterfragen, unbequeme Fragen zu stellen. Es gibt keinerlei Rechtfertigung, die Meinungsfreiheit zu beschränken. Dieser Mann weiß, dass die PiS-Regierung 250 Journalisten der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten Polens gefeuert hat, von heute auf morgen, einfach so (Kurski schnippt mit der Hand). Seit dem Kriegsrecht (in den 80er Jahren zur Zeit des Kommunismus, Anmerkung der Redaktion) gab es keine vergleichbaren Säuberungen mehr. Es geht hier nicht einfach nur darum, persönlich Stellung zu beziehen. Es geht hier um mehr: Es geht um grundlegende Werte.

euronews:
Auf dem Index für Pressefreiheit, erstellt von der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen, steht Polen nun neben der Islamischen Republik Mauretanien. Bekleidete Polen 2015 noch einen Toplistenplatz weit oben im internationalen Pressefreiheitsranking (Platz 18), stürzte es 2016 ab auf Platz 47. Am Telefon hat mir eine Mitarbeiterin der Organisation gesagt, dass Polen “gute Chancen” habe, in diesem Jahr noch weiter in die Kellerliga abzusteigen, in wenigen Tagen wird das neue Ranking veröffentlicht werden. Halten Sie diese vernichtende Kritik für überzogen oder für gerechtfertigt?

Jaroslaw Kurski:
Wenn Sie heute einen Blick auf die Medienlandschaft Polens werfen, dann müssen Sie leider feststellen, dass die großen öffentlich-rechtlichen Medien Polens zu Propaganda-Kanälen umgebaut wurden. Was hier abläuft, ist die Rückkehr der Propaganda – wie zur Zeit des Kommunismus, nur mit umgekehrten Vorzeichen.

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