5 Gründe für den Erfolg der Anti-Impf-Bewegung

5 Gründe für den Erfolg der Anti-Impf-Bewegung
Von Johannes Pleschberger
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Italiens Anti-Establishment-Regierung hat die Impfpflicht für Kinder wieder aufgehoben. Aber warum ist gerade in Italien die Anti-Impf-Bewegung so stark?

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Italiens neue Koalitionsregierung wurde in den letzten Tagen dafür kritisiert, dass sie ein Gesetz rückgängig gemacht hat, das usprünglich zehn Impfstoffe für Kinder vorschreibt.

Sie setzte die Verpflichtung der Eltern aus, den Nachweis zu erbringen, dass ihre Kinder vor Beginn des Kindergartens oder der Vorschule geimpft wurden. Kritiker sagen, dass das Land damit ins Mittelalter zurückkehren wird.

Aber was denken die Leute, die hinter dieser Gesetzesänderung stehen und warum hat Italien so eine wachsende Anti-Impf-Bewegung?

Sie bevorzugen die Bezeichnung "Wahlfreiheit" (Pro-Choice) gegenüber "Anti-Impfstoff".

Letztes Jahr hatte die vorige italienische Regierung ein neues Gesetz eingeführt, das Eltern verpflichtet, ihre Kinder gegen zehn Krankheiten zu impfen, bevor sie sich in die Schule einschreiben dürfen. Es ist diese Verpflichtung, die einen Teil der Anti-Impfstoff-Bewegung im Land verärgert zu haben scheint.

Nadia Gatti, Präsidentin von CONDAV (Italiens nationalem Zentrum für Menschen, die durch Impfstoffe geschädigt wurden) sagte zu Euronews, die Vereinigung sei eher für eine Wahlfreiheit als gegen Impfungen.

"Wir glauben, dass die Menschen die Freiheit haben sollten, selber zu entscheiden, ob sie ihre Kinder impfen wollen oder nicht. Es ist wichtig, Eltern, die Angst vor Impfungen haben - aus welchen Gründen auch immer, ob wissenschaftlich gültig oder nicht - nicht zu zwingen, sie um jeden Preis durchzuführen.

Wenn der Staat sagt, dass es einen Notfall gibt und wir noch eine Impfung brauchen, bin ich damit einverstanden, solange er die Möglichkeit von Nebenwirkungen anerkennt und den Eltern hilft, die sich dieser Situation stellen müssen. Zu sagen, dass es keine Komplikationen gibt, oder über die Tatsache zu lügen, dass sie nicht 100-prozentig sicher sind, ist wie zweimaliges Töten dieser Kinder.

Masern? Ich bin damit einverstanden, einen Impfstoff zu haben. Aber lasst uns nicht einfach alle 10 gleichzeitig haben, oder neun von ihnen gleichzeitig. Ich bin dafür, dass der Staat vier bis fünf Impfungen vorschreibt, die anderen aber den Eltern überlassen bleibt."

Das sind die fünf wichtigsten Gründe weshalb die italienische Anti-Impf-Bewegung so viel Rückenwind hat:

1. Weniger Vertrauen in Institutionen

Dr. Mark Muscat, ein Spezialist für öffentliche Gesundheit bei der WHO, reagierte auf Italiens Impfstoffe in der "Good Morning Europe"-Sendung von Euronews. Es sei ein Trend, der scheinbar prominenter denn je ist: ein Misstrauen gegenüber dem "Establishment" und seinen Institutionen, von Trumps Angriffen auf die "Fake News"-Medien in den USA bis hin zu Entlassungen von Expertenmeinungen im Vorfeld des Brexit-Referendums. Und Italien ist nicht immun.

