Kein Coronavirus in Nordkorea? Experten haben Zweifel an Propaganda

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Von Marie Jamet
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Für das verarmte Nordkorea wäre ein Ausbruch des Coronavirus dramatisch. Doch gibt es wirklich keine Fälle im abgeschotteten Nachbarland von China?

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Ist das Coronavirus in Nordkorea angekommen? Das ist schwer zu sagen: Das Land lässt nur die offizielle Sicht der Behörden zu, und seit Anfang Februar sind die ausländischen Einwohner in ihren Wohnungen in Quarantäne.

Die Abschottung - über die generelle Isolation des Landes hinaus -, die sich Nordkorea angesichts der Epidemie auferlegt hat, ist nach Ansicht von Experten der einzige Schutz, den es für das Land mit seinem desolaten Gesundheitssystem gibt.

Die Krankenhäuser des Landes werden zum Beispiel nur unregelmäßig mit Wasser und Strom versorgt und sie leiden unter einem chronischem Mangel an Medikamenten.
Choi Jung-hun
Arzt aus Nordkorea, der seit 2012 in Südkorea lebt

Ein desolates Gesundheitssystem

"Im Falle eines Ausbruch der Krankheit ist das nordkoreanische System hilflos", meint Choi Jung-hun, ein ehemaliger nordkoreanischer Arzt, der seit 2012 in Südkorea lebt. "Das Coronavirus würde außer Kontrolle geraten. Die Krankenhäuser des Landes werden zum Beispiel nur unregelmäßig mit Wasser und Strom versorgt und sie leiden unter einem chronischen Mangel an Medikamenten."

Im globalen Gesundheitssicherheitsindex 2019, der von einem Forschungszentrum an der Johns-Hopkins-Universität zusammengestellt wurde, rangiert Nordkorea auf Platz 193 in der Liste von 195 Ländern, nur gefolgt von Somalia und Äquatorialguinea.

De facto durchlässige Grenze zu China

Es gibt Anlass zur Sorg, denn Nordkorea hat zu seinem chinesischen Nachbarn eine hochporöse, 1.450 Kilometer lange Grenze. Dort findet täglich ein von den Behörden geduldeter Menschenhandel statt. Es ist allgemein anerkannt, dass Zehntausende Nordkoreaner in China arbeiten. Die Vereinten Nationen hatten China offiziell aufgefordert, sie bis Ende Dezember nach Hause zu schicken, aber es ist unmöglich festzustellen, wie viele dieser illegalen Arbeiter tatsächlich nach Nordkorea zurückgekehrt sind.

Viele Krankenhäuser haben oft kein Wasser und keinen Strom und leiden unter chronischem Mangel an Medikamenten.
Choi Jung-hun
Arzt aus Nordkorea, der seit 2012 in Südkorea lebt

Viele haben kein sauberes Wasser, keine sanitären EInrichtungen

Darüber hinaus sind 43% der nordkoreanischen Bevölkerung von Unterernährung bedroht und viele haben keinen Zugang zu sauberem Wasser oder sanitären Einrichtungen, wie Tomas Ojea Quintana, UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Nordkorea, betont. "In Verbindung mit dem begrenzten Zugang zu Informationen macht sie das für Covid-19 noch verwundbarer."

Alles unter Kontrolle?

Laut Behörden in Pjöngjang ist die Situation in Nordkorea voll und ganz unter Kontrolle. Die offizielle Tageszeitung Rodong Sinmun schrieb am vergangenen Freitag erneut: "Glücklicherweise ist die Infektion mit dem neuen Coronavirus noch nicht in unser Land eingedrungen". Die Zeitung forderte die Bevölkerung auch zum "absoluten Gehorsam" gegenüber den Gesundheitsbehörden auf. Vor einigen Tagen warnten die staatlichen Medien, dass ein einziger Fall von Coronavirus auf nordkoreanischem Boden "katastrophale Folgen" haben könnte. Die offizielle nordkoreanische Zeitung Rodong Sinmun rief die Bevölkerung auch dazu auf, vorsichtiger zu sein und sich nicht an öffentlichen Orten, einschließlich Restaurants, zu versammeln.

