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Anders Vistisen: Rechte Fraktionen im EU-Parlament werden sich zusammentun

Anders Vistisen: Rechte Fraktionen im EU-Parlament werden sich zusammentun
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Von Mared Gwyn Jones
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Rechtspopulistische Parteien sind in Europa auf dem Vormarsch. Bei den Europawahlen wollen sie drittstärkste Kraft im Europaparlament werden. Der dänische Spitzenmann der Fraktion Identität und Demokratie erklärt seine Positionen zu den Themen Euroskeptizismus, Migration und dem Ukrainekrieg.

Rechtspopulisten in Europa sind seit Jahren auf dem Vormarsch, aber diese Europawahlen könnten einen Wendepunkt darstellen, da eine Gruppe rechtspopulistischer Parteien die drittstärkste politische Kraft im Europäischen Parlament werden wollen. In dieser Folge von The Global Conversation ist dazu der dänische Mann an der Spitze Anders Vistisen zu Gast. Er spricht über seine Vorschläge zur Migration, zur Unterstützung der Ukraine und zu den Vorwürfen ausländischer Einmischung in seine Partei.

Euronews-Reporterin Mared Gwyn Jones: Anders Vistisen, willkommen zu The Global Conversation. Sie vertreten die Fraktion Identität und Demokratie, in der einige der radikalsten, rechtsextremen Parteien Europas vertreten sind. Die Fraktion hat Sie nicht offiziell als Spitzenkandidaten aufgestellt, kein Wahlprogramm veröffentlicht und keinen politischen Kongress abgehalten. Befürchten Sie, dass Wähler den Eindruck haben könnten, dass Sie diese Europawahlen nicht ernst nehmen?

Anders Vistisen, Fraktion Identität und Demokratie: Nein, ich denke, wir sind die Einzigen, die die europäische Verfassung ernst nehmen. Es ist das Europäische Parlament, das das Verfahren zur Wahl des Kommissionspräsidenten umgeht, das eindeutig im Vertrag steht, wo die Mitgliedsstaaten das Sagen haben und das Parlament dann den Kandidaten bestätigt oder nicht. Es ist ein Staatsstreich seitens der Parteien im Europäischen Parlament, sich ein Vorrecht anzueignen, das der Vertrag den Mitgliedstaaten zugesteht.

Euronews: In einigen Mitgliedstaaten liegen Sie in den Umfragen weit vorne, Sie werden vielleicht 20 Sitze mehr im Europäischen Parlament gewinnen, nicht weit von hier hier in Brüssel. Sie gelten traditionell als europaskeptisch, manche würden sogar sagen antieuropäisch. Wie wollen Sie diesen neuen, größeren Einfluss nutzen, um hier in den europäischen Institutionen in Brüssel etwas zu bewegen?

Anders Vistisen: Man bemerkt bereits die Auswirkungen. Man hat es beim Naturschutzgesetz, beim Pestizidpaket gesehen, das die Kommission kurz vor den Wahlen durchzudrücken versucht hat. Man hat es aber auch an der Eile gesehen, mit der der Migrationspakt durchgepeitscht wurde. Obwohl es sich dabei um einen unwirksamen Pakt handelt, der das grundlegende Problem der illegalen Einwanderung nicht lösen wird, ist klar, dass allein die Angst davor, dass wir ein gutes Wahlergebnis haben könnten eine Reaktion ausgelöst hat, die es seit der Migrationskrise von 2015 nicht mehr gegeben hat. Was wir auf europäischer Ebene erleben werden, ist das, was wir bereits in Dänemark, Schweden oder den Niederlanden gesehen haben: dass der Aufstieg der konservativen, euroskeptischen Rechten die anderen Parteien dazu bringen wird, ihre irrsinnigen Positionen zu adaptieren, wenn es um den Grünen Deal geht, wenn es um Migration geht und so weiter.

