Gesetz der völligen Gleichstellung: Wie geht es Transpersonen in Spanien?

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Von Valérie GauriatVerena Schad
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In Spanien ist das "Trans-Gesetz für die tatsächliche Gleichstellung" in Kraft getreten - ein Novum in der EU. Betroffene berichten von ihren Erfahrungen.

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Nach langen und hitzigen Debatten ist es mittlerweile geltendes Recht: Das "Gesetz über die tatsächliche und effektive Gleichstellung von Transpersonen" ist in Spanien im März in Kraft getreten. Es erleichtert die Schritte für diejenigen, die das Geschlecht in ihren Ausweispapieren ändern möchten und beunruhigt gleichzeitig einen Teil der spanischen Öffentlichkeit. Unsere Reporterin Valérie Gauriat sprach mit denjenigen, für die dieses Novum in der Europäischen Union viel bedeutet.

In Madrid verdient Ezekiel seinen Lebensunterhalt als Fitness-Coach. Er trainiert jeden Tag, um seinen Traum zu verwirklichen: Feuerwehrmann werden. Hinter seiner athletischen Figur verbirgt sich ein langer Kampf: Ezekiel wurde vor 23 Jahren als Frau geboren. Er empfängt uns in seinem Haus und zeigt uns das Porträt eines kleinen Mädchens. "Das Foto stammt aus der Zeit, als ich vier oder fünf Jahre alt war, meine Mutter liebt es, deshalb habe ich es hier", gesteht er, bevor er zwei weitere Schnappschüsse präsentiert, die er vor zweieinhalb Jahren mit seiner Freundin aufgenommen hat. "Der Prozess der Umwandlung hatte damals noch nicht begonnen", erklärt er. "Ich mag [diese Fotos] auch sehr und wir haben sie in unserem Schlafzimmer."

"Es ist ein sehr schwieriger Prozess, es ist nichts, was man leichtfertig tut."

Ezekiel wird seit zweieinhalb Jahren mit Hormonen behandelt. Außerdem hat er sich einer Mastektomie unterzogen. Eine Transformation, zu der er sich während des Covid-Lockdowns und nach Jahren des Unwohlseins entschieden hatte. "Ich war sehr gesellig, aber ich mochte meine Identität nicht", erzählt der junge Mann, "bevor ich sie akzeptierte und mir sagte: Ich bin ein Transmann, ich muss das akzeptieren und ich werde damit anfangen. Ich schaute in den Spiegel und sagte mir, dass ich es nicht mehr aushalte, dass ich den Leuten davon erzählen musste, dass ich anerkannt werden musste, so wie ich bin, und dass ich mit meiner Transition beginnen musste, um mich in meiner Haut wohlzufühlen."

Diese Anerkennung wird für ihn auch durch eine Änderung im Personenstandsregister erfolgen. Dieses  Verfahren war bislang nur unter der Voraussetzung einer zweijährigen Hormonbehandlung und eines ärztlichen Gutachtens möglich. Das neue Trans-Gesetz macht diese Änderung nun ohne jegliche Bedingungen möglich. Das niedrigschwellige Verfahren wird von einem Teil der spanischen Öffentlichkeit kritisiert. Die jungen Menschen könnten ihre Meinung ändern, so die Argumentation. 

Für Ezekiel ist das ein falscher Ansatz, denn "Man geht diesen Schritt nur, wenn man sich völlig sicher ist, was man tun will", versichert er. "Den Namen zu ändern, das Geschlecht im Personalausweis zu ändern, und nicht nur im Personalausweis, das ist nur eine kleine Karte", merkt er an. "Es geht darüber hinaus, in Ihre sozialen Kreise, Ihren akademischen Werdegang oder was auch immer: Da ist Ihre Arbeit, Ihre Familie, es ist eine große Veränderung."

"Es ist wie ein Sprung ins Leere, sich zu sagen, ich werde springen, und hoffe, dass da unten Wasser ist, denn sonst wird das, was passieren wird, schrecklich sein", sagt er. "Es ist ein sehr schwieriger Prozess, das ist nichts, was man leichtfertig tut."

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Der 23-jährige Ezekiel hat eine Geschlechtsumwandlung in seinem spanischen Personalausweis beantragt.Euronews

"Das wird viele Dinge erleichtern."

