Kann man das Wort 'Rasse' auf Deutsch noch benutzen?

Proteste gegen Rassismus haben auch eine Diskussion über das Wort Rasse in Deutschland ausgelöst.
Proteste gegen Rassismus haben auch eine Diskussion über das Wort Rasse in Deutschland ausgelöst. Copyright Georg Wendt/AP
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Von Alexandra Leistner
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Mit den Protesten gegen Rassismus ist in Deutschland auch die Debatte über das Wort Rasse aufgekommen - einige fordern, es aus dem Grundgesetz zu streichen. Wir fragen nach: Wie zeitgemäß ist es, von 'Rasse' zu sprechen, wenn man über Menschen unterschiedlicher Herkunft spricht?

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Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt treiben auch in Deutschland tausende Menschen auf die Straße. Die Diskussion, wie es um Rassismus in der Bundesrepublik steht, wird begleitet von einer Debatte über das Wort 'Rasse'.

Die grüne Vizepräsidentin des Landtags von Schleswig-Holstein, Aminata Touré, und der Bundesvorsitzende der Grünen, Robert Habeck, haben den Stein mit einem Gastbeitrag in der taz ins Rollen gebracht. Darin fordern sie, 'Rasse' aus der deutschen Verfassung zu streichen.

Zahlreiche Politiker der Fraktionen SPD, FDP und Linke im Bundestag unterstützen den Vorschlag. Die Kanzlerin gab am Freitag über ihren Sprecher bekannt, dass sie für die Debatte offen sei, ähnlich äußerte sich auch Innenminister Seehofer.

Nicht alle Politiker sind für die Änderung

Einige CDU-Politiker, darunter Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier und der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, sahen in der Streichung des Begriffs allerdings "Symbolpolitik". Sie forderten vielmehr konkrete Initiativen gegen und eine Diskussion über Rassismus.

Die AfD sprach sich gegen den Vorstoß aus. Auf Twitter schaltete sich Georg Pazderski, AfD-Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus in die Diskussion ein. Wenn das Wegstreichen des Begriffs Rasse den Rassismus bekämpfe, solle man als nächstes das Wort Klimawandel streichen. "Gibt es dann auch keinen Klimwandel mehr?", fragte der Rechtspopulist.

Der stellvertretende Bundessprecher und AfD-Abgeordnete im Bundestag Stephan Brandner stellte sich auf Twitter gegen "ideologische Exzesse im Grundgesetz". In einer Pressemitteilung sagte er, das Grundgesetz dürfe nicht nach "jeweiliger Laune angepasst und verändert werden". Die Mütter und Väter des Grundgesetzes hätten ihre Formulierungen wohl überlegt.

Was in der deutschen Verfassung steht

In Artikel 3 des Grundgesetzes, das 1949 in Kraft trat, heißt es:

"Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden."

Gerade nach der Zeit der Rassendiskriminierung während des Nationalsozialismus sollte durch diese Wortwahl jegliche Ungleichbehandlung aufgrund der Einteilung von Menschen in Rassen per Gesetz verboten werden.

"Es hat in dieser Zeit (1949) seine Berechtigung gehabt, aber ich denke, wir sind heute in einer anderen Zeit, und deswegen sollte dieser Begriff aus unserem Grundgesetz entfernt werden. Aber der Botschaft, gegen Rassismus zu kämpfen, müssen wir weiterhin verpflichtet sein", sagte Justizministerin Christine Lambrecht von der SPD.

Die Unterteilung der Menschen in Rassen widerspreche Anspruch und Geist des Grundgesetzes, so Touré, die auch Sprecherin der Grünen-Fraktion für Antirassismus ist, und Habeck. Nachdem von den Grünen zunächst angedacht war, das Wort Rasse zu streichen, wird mittlerweile überlegt, durch welches Wort es - auch im Volksmund - ersetzt werden könnte.

Der deutsche Journalist Malcom Ohanwe schlägt vor, das englische Wort 'Race' zu verwenden.

Das englische Race sei nicht biologistisch zu verstehen sondern es gehe um Zuschreibung, Race und Rasse seien sehr unterschiedlich Hinsichtlich ihrer Bedeutung und Verwendung.