Der Aufstieg der konservativen, euroskeptischen Rechten wird die anderen Parteien dazu bringen, ihre irrsinnigen Positionen zu adaptieren, wenn es um den Grünen Deal geht, wenn es um Migration geht und so weiter.
Anders Vistisen

Euronews: Sie behaupten, dass die Angst vor einem Wahlerfolg am rechten Rand politische Entscheidungen hier in Brüssel beeinflusst?

Anders Vistisen: Das ist ziemlich offensichtlich. Wenn man analysiert, dass dieses Parlament mit dem Anspruch angetreten ist, das grünste zu sein und das Versprechen einer Klimawahl einzulösen, dann hat es jetzt einen deutlichen Rückzieher gemacht. Und wenn die Umfragen mehr oder weniger so bleiben, wie sie jetzt sind, dann sehe ich in den nächsten Jahren keine signifikante, stärkere Regulierung, wenn es um den grünen Wandel geht. Das ist ein ganz konkretes Ergebnis des zu erwartenden Erfolges unserer Fraktion.

Ist die Fraktion Identität und Demokratie gespalten?

Euronews: Von außen betrachtet scheint Ihre Fraktion manchmal tief gespalten zu sein. Kürzlich haben Sie die französische Partei Reconquête verloren, die sich der anderen rechten Fraktion, den Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), angeschlossen hat, der Sie früher ebenfalls angehörten. Auch die Partei der Finnen hat dorthin gewechselt, weil sie mit einigen Ihrer Positionen, etwa zur Ukraine, überhaupt nicht einverstanden war. Befürchten Sie, dass immer mehr Parteien Identität und Demokratie aufgeben, zur EKR wechseln und Sie als rechtsextreme Partei isolieren könnten?

Anders Vistisen: Nein, das sehe ich eigentlich nicht. Das ist ein falsches Narrativ, das da verbreitet wird. Wir haben gesehen, dass die EKR, die PiS (Recht und Gerechtigkeit), die polnische Partei, die Nationale Sammlungsbewegung und Viktor Orbán eingeladen haben. Wenn man in Bezug auf die Ukraine geteilter Meinung ist, macht das politisch keinen Sinn. Wie Sie selbst sagten, war ich fünf Jahre lang Mitglied der EKR-Fraktion. Es gab Leute, die Russland mehr oder weniger skeptisch gegenüberstanden. Die gibt es immer noch. Es gibt also die gleichen Gräben. Was meiner Meinung nach nicht stimmt, ist, dass es auf der rechten Seite zwei Fraktionen gibt, ich glaube, das hat mehr mit großen Persönlichkeiten in einigen der größeren Parteien zu tun als mit politischen Unterschieden. Die politische Kluft zwischen der ID und der EKR ist nicht größer als die zwischen der EVP, der S&D Fraktion oder Renew Europe.

Ein neues Bündnis rechtsgerichteter Parteien in Europa?

Euronews: Könnten Sie sich vorstellen, dass sich diese beiden rechten Gruppen neu organisieren, insbesondere nach den Wahlen? Könnten Sie sich eine mögliche Vereinigung dieser beiden Gruppen vorstellen?

Anders Vistisen: Ja, das wird eines Tages der Fall sein. Im Europarat gibt es das bereits, wo sich die beiden Fraktionen zu einer Doppelpartei zusammengeschlossen haben. Nicht nur nach dieser Wahl, sondern auch nach den französischen Präsidentschaftswahlen, die in einigen Jahren stattfinden werden, könnte das ein sehr interessanter Moment sein, auf den man sich freuen kann.

Unterstützung der Ukraine

Euronews: Sie haben die Ukraine erwähnt, sprechen wir über dieses Thema. Manche Wähler sind sehr besorgt darüber, dass der Anstieg oder die Zunahme der Unterstützung für Parteien wie Ihre Mitgliedsparteien bedeuten könnte, dass die Unterstützung der EU für die Ukraine erheblich untergraben wird. Können Sie diesen Wählern erklären, bis zu welchem Punkt sie die Ukraine unterstützen, die sich gegen die russische Invasion wehrt?