Am Tag nach unserem Treffen hat Ezekiel seinen Antrag auf eine neue Geschlechtsidentität beim Standesamt in Madrid eingereicht. "Ich habe die Eintragung meiner Geschlechtsumwandlung in meinen Personalausweis beantragt, das ist perfekt!", sagt er lächelnd, als er das Verwaltungsgebäude verlässt. "In drei Monaten werde ich wiederkommen, um den Antrag zu bestätigen, und dann werde ich meinen Personalausweis ändern."

Dieser Schritt wird seiner Meinung nach sein Leben verändern. "Es wird vieles einfacher machen: Ich muss nicht mehr alle möglichen Erklärungen abgeben, wenn ich mich zum Beispiel um einen Job bewerbe. Es wird mir auch bei meiner Ausbildung zum Feuerwehrmann helfen; ich könnte ein Diplom bekommen, das meinem Geschlecht entspricht", sagt er und schließt lächelnd: "Ich bin glücklicher als je zuvor!"

Auf einfachen Antrag ab 16 Jahren - eine umstrittene Altersgrenze

Das am 2. März 2023 in Kraft getretene nationale Gesetz mit dem Titel "Tatsächliche und effektive Gleichstellung von Transpersonen" hat alle Schlösser der vorherigen Gesetzgebung gesprengt. Nach dem Vorbild der Weltgesundheitsorganisation entpathologisiert es Transsexualität und ermöglicht die Selbstbestimmung des Geschlechts auf einfachen Antrag ab 16 Jahren und mit elterlicher Genehmigung ab 12 Jahren. Es ist ein Novum in der Europäischen Union und einer der umstrittensten Punkte des Gesetzes.

Das spanische Ministerium für Gleichstellung beansprucht es für sich als das fortschrittlichste in Europa in Bezug auf LGBTIQ+-Rechte.

Viele kritisieren die bedingungslose Geschlechtsumwandlung ab 16 Jahren jedoch. Das sei zu jung, um so eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen. Die spanische Staatssekretärin für Gleichstellung, Ángela Rodríguez Martínez, wischt diese Kritik beiseite. "In unserem Land können Menschen ab 16 Jahren einen Job haben, sie können sexuellen Beziehungen zustimmen, Frauen können abtreiben, wenn sie es wünschen", erinnert sie. "Es erscheint daher vernünftig, dass 16 Jahre auch ein Alter ist, ab dem eine Person ihre Geschlechtsidentität angeben kann."

"Außerdem hat dieses Gesetz den Vorteil, dass die Änderung des Geschlechts im Personenstandsregister von der Notwendigkeit der Einnahme von Hormonen oder jeder Art von chirurgischem Eingriff getrennt wird", erklärt sie. "Im Falle einer Meinungsänderung kann die Änderung im Register rückgängig gemacht werden,  mit allen rechtlichen Garantien, die dafür erforderlich sind."

"Wir haben in unserem Land viele Fälle von Leid bei Transkindern gesehen", so Ángela Rodríguez Martínez, "einschließlich aktueller Selbstmorde von Menschen, die mit ihrem im Register eingetragenen Geschlecht unzufrieden waren; dieses Gesetz wird genau diesen Schmerz beenden und Werkzeuge bieten, damit Teenager, die diesen Schritt gehen wollen, auf weniger Hindernisse stoßen als bisher."

"Dieses Gesetz lässt keine Zeit zum Nachdenken."

Vicenta Esteve Biot, Psychologin und Spezialistin für Transsexualität und Mitglied des Consejo General de Psicologia (Allgemeiner Rat für Psychologie), ist der Ansicht, dass die Abschaffung der medizinisch-psychologischen Gutachten für die Geschlechtsumwandlung im Zivilregister zu übereilten Schritten führen könnte.

"Das Problem mit diesem Gesetz ist, dass es keine Zeit zum Nachdenken lässt", urteilt sie. "Es ist nicht dasselbe, einen Prozess zu durchlaufen, der von einer Fachperson begleitet wird, die Ihnen helfen kann, Ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, wenn Sie sie treffen müssen, und nicht vorher oder überstürzt. Die Menschen müssen fundierte Entscheidungen treffen, und zwar nicht nur Transpersonen, sondern auch die Familien", stellt sie fest und fügt hinzu: "Es gibt Eltern, die vorpreschen, um das Leiden ihrer Kinder zu verhindern, und das ist genauso schlimm, seinen Kindern voraus zu sein, wie hinter ihnen zu bleiben und sie  zu bremsen."

"Er hatte so etwas wie eine innere Wut."

