Was Sie über die Wahlen in den Niederlanden wissen müssen

Wahlplakat vor den Parlamentswahlen in Den Haag, 18.02.2021
Wahlplakat vor den Parlamentswahlen in Den Haag, 18.02.2021 Copyright Remko de Waal/AFP
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Von David Walsh
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Von Montag bis Mittwoch wählen die Niederländer ein neues Parlament. Wird Mark Rutte noch einmal Ministerpräsident des Landes?

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Die Folgen eines politischen Skandals, die Pandemie, wirtschaftlicher Abschwung, schwelende Unruhe in der Gesellschaft: allein eine dieser Herausforderungen würde für einen angespannten Wahlkampf sorgen.

Doch bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden, die wegen der Pandemie auf drei Tage verteilt wird (vom 15. bis 17. März), stehen alle Parteien vor der Realität, diese vier gleichzeitig zu adressieren.

Lässt man das Unbehagen über Skandale und anhaltende soziale Probleme außen vor, scheint sich die niederländische Wählerschaft der Notwendigkeit von Stabilität in einer Zeit der Krise, die die ganze Welt einschließlich des eigenen Landes erfasst hat, durchaus bewusst zu sein.

Einige sind jedoch besorgt über die Richtung, in die sich das Land bewegt, und wettern gegen die ihrer Meinung nach regressiven Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus.

Kurz gesagt, während das Ergebnis im Großen und Ganzen als Bestätigung der Kontinuität erwartet wird, sehen einige die Pandemie-Wahl an diesem Mittwoch als eine richtungsweisende Wahl, die anderen Ländern in Europa ein Signal setzen könnte.

Warum ist die Regierung in den Niederlanden zurückgetreten?

Der Rücktritt einer Regierung nur wenige Monate vor einer geplanten Wahl würde in normalen Zeiten für Aufsehen sorgen, nicht so während einer nationalen Krise.

Im Januar sorgte ein Skandal für den Sturz der Regierung - und bedeutete das Aus für Mark Ruttes bisherigen Koalitionspartner, die Partei der Arbei (PvdA).

Der "Kinderopvangtoeslagaffaire", der Kindergeldskandal, war für die Regierung Rutte ein offene Wunde, die die Steuerzahler letztlich 500 Millionen Euro kosten wird, die als Entschädigung für die Betroffenen gezahlt wird. 

Zwischen 2013 und 2019 beschuldigten die Steuerbehörden mehr als 26.000 Familien zu Unrecht des Sozialhilfebetrugs, verlangten die Rückzahlung von Tausenden von Euro und stürzten viele in lähmende Schulden.

Lodewijk Asscher, der Vorsitzende der PvdA und Sozialminister während des fraglichen Zeitraums, trat am 14. Januar zurück, nachdem ein vernichtender Parlamentsbericht ans Licht kam.

Tief gespalten in der Frage, wie man reagieren sollte, trat die Regierung Rutte am folgenden Tag zurück und bildete eine Übergangsregierung, die seitdem die Amtsgeschäfte führt.

Wird Rutte wieder Ministerpräsident?

Als er 2010 als Spitzenkandidat der Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) an die Macht kam, wurde Rutte sowohl der erste liberale Ministerpräsident seit fast einem Jahrhundert als auch der zweitjüngste Inhaber dieses Amtes in der Geschichte des Landes.

Während seiner jahrzehntelangen Amtszeit stand er an der Spitze der kurzlebigsten Regierung der Nachkriegszeit, hat es aber ebenso geschafft, eine volle, vierjährige Amtszeit durchzuhalten.

"Rutte wird von einem großen Teil der Bevölkerung als netter Mensch und guter Manager angesehen", erklärte Dr. Jelle van Buuren, außerordentlicher Professor für Politik an der Universität Leiden, gegenüber Euronews.

Olivier Matthys/Copyright 2020 The Associated Press. All rights reserved
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte auf einem EU-Gipfel, 18.07.2020Olivier Matthys/Copyright 2020 The Associated Press. All rights reserved

Rutte gilt als umgänglich und bescheiden, er fährt lieber mit dem Fahrrad zur Arbeit, als sich in einem Auto mit Chauffeur herumfahren zu lassen.

Bei der anstehenden Wahl hofft er, nach fast 11 Jahren an der Spitze ein Gefühl der Stabilität zu vermitteln und sich eine vierte Amtszeit als Ministerpräsident zu sichern. Die neuesten Umfragen deuten darauf hin, dass jeder dritte Niederländer die VVD wählen wird, und so bleibt auch Rutte in einer starken Position.

"Das Fehlen eines attraktiven Gegenkandidaten, sei es in Form von Parteien oder Parteivorsitzenden, ist auch ein wichtiger Teil der Erklärung", meint van Buuren. "Außerdem haben die meisten der großen Parteien seine Politik mehr oder weniger unterstützt, innerhalb des Kabinetts oder als 'konstruktive Opposition'. Rutte anzugreifen bedeutet, sich selbst anzugreifen".

Wie andere Spitzenpolitiker weltweit hat Rutte von einem Rückenwind während der Pandemie profitiert, indem er sich in Zeiten einer nationalen Krise als kompetent erwies. Die wichtigsten Oppositionsparteien hatten Schwierigkeiten, sich klar gegenüber der Regierungskoalition abzugrenzen.

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"Andere Parteien äußern sich kritisch über den Umgang mit der Krise - so wie auch die niederländische Bevölkerung kritischer wird - aber da sie im vergangenen Jahr die Corona-Politik der Regierung unterstützt haben, haben sie ein Glaubwürdigkeitsproblem", so van Buuren.