Anders Vistisen: Unsere Fraktion glaubt an die nationale Souveränität, und wir sind grundsätzlich der Meinung, dass außenpolitische Fragen auf nationaler Ebene entschieden werden sollten und nicht durch einen Staatsstreich der Europäischen Union, die diese Kompetenz an sich zieht und das Vetorecht abschafft. Ich möchte jedoch der Ansicht widersprechen, dass Europa sehr pro-ukrainisch ist. Mein Heimatland Dänemark hat mit Unterstützung meiner Partei doppelt so viel Militärhilfe geleistet wie Frankreich, Spanien und Italien zusammen. Dänemark mit seinen 6 Millionen Einwohnern hat doppelt so viel Militärhilfe geleistet wie die zweit-, dritt- und viertgrößte Volkswirtschaft der Europäischen Union. Gerade haben die polnischen und französischen Regierungen die EU-Importe von Agrarprodukten aus der Ukraine gestoppt. Deshalb stimme ich dem ukrainischen Außenminister grundsätzlich eher zu, wenn er sagt, dass Nordkorea im Moment ein besserer militärischer Verbündeter für Russland ist als die Europäische Union für die Ukraine.

Ich möchte jedoch der Ansicht widersprechen, dass Europa sehr pro-ukrainisch ist. Mein Heimatland Dänemark hat mit Unterstützung meiner Partei doppelt so viel Militärhilfe geleistet wie Frankreich, Spanien und Italien zusammen.
Anders Vistisen

Euronews: Andererseits gab es aber auch beispiellose Entscheidungen aus Brüssel, es wurden große Finanzierungspakete geschnürt, die militärische Unterstützung erhöht, Waffen geliefert. Sie sind doch sicher der Meinung, dass Brüssel eine wichtige Rolle spielen muss, wenn es darum geht, die Ukraine zu unterstützen, ihre Wirtschaft zu fördern und dafür zu sorgen, dass sie das Material hat, das sie auf dem Schlachtfeld braucht?

Anders Vistisen: Aber ich sehe keine solche Initiative aus Brüssel. Im Moment hat Großbritannien allein mehr Militärhilfe für die Ukraine geleistet als die europäischen Institutionen. Es ist nicht sehr beeindruckend, dass 27 Mitgliedstaaten der EU als Institution weniger gegeben haben als ein Staat außerhalb der Europäischen Union. Ich glaube, dass man in Brüssel viel mit Champagner auf die Ukraine anstößt, aber wenn es um konkrete Maßnahmen geht, hinkt man hinterher. Wenn die Amerikaner den Ukrainern nicht geholfen hätten, wäre der Krieg für sie verloren gewesen, weil Europa nicht auf den Plan getreten ist. Geografisch gesehen kommt die bilaterale Hilfe vor allem aus Nordeuropa, den baltischen Staaten, Polen und vielleicht Deutschland. Abgesehen von diesen sechs oder sieben Mitgliedsländern ist die Bilanz eher dürftig.

Es ist nicht sehr beeindruckend, dass 27 Mitgliedstaaten der EU als Institution weniger gegeben haben als ein Mitgliedstaat außerhalb der Europäischen Union. I
Anders Vistisen

Sollte die Urkaine Friedensverhandlungen beginnen?

Euronews: Sollte die Ukraine Ihrer Meinung nach Friedensverhandlungen mit Präsident Putin aufnehmen?

Anders Vistisen: Es ist Sache der Ukrainer zu entscheiden, ob und wann sie Friedensverhandlungen aufnehmen wollen. Das ist nichts, was ihnen von Verbündeten oder von außen aufgezwungen werden sollte.

Euronews: Aber halten Sie es für besser, den Krieg fortzusetzen oder ein Friedensabkommen auszuhandeln, auch wenn das bedeutet, einen Teil des ukrainischen Territoriums aufzugeben?

