20 Jahre nach dem Krieg: Wie ist das Leben für die Menschen im Irak heute?

Eine Ballett-Aufführung in Bagdad, 24. Februar 2023. Seit dem Irakkrieg 2003 ist die Bevölkerung im Land um 20 Mio. Menschen gewachsen.
Eine Ballett-Aufführung in Bagdad, 24. Februar 2023. Seit dem Irakkrieg 2003 ist die Bevölkerung im Land um 20 Mio. Menschen gewachsen. Copyright Hadi Mizban/AP
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Von Alexandra Leistner
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Vor 20 Jahren marschierte die US-amerikanische Armee gemeinsam mit Verbündeten in den Irak ein. Wie ist die Lage im Land heute? Welche Themen bewegen die (sehr junge) Bevölkerung?

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Als die US-amerikanische Armee 2003 gemeinsam mit Verbündeten in den Irak einmarschierte, wurden sie von den Menschen im Land jubelnd begrüßt. Die Schreckensherrschaft von Diktator Saddam Hussein sollte mit der Militäraktion ein Ende nehmen.

Kurze Zeit später wurde der Welt bewusst, dass es die Massenvernichtungswaffen, vor denen die US-Regierung warnte, nicht gab und dass die Invasion völkerrechtswidrig war. Es folgte ein jahrelanger Bürgerkrieg, große Zerstörung, der Aufstieg radikaler Islamisten - der sogenannte Islamische Staat - und hunderttausende Menschen wurden getötet.

Wie ist die Lage im Irak heute? Welches Vermächtnis hinterlässt der Krieg und Besatzung, die bis 2011 andauerte? Welchen Herausforderungen steht die junge Generation von Iraker:innen gegenüber?

Korruption vs. junge Menschen im Irak

Von dem großen Reichtum des Irak durch den Export von Öl profitieren lange nicht alle Bevölkerungsschichten. Allerdings sind zuletzt wegen des Ukraine-Krieges und der damit einhergehenden Furcht vor Versorgungsengpässen die Einnahmen derart gestiegen, dass ein Teil auch sichtbar für alle - etwa in die Infrastrultur - investiert wird.

Doch der größte Teuk des Ölreichtums verschwindet im Ausland.

Die junge Generation im Irak in andere Länder blickt und sich etwa an Beispielen wie am arabischen Golf eine Vision für ihre eigene Zukunft ableiten, so Asiem El Difraoui, Politikwissenschaftler und Nahostexperte. Auch in diesen Ländern gibt es autoritäre Regime, doch Bürgerkriege gibt es nicht und auch materiell geht es den Menschen dort gut.

Sie wollen das Land verlassen aber sie können es nicht.
Raja Wafa
Irakerin

Die Jugend wünsche sich endlich Normalität: "Viele junge Leute sind arbeitslos und die stellt sich die Frage Warum bekommen wir keine Arbeitsplätze, wenn wir hier im Ölreichtum schwimmen und korrupte Eliten Milliarden ins Ausland schaffen?", so El Difraoui der von eine neue Art des irakischen Nationalismus beobachtet.

Und die Korrpution zieht sich durch alle Lebensbereiche, erklärt Raja Wafa, eine irakische Journalistin, im Gespräch mit Euronews. Etwa im Bereich Bildung gebe es wenige private Universitäten - die allerdings nur für Familienmitglieder der wenigen, reichen und korrupten Eliten verfügbar seien. Auch der Gesundheitssektor, der früher einen sehr guten Ruf hatte, sei völlig zusammengebrochen, berichtet sie. 

Für die Jugend in ihrer Heimat sieht sie derzeit kaum Hoffnung. Von ihren neun Neffen und Nichten haben alle studiert, einen Arbeitsplatz haben sie aber nicht und halten sich mit kleineren Jobs im Einzelhandel über Wasser. Der Alltag sei zudem von ständigen Stromausfällen gekennzeichnet.

Viele junge Menschen erleben eine schlimme Armut und haben zudem Drogenprobleme, so Raja Wafa. "Sie wollen das Land verlassen aber sie können es nicht". 

Bei Protesten im Jahr 2019 wurden mehr als 600 Demonstrant:innen von Sicherheitskräften und pro-iranischen paramilitärische Gruppen getötet - Veränderungen im Land brachten die Aufstände nicht.