Dies wurde noch deutlicher, als einige Oppositionsparteien sich Ruttes geschäftsführender Regierung anschlossen und für die Ausgangssperre stimmten - die erste seit dem Zweiten Weltkrieg - um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen.

Während die Mehrheit der niederländischen Bürger den Schritt unterstützte oder zumindest die Gründe dafür verstand, entfachte die Entscheidung, eine derartige Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu verhängen, andererseits wachsende Unzufriedenheit mit dem aktuellen politischen System.

Das Ergebnis war eine Eskalation des Unmuts auf den Straßen der Städte im ganzen Land, Spannungen, die sich in Krawallen an drei Abenden Ende Januar entluden. Während sich die Situation etwas abgekühlt hat, unterdrückte die Polizei einen weiteren Anti-Regierungs-Protest am Vorabend der Wahlen am vergangenen Sonntag.

"Obwohl die Bevölkerung kritischer wird, hat dies nicht zu einer signifikanten Verschiebung der Parteipräferenzen geführt", ist van Buuren überzeugt.

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Steht ein Machtwechsel bevor?

Die einzige Partei, die mit ihrer Kritik an der Regierung und dem Schüren sozialer Ängste Erfolg zu haben scheint, ist die populistische Partei für die Freiheit (PVV) des umstrittenen Rechtspolitikers Geert Wilders.

"Nur die Freiheitspartei [...] greift die VVD, personifiziert von Rutte, an und wirft ihm vor, den wirtschaftlichen und sozialen Schaden durch Corona-Maßnahmen, die anhaltende Ausgangssperre und andere Bürgerrechte zu vernachlässigen", so van Buuren.

Während die Unterstützung für die oft umstrittene PVV in den letzten Jahren dramatisch geschwankt hat, deuten die jüngsten Umfragen darauf hin, dass sie im Vorfeld der Wahl einen Aufschwung erlebt.

Sie wird immer noch als ein "No-Go-Partner" für die VVD angesehen, bemerkt van Buuren.

Rutte und Wilders hatten schon einmal den Versuch unternommen, miteinander zu koalieren - erfolglos. Die Koalition endete in einer Auflösung der Regierung und Neuwahlen 2012. Es gilt als unwahrscheinlich, dass Rutte eine derartige Episode wiederholen möchte.

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Bevor seine Regierung zurücktrat, führte Ruttes VVD eine Koalition mit den Juniorpartnern Democraten 66 (D66), einer weiteren liberalen Partei, und der Mitte-Rechts-Partei ChristenUnie (CU).

Es ist jedoch unklar, ob die scheidende Koalition über die Wahl hinaus überleben wird.

"Die derzeitigen Koalitionsparteien... deuten an, dass sie aufgrund ihrer gegensätzlichen ethischen Ansichten nicht mehr miteinander kooperieren werden", sagte van Buuren. "Das kann jedoch eher ein Aufruf zum Handeln für ihre Basis verstanden werden als ein ernsthaftes Hindernis."

"Eine Koalition mit mehreren kleineren linken Parteien könnte eine Alternative sein, aber die meisten dieser Parteien erinnern sich, wie sie nach dem Zusammenschluss mit der VVD abgestraft wurden", fügte er hinzu.

Was unterscheidet diese Wahl von den vorherigen?

Bei diesen Parlamentswahlen tritt eine Rekordzahl von 37 Parteien an, sei es ein Ergebnis der starren politischen Situation oder eine Reaktion auf die pandemiebedingten Beschränkungen.

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In einem Land, in dem die Hürde für den Einzug in das 150 Sitze umfassende Parlament bei nur 0,67 Prozent der Gesamtstimmen liegt, ist eine große Anzahl von Parteien, die um Stimmen buhlen, nicht ungewöhnlich.

Wenn sich die aktuellen Meinungsumfragen bestätigen, könnten etwa 17 Parteien mindestens einen Sitz gewinnen, was das nächste Parlament zum pluralistischsten in der niederländischen Geschichte machen würde.

Während einige, wie der Code Oranje (CO), dessen Programm die Einführung von mehr Formen der direkten Demokratie beinhaltet, wahrscheinlich von einem Teil der schwelenden Anti-Regierungs-Stimmung profitieren werden, wird keine dieser kleinen Parteien die großen Parteien in Schwierigkeiten bringen, am wenigsten die VVD.

"Beobachter stellen fest, dass der Wahlkampf gelähmt ist: kein anderes Thema als die Corona-Krise wurde erfolgreich in Bezug auf das Agenda-Setting auf den Weg gebracht", so van Buuren gegenüber Euronews.

"Große Themen für die Zukunft, nach der aktuellen Krise, werden von einigen Parteien auf den Tisch gelegt, aber ohne einen großen Eindruck zu hinterlassen - die Zukunft des Wohnens, soziale Sicherheit, Arbeitsmarktreformen, Klimawandel und so weiter."

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Während einige Themen in den letzten Stunden des Wahlkampfes etwas an Zugkraft gewinnen, insbesondere die Wohnungskrise, ist die Wahl im Wesentlichen zu einem Referendum über die kurzfristige Antwort auf die globale Gesundheitskrise geworden.

"Einige Beobachter spekulieren, dass dies so etwas wie eine Zwischenwahl ist, mit einem nur kurzlebigen Kabinett, egal wie es zusammengesetzt ist", erklärt van Buuren. "Zuerst die Bewältigung der Krise, und danach ein erneuter politischer Kampf, um zu versuchen, die Vormachtstellung der VVD loszuwerden."

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