Anders Vistisen: Wenn die Ukraine eine Chance gehabt haben sollte, Russland über die Grenzen zurückzudrängen, bevor Russland auf die Krim einmarschiert ist, dann kam die militärische Hilfe leider viel zu kurz und viel zu spät, und wir sehen auch jetzt, dass wir nicht in der Lage sind, Luftabwehrraketen zu liefern. Wir sind nicht in der Lage, Kampfflugzeuge in die Luft zu bringen. Das ist ein großes Problem. Es ist im Moment ziemlich unrealistisch, dass die Ukraine mit der mangelnden Unterstützung, die sie bekommt, eine Chance auf den Sieg hat.

Euronews: Das ist ein ziemlich pessimistisches Bild, das Sie da zeichnen. Wollen Sie damit sagen, dass die Ukrainer in diesem Fall, weil es so schwierig ist, das Material, die Waffen und die Munition zu finden, die sie brauchen, erwägen sollten, zu Friedensverhandlungen überzugehen? Wollen Sie das andeuten?

Anders Vistisen: Nein, ich sage nur, dass es für die Ukrainer sehr schwer sein wird, diesen Krieg zu gewinnen, wenn die Amerikaner ihre große Hilfe nicht fortsetzen. Ich wünsche ihnen alles Gute. Ich hätte mir gewünscht, dass Europa sich mehr engagiert. Aber jetzt, nach mehr als zwei Jahren, sehen wir, dass Europa weit hinterherhinkt und viel zu wenig tut. Wir können nicht einmal eine Million Artilleriegeschosse liefern. Nordkorea, eine heruntergekommene Diktatur ohne wirkliche Wirtschaft, hat das Zwei- bis Dreifache an Russland geliefert.

Ich hätte mir gewünscht, dass Europa sich mehr engagiert. Aber jetzt, nach mehr als zwei Jahren, sehen wir, dass Europa weit hinterherhinkt und viel zu wenig tut.
Anders vistisen

Euronews: Unterstützen Sie den Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union, sobald die Ukraine alle Kriterien erfüllt, einschließlich der Korruptionsbekämpfung?

Anders Vistisen: Der Zeitplan ist unrealistisch, und ich denke, es wäre eine zu große Veränderung für die Europäische Union.

Euronews: Aber es gibt keinen in Stein gemeißelten Zeitplan, sondern erst wenn diese Kriterien erfüllt sind.

Anders Vistisen: Dem würde ich nicht zustimmen. Wenn Sie Charles Michel von vor 2030 reden hören, wenn Sie Ursula von der Leyen sagen hören, wir könnten sie vielleicht schrittweise aufnehmen, nicht mit allen Rechten am Anfang, dann haben sie das bei der Osterweiterung vor 25 Jahren gemacht. Sie wurden Mitglieder, aber es gab eine gewisse Einschränkung der Freizügigkeit für ein Jahr. Auch heute haben wir Mitglieder, die seit mehr als 20 Jahren dabei, aber keine vollwertigen Schengen-Mitglieder sind. Der von Brüssel vorgegebene Fahrplan bedeutet daher nicht, dass man vom ersten Tag an die Kopenhagener Kriterien erfüllen muss. Es geht vielmehr um eine schrittweise Integration, bei der man die Mitgliedschaftsrechte erhält und dann hoffentlich noch besser wird. Ich möchte nur mit Blick über die Ukraine hinaus darauf hinweisen, dass die acht bis zehn Mitgliedsländer, über die wir jetzt reden, dieselben Kräfte sind, die sich über die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und in anderen Ländern beschweren, jetzt sagen, lasst uns einen Prozess beschleunigen, in dem wir Länder aufnehmen, die in vielen dieser Kriterien eine viel schlechtere Bilanz haben als das, was Sie in Orbáns Ungarn gesehen haben.