Ein Leiden ihres Kindes zu vermeiden ist das Wichtigste für Encarni, Mutter des 12-jährigen Marc, der als Mädchen geboren wurde und sich entschieden hat, ein Junge zu werden.

Als Leiterin des Vereins Chrysallis, in dem Eltern von Transgender-Kinder aktiv sind, setzt sich Encarni dafür ein, dass die Kinder von der Gesellschaft akzeptiert werden. Sie und ihr Mann haben beschlossen, Marc bei seiner Transition zu begleiten, seit er den Wunsch vor eineinhalb Jahren geäußert hat. 

"Am Anfang war es ein Schock, man denkt, dass es sich um eine andere sexuelle Orientierung handeln könnte, aber nicht um eine andere Geschlechtsidentität", gesteht sie. "Mir war überhaupt nicht bewusst, dass das bei ihm der Fall war, aber er hatte so etwas wie eine innere Wut, die ihn daran hinderte, glücklich zu sein, und die es der Familie nicht ermöglichte, in Frieden und Harmonie zu leben."

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Mit der Unterstützung seiner Eltern und seines älteren Bruders sowie der Familien des Vereins hat sich Marcs Leben grundlegend verändert, wie er sagt.

"Ich wusste, dass ich irgendwie nicht dazugehörte, aber ich wusste nicht, wie ich es ausdrücken sollte, und als ich anfing, mich zu entwickeln, fühlte ich mich sehr schlecht", erzählt er. "Ich wollte meinen Körper nicht sehen, und als ich dann begriff, dass ich ein Junge war, fühlte ich mich viel besser", sagt er. "Meine Beziehung zu meinen Eltern, zu meinen Freunden und zu mir selbst ist jetzt viel besser."

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Der 12-jährige Marc und seine Mutter EncarniEuronews

"Die Menschen, die mich nicht respektieren, bitte ich, mich glücklich sein zu lassen."

Wir fragen ihn, ob er über die nächsten Schritte nachdenkt, die ihn bei seinem Übergang erwarten werden.  "Manchmal denke ich darüber nach, wie es sein wird, Hormone zu nehmen, was die Leute von mir denken werden, wenn ich in die Schule gehe, oder wie es sein wird, als Transperson zu arbeiten", gibt er zu. "Die Welt kann morgen schon ganz anders aussehen, alles kann passieren, ich versuche, mich auf die Gegenwart zu konzentrieren."

Eine Welt von morgen, die Encarni und ihr Verein für ihre Kinder toleranter gestalten möchten. "Das Schwierigste ist, einen Jungen oder ein Mädchen leiden zu sehen, sie in ihrem Körper leiden zu sehen, bei ihrer Umwandlung und, wenn sie belästigt oder zurückgewiesen werden: Das ist das Schlimmste", betont Encarni.

"Es ist nicht die Geschlechtsidentität, die das Problem verursacht, es ist die Gesellschaft, die die Vielfalt nicht akzeptiert und die Unterschiede nicht akzeptiert, und deshalb muss sie sich weiterentwickeln."

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"Die Menschen, die mich nicht respektieren und sich gegen meinen Übergang stellen, bitte ich, mich leben zu lassen und dass sie meine Entscheidung respektieren", so Marc. "Ich finde nicht, dass sie das Recht haben, über mein Leben zu urteilen, wenn sie nicht wissen, wie es aussieht, und ich bitte sie, mich glücklich sein zu lassen."

"Unsere Jugend wird immer vielfältiger und verlangt diese Vielfalt."

Glücklich sein, ohne Stigmatisierung - das war das Ziel des Sportnachmittags gegen Transphobie, der von LGBTIQ+-Organisationen in einem öffentlichen Park in Madrid organisiert wurde. Ezekiel, Marc, Encarni und die Familien ihres Vereins waren mit von der Partie. Ein Moment der Entspannung und eine Möglichkeit für sie, gegen Vorurteile zu kämpfen.

"Es geht darum, uns ein bisschen mit der Gesellschaft zu verbinden, das Kollektiv zu verbinden und eine andere Sicht auf uns zu vermitteln, in sicheren Räumen, in denen wir unsere Ruhe haben, uns wohlfühlen und alle zusammen eine gute Zeit verbringen können", erklärte Ezekiel.

"Unsere Jugend wird immer vielfältiger und verlangt diese Vielfalt", betont Encarni und schließt: "Entweder passen wir uns dieser Vielfalt an oder wir entfernen uns immer weiter von ihr."

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