"Es gibt in Italien eine wirklich weit verbreitete Skepsis, die sich in diesem Sinne niederschlägt, Experten sind machtlos und es gibt nichts, was sie tun können, um Ihre eigene Position zu verbessern", sagte Daniele Albertazzi, ein Experte für italienische Politik von der Universität Birmingham gegenüber Euronews. "Die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung sind sehr gut darin, dieses Gefühl der Verzweiflung und das Gefühl, dass die politischen Institutionen des Landes gegen die Interessen des Volkes arbeiten, zu schüren."

Diese Skepsis hat sich auf Ärzte und Wissenschaftler in Italien ausgebreitet und ist Teil eines globalen Trends des Misstrauens gegenüber Mediatoren, so Andrea Grignolio, der an der Universität La Sapienza in Rom Geschichte der Medizin und Bioethik lehrt.

2. Beeinflussung durch ungefilterte Medien

"Es ist wichtig zu betonen, dass der Einsatz von Social Media, die eine horizontale und filterfreie Kommunikation nutzen, um Informationen über Impfungen zu verbreiten, immer weiter verbreitet ist", sagte Aurea Oradini, eine Wissenschaftlerin, die sich mit der Skepsis gegenüber der Impfung in Italien beschäftigt hat.

"Das Internet und die sozialen Medien spielen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von falschen Nachrichten und unnötigem Alarmismus über die Sicherheit von Impfungen.

Durch die Information im Internet können sich die Eltern beispielsweise davon überzeugen, dass die Impfstoffe Autismus verursachen und deshalb ihre Kinder nicht impfen, um unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden."

Oradini, Vorstandsmitglied des Ordens der Ärzte und Chirurgen in Florenz, sagte zudem, ein Rechtsstreit in Rimini vor sechs Jahren habe sich als entscheidend erwiesen. Richter in der für den Badetourismus bekannten Stadt gewährten der Familie eines Jungen mit Autismus Schadenersatz, da sein Zustand höchstwahrscheinlich durch die MMR-Impfung verursacht worden war. Das Urteil wurde drei Jahre später in der Berufung aufgehoben.

"Das war sicherlich eine fundamentale Zäsur und hat das Vertrauen in die Impfungen in Italien erschüttert", fügte Oradini hinzu.

Andrea Grignolio, Autor des Buches "Impfungen: Sind sie einen Schuss wert?", zitierte eine Analyse von Censis aus dem Jahr 2014, wonach 7,8% der Eltern beschlossen haben, ihr Kind auf der Grundlage von Informationen aus dem Internet nicht zu impfen.

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Europa-Vergleich: Anteil der Bevölkerung, der geimpft ist (blau) und der denkt, dass Impfungen nicht sicher sind (orange).

3. Gefälschte Studie

Heute werden Eltern immer noch von einer mittlerweile diskreditierten Studie beeinflusst, die bereits vor zwei Jahrzehnten veröffentlicht worden war. Aber sie hat immer noch Einfluss, wie zumindest behauptet wird. Die besagte Studie von Andrew Wakefield aus dem Jahr 1998 gibt an, es gebe einen Zusammenhang zwischen Masern, Mumps und Röteln (MMR) und Autismus. Aber seine Studie wurde entlarvt und für betrügerisch befunden, und er wurde aus dem medizinischen Register des Vereinigten Königreichs gestrichen.

"Aber diese Idee der Assoziierung zwischen Autismus und MMR-Impfstoff verbreitete sich in vielen europäischen Ländern und auch in Italien, wo einige Menschen noch immer an diesen Zusammenhang glauben", sagte Oradini.

(Foto: Andrew Wakefield nach einer Anhörung im General Medical Council (GMC) in London am 28. Januar 2010.)

Der GMC entschied, dass Wakefield unethisch handelte, als er eine Verbindung zwischen MMR-Impfungen und Autismus erforschte.

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4. Anti-Impf-Politik

Heidi Larson, Direktorin des Vaccine Confidence Project, erzählte Euronews dass es schon seit einiger Zeit Bedenken bezüglich der Impfungen in Italien gibt.