Soldaten mit schwarzen Atemschutzmasken auf offiziellen Fotos

Die staatliche Nachrichtenagentur veröffentlichte in der vergangenen Woche zudem zwei Fotoserien, mit der klaren Absicht zu zeigen, dass die Behörden die Situation unter Kontrolle haben. Im ersten Fall desinfizieren mit Schutzmasken ausgestattete Mitarbeiter einen Supermarkt und testen die Temperatur der Kunden. Auf anderen Fotos beaufsichtigt der Oberste Staatslenker Kim Jong Un den Abschuss eines nicht näher benannten Geschosses. Auf dem Bild hat er selbst keine Maske auf, aber alle Soldaten um ihn herum tragen schwarze Atemschutzmasken.

"Ich bin zu 100 Prozent sicher, dass es in Nordkorea infizierte Patienten gibt"

Trotzdem bezweifeln Experten, dass es noch keine Fälle von Covid-19 in Nordkorea gibt. Während die Weltgesundheitsorganisation (WHO) diesen Informationen nicht widersprochen hat, behaupten Überläufer und südkoreanische Medienberichte, es habe Infektionen gegeben.

Thae Yong Ho, die ehemalige Nummer zwei der nordkoreanischen Botschaft in London, der 2016 dem Regime den Rücken gekehrt hat, bezweifelt die Zuverlässigkeit der Informationen der WHO. "Ich bin zu 100 Prozent sicher, dass es in Nordkorea infizierte Patienten gibt", sagte auch Nam Sung-wook, Nordkorea-Experte an der angesehenen Korea-Universität in Seoul und Präsident des National Institute of Strategic Security, eines Think-Tanks, der mit der wichtigsten Spionagebehörde des Landes verbunden ist. Der chinesische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Zhan Jun, sagte Journalisten, dass Nordkorea "negativ" unter dem Coronavirus leide, ohne Details hinzuzufügen.

"Es ist äußerst problematisch, nichts über den Grad der Infektion oder die Zahl der Todesfälle in Nordkorea zu wissen, und wenn man dies nicht in den Griff bekommt, könnte dies erhebliche Folgen für die öffentliche Gesundheit haben", schreibt Jessica Lee, eine Ostasienexpertin des Quincy Institute for Responsible Statecraft, einer US-amerikanischen Denkfabrik.

Außergewöhnliche Maßnahmen

Vor Wochen hatte Nordkorea drastische Maßnahmen ergriffen, um sich vor Covid-19 zu schützen: völlige Schließung der Grenzen, Aussetzung der Flug- und Bahnverbindungen, Verschiebung des Schuljahresbeginns, Absage des Pjöngjang-Marathons, 30 Tage Quarantäne für Infizierungsverdächtige, strenge Hausarrest seit Anfang Februar für alle ausländischen Bewohner.

Darüber hinaus stimmte die internationale Gemeinschaft zu, einige der ursprünglich gegen das Land verhängten Wirtschaftssanktionen zu lockern, die dazu dienen, dessen ballistische und nuklearen Programme zu stoppen. So erlaubte der UN-Sicherheitsrat humanitäre Ausnahmeregelungen.  "Über das Coronavirus wurde diskutiert, und dem Sanktionsausschuss wurde sofort die Erlaubnis erteilt, den Export von medizinischer Ausrüstung zu genehmigen", sagte Christoph Heusgen, der deutsche Botschafter bei der UNO, der dort die Umsetzung der gegen Pjöngjang verhängten Sanktionen überwacht, gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.

Drei Tage zuvor hatte die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung (IFRC) bereits eine Ausnahmegenehmigung für den Transport medizinischer Ausrüstung nach Nordkorea erhalten. "Diese Ausnahme ist eine lebensrettende Intervention und eine wichtige Maßnahme, um sicherzustellen, dass die Sanktionen keine negativen Auswirkungen auf die Bevölkerung haben werden", sagte Xavier Castellanos, IFRC-Regionaldirektor für Asien und den Pazifik, in einer Erklärung.

Zudem teilte Russlands Außenminister, Sergej Lawrow, mit, dass sein Land 1.500 SARS-CoV-2-Testkits nach Nordkorea geschickt hat.

Journalist • Kirsten Ripper

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