Beeinflussung aus Russland

Euronews: Kommen wir von der Ukraine zum Thema Russland: Sie haben einige Ihrer Mitgliedsparteien erwähnt, zum Beispiel den Rassemblement National in Frankreich. Sie hatten in der Vergangenheit recht enge Beziehungen zu Russland, und jetzt wird gegen amtierende Parlamentarier ermittelt, weil sie verdächtigt werden, Geld aus Russland erhalten zu haben, um kremlfreundliche Propaganda in Europa zu verbreiten. Machen Sie sich Sorgen, dass Mitglieder der Fraktion Identität und Demokratie von Russland oder China beeinflusst werden?

Anders Vistisen: Ja, ich bin immer besorgt über Einflussnahme von außen, wie ich es war, als ich eine Delegation des Europäischen Parlaments nach Marokko leitete und sah, wie S&D-Abgeordnete sehr positiv über eine islamische Diktatur sprachen. Und im Nachhinein haben wir herausgefunden, dass sie dafür auch ziemlich viel Geld bekommen haben. Aber nur um das zu unterstreichen, wenn wir zum Beispiel über das Rassemblement National sprechen, könnte ich viele Beispiele von europäischen Staatschefs anführen, die vor der großen Invasion eine ähnlich naive Meinung über Russland hatten. Frankreich wollte nach der Invasion auf der Krim noch Hubschrauberträger an Putin verkaufen. Die Nord Stream 2-Pipeline wurde von deutschen Politikern aus dem linken, mittleren und rechten Spektrum durchgesetzt. Wir haben gesehen, wie der dänische Ministerpräsident, der jetzt Außenminister ist und damals Ministerpräsident war, den Vergnügungspark Tivoli geöffnet hat, um mit Putin ein Bier zu trinken, als er zu einem Staatsbesuch in Dänemark war.

Viele Menschen sind leider naiv, wenn es um Russland geht. Das ist nichts, was wir von den Rechten uns patentieren lassen können.
Anders Vistisen

Euronews: Das war vor dem Einmarsch in die Ukraine. Haben Sie bereits Maßnahmen ergriffen? Denn Sie sagen, wir werden Maßnahmen ergreifen, wenn diese Untersuchungen zu einem Ergebnis kommen. Aber sollten Sie nicht schon jetzt etwas unternehmen, um sicherzustellen, dass es vor diesen Wahlen, dieser demokratischen Aktion, keine ausländische Einmischung in Ihre Partei gibt?

Anders Vistisen: Ja, natürlich, wenn wir einen konkreten Vorwurf haben, auf den wir reagieren können. Wenn sie ihr Versprechen nicht halten und sich diese Anschuldigungen bewahrheiten, dann ist es natürlich Sache unseres Präsidiums, darüber zu entscheiden. Ich sage nur ganz leise, dass wir diese Probleme in einer Vielzahl von Fraktionen gesehen haben und dass es etwas merkwürdig ist, dass es eine andere Skala gibt, auf der Sie bestimmte Vorfälle gewichten.

Euronews: Im Zentrum der laufenden Ermittlungen steht ein Medienunternehmen bzw. ein so genanntes Medienunternehmen, das nun von der Europäischen Union sanktioniert wurde, die "Voice of Europe (Stimme Europas)". Es besteht der Verdacht, dass es sich um eine kremlfreundliche Einflussnahme handelt, die Abgeordnete des Europäischen Parlaments für die Verbreitung von Propaganda bezahlt. Sie haben der „Voice of Europe“ Anfang des Jahres ein Einzelinterview gegeben. Wurden Sie dafür bezahlt?

Anders Vistisen: Nein, natürlich nicht. Dieses Interview wurde unter der gleichen Prämisse wie dieses Interview geführt. Ich wurde gebeten, ein Interview zu geben, und ich habe zugesagt. Das ist meine Pflicht als Politiker. Aber es ist beunruhigend, dass diese Einflussnahme von außen auch dazu benutzt wird, um falsche Informationen über die Rechte zu verbreiten. Ich habe eine tadellose Bilanz, wenn es darum geht, gegenüber Russland und China hart aufzutreten, daran hat niemand je gezweifelt. Manchmal wird das natürlich auch politisch ausgenutzt. Ich bin ziemlich überrascht, dass zum Beispiel das Europäische Parlament ein Gleichheitszeichen zwischen Euroskeptizismus und der Verbreitung von Fake News gesetzt hat. Ich denke, man kann sehr wohl euroskeptisch sein, ohne Fake News zu verbreiten. Ich bin auch besorgt darüber, dass zum Beispiel die katalanischen Separatisten oder die Euskadi-Separatisten, Menschen, die an einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union glauben, als pro-russisch bezeichnet werden müssen. Ich denke, man kann all diese Meinungen vertreten, ohne ein Vertreter Russlands oder Chinas zu sein.

