Europas überfüllte Gefängnisse: "Stiller Tod" von Österreichs Justiz

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Von Johannes Pleschberger
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Im Vergleich mit Ungarn ist es in Österreich zwar weniger dramatisch. Aber: „Es gibt Drogen, sexuellen Missbrauch und völlig überfordertes Personal."

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Nicht nur Brasilien hat große Probleme mit seinen Gefängnissen. Österreichs Vizekanzler und Justizminister Clemes Jabloner hat kürzlich von einem „stillen Tod“ der Justiz in der Alpenrepublik gewarnt: „Jetzt ist ein Punkt erreicht, an dem ich Alarm schlagen muss. Wir können so nicht weitermachen.“ Im Europavergleich ist die Lage in Österreich zwar nicht ganz so dramatisch wie beispielsweise in Ungarn, aber neuesten Medienberichten zufolge gibt es neben Personalmangel und Regelverletzungen sogar Ausbrüche, Übergriffe und Handel mit Kinderpornos. Auch viele deutsche Bundesländer klagen über heillos überfüllte Gefängnisse. Aber zuerst zum Europavergleich:

Ungarn hat die überfülltesten Gefängnisse Europas

Ungarn hat der Europarat-Statistik (siehe unten) zwar keine Daten übermittelt, aber aus dem Jahrbuch der ungarischen Strafvollzugsbehörde geht hervor, dass die Überfüllung in Ungarn mit 124 Prozent im Jänner 2018 die höchste war. Wobei die Überbelegung zuletzt etwas zurückgegangen sein soll. Das berichtete die European Data Journalism Network.

Kritische Situation auch in Nordmazedonien, Rumänien, Frankreich und Italien

Unter den Ländern, die Daten an den Europarat übermitteln, ist die Situation in Nordmazedonien am schlimmsten, mit 122,3 Prozent an Überbelegung. Rumänien folgt mit 120,5 Prozent, Frankreich mit 116,3 Prozent und Italien mit 115 Prozent.

Die Gesamtzahl der Inhaftierten in Europa sank zwar laut dem Europarat zwischen 2016 und 2018 um 6,6%, aber überfüllte Gefängnisse bleiben nach wie vor ein großes Problem, nicht nur in Osteuropa.

Österreich: "Es gibt Drogen, sexuellen Missbrauch, Kämpfe"

Auch Österreich befindet sich mit 100,7 Prozent unter den Top 10 der Länder mit den überfülltesten Gefängnissen. Medienberichte der vergangenen Tage zeichnen zudem ein düsteres Bild von Österreichs Justizsystem. Selbst der Justizminister warnte kürzlich vor einem „stillen Tod“ der Justiz.

Von Personalmangel, Regelverletzungen, Ausbrüchen, Übergriffen und Handel mit Kinderpornos war etwa in der „Kronen Zeitung“ die Rede. Wie etwa in der Justizanstalt Asten in Oberösterreich: „Es gibt Drogen, es gibt sexuellen Missbrauch, es gibt völlig überfordertes Personal, es gibt Kämpfe“, schilderte ein ehemaliger Insasse die Zustände gegenüber ORF.at. Die Situation sei auch in anderen Gefängnissen nicht anders.

Insider: Justizwache "behandelt uns wie Tiere"

Einmal wurde er eigenen Aussagen zufolge Zeuge einer Messerattacke, ein anderes Mal konnte er gerade noch einen Suizidversuch eines Mitinsassen verhindern, so der Insider.

Scharfe Kritik äußert er vor allem am Umgang der Justizwachebeamten mit den Insassen und Insassinnen: „Einige behandeln uns wie Tiere, wie Aussätzige.“ Inwiefern es in Asten tatsächlich zu Übergriffen gekommen ist, ist derzeit Thema einer parlamentarischen Anfrage, zu der sich der Justizminister bis 4. September äußern muss.

Gewerkschaft: "90-Stunden-Woche für Justizbeamte an der Tagesordnung"

Doch Asten ist kein Ausnahmefall. Österreichs größtes Gefängnis, die Justizanstalt Josefstadt, hat offiziell Platz für 990. Im Durchschnitt waren die vergangenen Jahre jedoch 1.150 Personen inhaftiert.

Laut einem Bericht des „Kurier" kämpfen auch viele weitere Justizanstalten mit Überbelegung. Vor allem für die Justizwache stellt das eine Herausforderung dar, schildert Gewerkschafter Albin Simma: „Wir reden in der öffentlichen Diskussion von einer 60-Stunden-Woche. Da können unsere Kollegen nur sarkastisch lachen, das ist schon lange nicht mehr möglich. 70, 80, 90 Stunden sind an der Tagesordnung, das ist einfach nicht mehr tragbar.“

Deutschland: Überbelegung, Personalnot und Drogenkonsum

Auch in Deutschlands Justizvollzugsanstalten ist die Stimmung angespannt. Häftlinge greifen Wärter an, der Drogenkonsum nimmt zu, es herrscht eine babylonische Sprachverwirrung - und immer weniger Personal muss sich um mehr Insassen kümmern, berichtete die Deutsche Welle.

In Schleswig-Holstein schlug etwa die Polizeigewerkschaft im März dieses Jahres Alarm: Die Gefängnisse in Schleswig-Holstein seien völlig überfüllt, Doppelbelegungen die Folge. Ein Gewerkschafter sprach von "anhaltender Unruhe unter den Gefangenen", bei den Beamten sei die Stimmung besorgniserregend, berichtete die Welt.

Am wenigsten Gefängnispersonal in Baden-Württemberg

Auch Baden-Württembergs Gefängnisse platzen aus allen Nähten. Grund ist der starke Häftlingszuwachs seit 2015. Im Durchschnitt sitzen etwa 820 Gefangene mehr in den 17 Haftanstalten als vor vier Jahren – das entspricht einem Plus von 12,5 Prozent bei der Gesamtbelegung.

Weil die Personalausstattung damit keineswegs Schritt hält, ist der Südwesten in einer internen Vergleichsberechnung der Bundesländer auf dem letzten Platz hinter Bayern und Nordrhein-Westfalen angelangt. „Wir haben es geschafft, Letzter zu werden“, sagte Alexander Schmid, Landesvorsitzender im Bund der Strafvollzugsbediensteten (BSBD), der Stuttgarter Zeitung Anfang des Jahres. Der Vergleichsberechnung zufolge hat der baden-württembergische Justizvollzug weniger als 33 Bedienstete je 100 Gefangene – wobei dabei Kräfte wie Psychologen, Köche oder Verwaltungskräfte eingerechnet sind.

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