Sie berichtete, dass es aber erst auf der politischen Tagesordnung stand, als Italien im vergangenen Jahr einen Masernausbruch hatte, bei dem es mehr als 5.000 Fälle und vier Tote gab.

Experten sagen, dass Italiens Impfquote gegen Masern - im Jahr 2016 waren es 85% der Kinder - zu niedrig ist, um die Krankheit im ganzen Land einzudämmen.

Die Weltgesundheitsorganisation meint übrigens, die Impfquote sollte bei 95% oder darüber liegen, um die breitere Bevölkerung vor einem Ausbruch zu schützen.

Der Ausbruch der Masern hatte die Regierung dazu veranlasst, dass Kinder zehn Impfungen erhalten müssen, bevor sie an einer staatlichen Schule eingeschrieben werden können.

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"Dies führte zu einer massiven Reaktion und Spannungen zwischen denen, die die Impfpflicht für notwendig halten - wie Lehrer - und einigen abweichenden Eltern, die hingegen die Wahl haben wollen."

So berichtete Euronews über die Einführung von 10 obligatorischen Impfstoffen.

Larson sagte, dass sich die italienischen Politiker im Vorfeld der Parlamentswahlen im März jeweils in eines der beiden Lager eingefunden hätten. Und die Regierungskoalition - bestehend aus den populistischen Parteien Lega und Fünf-Sterne-Bewegung - hat die Wählerschaft die gegen die Impfung ist unterstützt.

So hat etwa Beppe Grillo gesagt, dass Impfungen "eine wichtige Rolle bei der Ausrottung von Krankheiten spielen", aber "ein mit Nebenwirkungen verbundenes Risiko" mit sich bringen.

Der stellvertretende italienische Premierminister und Vorsitzender der Lega, Matteo Salvini, hat behauptet, die Zwangsimpfung sei "nutzlos" und "gefährlich".

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"Die Debatte über das Gesetz der obligatorische Impfung in Italien war schnell zu einer politischen Debatte geworden, als die Anti-Establishment-Partei Fünf-Sterne-Bewegung angefangen hatte, Zweifel an der Wirksamkeit von Impfungen zu wecken", sagte Oradini.

"Parteigründer Beppe Grillo ist auch für die Rolle der Partei bei der Förderung der Anti-Impfstoff-Bewegung kritisiert worden. Er hat in seinem Blog mehrfach auf die vermeintlichen Nebenwirkungen von Impfstoffen hingewiesen."

Foto: Salvini (links) und Grillo (rechts)

5. Der Vorwurf mit der Pharmaindustrie

Grillo sagte, die Einführung der obligatorischen Impfung sei ein Geschenk für multinationale Pharmaunternehmen.

"Einige der Eltern von Anti-Impf-Verbänden glauben, dass die Regierung ein zwingendes Gesetz erlassen hat, weil sie eine Vereinbarung mit Pharmaunternehmen hat und es einen Interessenskonflikt gibt", sagte Oradini Euronews.

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"Sie glauben nämlich, dass das Gesetz mit den zehn Pflichtimpfungen erlassen wurde, weil wirtschaftliche Interessen dahinter standen."

Anti-Impfkampagnen argumentieren auch, dass das Fehlen eines einheitlichen Impfkalenders in Europa (die Zeit im Leben eines Kindes, wenn es bestimmte Impfungen erhält) ein Beweis dafür sei, dass kein einziger Zeitplan besser ist als der andere.

Sie nennen dies zusammen mit der Forderung, dass die zehn obligatorischen Impfungen zu viel seien und dass Italien zu nur vier obligatorischen Impfungen zurückkehren solle.

"Deshalb sollten wir meiner Meinung nach versuchen, nur einen einzigen europäischen Kalender zu erstellen, der in jedem europäischen Land verwendet werden kann und diese Art von Denkweisen dadurch verhindert", fügte Oradini hinzu.

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