Von der Grünen-Fraktion gibt es mittlerweile unterschiedliche Vorschläge, um das Wort Rasse zu ersetzen, darunter 'rassistische Zuschreibungen". Ein anderer Vorschlag lautet in voller Länge:

"Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder rassistisch benachteiligt oder bevorzugt werden."

'Rasse' ist eine soziale Konstruktion, eine Fiktion, die jedoch reale Diskriminierung bewirkt.
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland
Positionspapier zum Begriff "Rasse"

Der soziale Diskurs: Was man über das Wort 'Rasse' wissen sollte

Die Initiative Schwarze Menschen Deutschland e.V. (ISD) forderte die Streichung von 'Rasse' aus sämtlichen Gesetzestexten bereits 2015 in einem Positionspapier. Das Wort sei von rassistischen Ideologien erst hervorgebracht und widerspräche der Idee des Diskriminierungsverbots.

"Denn Rassismus ist der Grund für die Herausbildung des Konzeptes menschlicher „Rassen” - nicht umgekehrt. 'Rasse' ist eine soziale Konstruktion, eine Fiktion, die jedoch reale Diskriminierung bewirkt."

Der ISD-Bund fordert den Ersatz des Wortes Rasse im Grundgesetz durch das Adjektiv 'rassistisch': "Niemand darf rassistisch, wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."

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In einem Artikel für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) weist Ulrich Kattman darauf hin, dass die Existenz von Menschen"rassen" nicht nur wissenschaftlich widerlegt ist, sondern das Wort und sein Gebrauch erst zu typologischem Denken und somit Abgrenzung und Diskriminierung führt.

Im Glossar für Medienmacher wird 'Rasse' als Unwort geführt, das "im Sprachgebrauch nicht mehr üblich ist". Der Begriff Race im Englischen beziehe sich vielmehr auf die Ethnizität oder Herkunft. In diesem Zusammenhang sollten auch die Worte Rassenunruhen und Rassenbeziehungen nicht wörtlich übersetzt werden.

Auch weisen zahlreiche Menschen in sozialen Medien darauf hin, dass Schwarz im Rassismus-Diskurs groß geschrieben werden muss, weil es kein Adjektiv sondern eine politische Selbstbeziehung, also ein Eigenname ist. Es müsse also von Schwarzen Menschen die Rede sein.

Menschenrechtskonventionen und andere Gesetzestexte

Der ehemalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz wies darauf hin, dass der Begriff Rasse auch in anderen Gesetzestexten, etwa dem Asylgesetz, vorkommt.

Zahlreiche Politiker machten zudem darauf aufmerksam, dass sowohl die europäische Menschenrechtskonvention (in Artikel 14) als auch die internationale UN-Menschenrechtskonvention AEMR (Artikel 2) in ihrer deutschen Fassung das Wort Rasse verwenden.

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Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt verteidigte die Initiative gegen Kritik. Es gehe darum, "einen Begriff des Unrechts und der Ausgrenzung im Herzen unserer Rechtsordnung" zu dulden oder "einen Schritt nach vorne zu gehen",

Änderungen des Grundgesetzes benötigen in Deutschland im Bundestag und im Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Justizministerin Lambrecht sagte gegenüber Medien zuletzt, das könne "sehr schnell gehen". Das Grundgesetz spiegele die Werteordnung der Gesellschaft wider und müsse deswegen auch angepasst werden können.

Frankreich und der Begriff 'la race'

Auch Deutschlands Nachbarland Frankreich diskutiert über den Gebrauch des Wortes 'la race' im Zusammenhang mit den Black-Lives-Matter-Protesten: "Lange Zeit weigerten sich die Menschen in Frankreich, das Wort 'race' zu verwenden, weil sie dachten, es sei zwangsläufig rassistisch. Heute gibt es eine Rückkehr [der Verwendung] dieses Wortes durch einige antirassistische Aktivisten und einige Forscher", erklärte der Pariser Professor und Experte für Rassismus Eric Fassin gegenüber France Info.

'Les races' ≠ 'la race'

Es scheint, als entspräche der Unterschied zwischen dem Plural und dem Singular des Wortes im französischen Diskurs dem zwischen dem deutschen 'Rasse' und dem englischen 'race'. Im Französischen sei 'race' vielmehr ein sozialer Mechanismus, es habe nichts mehr mit Biologie zu tun - dennoch sei der Begriff an Stereotype wie etwa Hautfarbe gebunden und führte häufig zu Benachteiligung.

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