"Den jungen Menschen im Irak fehlt das Licht am Ende des Tunnels", so Raja Wafa.

Einfluss des iranischen Regimes

"Die Schiiten aus dem Iran kontrollieren nicht das Land, sie regieren es", so Raja Wafa. Viele Irakerinnen und Iraker sehen es heute so, dass der Irak dem Iran durch die US-Invasion "auf einem Silbertablett serviert" wurde, erklärt Raja.

Sie erlebte die Invasion im März 2003 aus dem Ausland und machte sich wenige Zeit später auf den Weg zurück in die Heimat. Zu schmerzhaft sei es gewesen, das aus der Ferne zu beobachten, auch wenn die Reise zurück lang und gefährlich gewesen sei und ihr Taxi durch den Bombenhagel in Bagdad navigierte.

Die jungen Irakis haben die Nase voll, dass die Politik innerhalb des Iraks von einem sehr machtvollen Iran diktiert wird.
Asiem El Difraoui
Politikwissenschaftler, Candid-Foundation

El Difraoui sieht einen klaren Willen der Irakerinnen und Iraker, ihre Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen: "Die jungen Irakis haben die Nase voll, dass die Politik innerhalb des Iraks von einem sehr machtvollen Iran diktiert wird. Dass die Amerikaner so lange da mitgeredet und mitgemischt haben."

Er sieht einen Funken Hoffnung, dass der Irak wieder ein normales Land mit großen Problemen wird, aber eben kein Bürgerkriegsland, was unter verschiedenen Religionsgruppen und Volksgruppen aufgeteilt wird, an denen korrupte Eliten sich bereichern.

Herausforderung Klimawandel

Die extreme Dürre der letzten Jahre hat auch im Irak seine Spuren hinterlassen. Die mesopotamischen Sümpfe im Süden des Landes werden durch die Flüsse Euphrat und Tigris feucht gehalten. Doch aufgrund des Klimawandels sinkt der Wasserpegel seit Jahren. Und auch im Norden bedroht die extreme Trockenheit die Landwirtschaft.

Die Wasserknappheit sei keine entfernte Bedrohung am Horizont, sonder bereits Realität, warnt auch die UN-Sonderbeauftragte für den Irak Jeanine Hennis-Plasschaert auf der Klimakonferenz im Irak am 12. März.

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Was wäre wenn...?

Weniger als einen Monat vor dem Einmarsch der US-geleiteten Truppen in den Irak plädierte der damalige französische Außenminister Dominique de Villepin, den Weg der Diplomatie mit der Führung im Irak fortzuführen.

"Niemand kann heute behaupten, dass der Weg des Krieges kürzer sein wird als der der Inspektionen. Es kann auch niemand behaupten, dass er zu einer sichereren, gerechteren und stabileren Welt führen könnte. Denn Krieg ist immer die Sanktion des Scheiterns."

Klar ist heute, dass Saddam Hussein nicht über die Massenvernichtungswaffen verfügte, die im Irak vermutet wurden und als Rechtfertigung der völkerrechtswidrigen Invasion galten. "Der Irak war unter Saddam Hussein einen Dampfkochtopf, der jederzeit hätte explodieren können, vielleicht wäre es Jahrzehnte später noch schlimmer und noch schwieriger als damals", blickt Nahostexperte El Difraoui auf die Entscheidung der Invasion im März 2003 zurück.

Alles, was nach der US Invasion passierte, bezeichnet er als "große Fehler": Das schlechte Management des Landes, das sich verlassen auf korrupte Politiker, die Auflösung der irakischen Armee, die die einzig nationale Institution war. Diese Entscheidungen stürzten das Land in einen Bürgerkrieg ermöglichten die Bildung des sogenannten islamischen Staates.

"Nur die wenigstens und nur wenige Spezialisten haben sich auch vorstellen können, in was für ein Desaster die US Invasion des Irak das Land gestürzt hat."

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"Die US-Invasion brachte nicht die von den Amerikanern versprochene Demokratie, sondern führte vielmehr zu einem verzerrten politischen Prozess, der durch Korruption und sektiererische Quoten stigmatisiert wurde, unter denen die Iraker bis heute leiden", so Raja Wafa.

Villepin habe damals gesagt, diese Region brauche keinen zusätzlichen Konflikt - und da habe er Recht gehabt.

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