Ich bin ziemlich überrascht, dass zum Beispiel das Europäische Parlament ein Gleichheitszeichen zwischen Euroskeptizismus und der Verbreitung von Fake News gesetzt hat. Ich denke, man kann sehr wohl euroskeptisch sein, ohne Fake News zu verbreiten.
Anders Vistisen

Migration eindämmen mit dem australischen Modell

Euronews: Kommen wir zum Thema Migration. Das ist eine Priorität in Ihrem politischen Programm. Sie wollen die Art und Weise ändern, wie Europa mit Migration umgeht, insbesondere mit irregulärer Migration. Können Sie unseren Zuschauern die von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen erklären?

Anders Vistisen: Unser Vorschlag ist das australische Modell, das besagt, dass, wenn jemand versucht, illegal nach Europa einzureisen, er sicher sein kann, dass er nicht auf diesem Kontinent bleiben darf. Dieses Modell hat sich als sehr wirksam erwiesen, wenn es um den Schutz in einem Drittland geht. Als Australien dieses Modell eingeführt hat, sind die Zahlen innerhalb eines Kalenderjahres um 95 % zurückgegangen. Die Lösung ist also recht einfach, bis zu dem Punkt, an dem wir Unterstützung für ein solches Modell bekommen können, was ich in der europäischen Politik derzeit nicht sehe. Ich glaube, dass das dänische Migrationsmodell etwas ist, von dem andere Länder lernen können. Unsere Zahlen sind extrem niedrig, wenn wir sie mit Österreich, Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Spanien, Frankreich etc. vergleichen.

Euronews: Also ein Modell unter einer sozialistischen Regierung?

Anders Vistisen: Das Modell, das wir unter der rechtspopulistischen Vorgängerregierung entwickelt haben, wird nun von der sozialistischen Regierung übernommen. Das zeigt, was passiert, wenn man die Rechte an der Politikgestaltung beteiligt. Was in den 90er-Jahren innerhalb der Dänischen Volkspartei umstritten war, ist heute eine allgemein akzeptierte Migrationspolitik, die von der Sozialistischen Volkspartei, den Grünen und unserer Partei auf der rechten Seite des Spektrums vertreten wird. Und ich glaube, wenn andere europäische Mitgliedsländer einige der Maßnahmen, die wir 2001 und 2005 ergriffen haben, etwas früher ergriffen hätten, wäre Europa heute in einer viel besseren Position.

Euronews: Was ist mit dem Konzept der Auslagerung von Asylanträgen nach dem Vorbild Italiens, das ein Abkommen mit Albanien geschlossen hat? Ist das etwas, was Sie in Betracht ziehen würden?

Anders Vistisen: Es kommt sehr auf das Modell, denn es gibt zwei Varianten. Das eine ist eng mit dem australischen Modell verbunden, bei dem man in die europäische Souveränität kommen muss und dann in ein Drittland umgesiedelt wird. Und dann gibt es ein anderes Modell, das wir in Dänemark Botschaftsasyl nennen: Wenn man es bis zu einer EU-Vertretung schafft, kann man in einem Drittland Asyl beantragen. Das erste Modell würden wir befürworten, das zweite Modell würde zu einer viel unkontrollierbareren Situation führen.

Euronews: Aber das erste Modell könnte in der EU auf rechtliche Hindernisse stoßen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass Sie diese überwinden können?

Anders Vistisen: Es gibt den Fall Italien. Wir werden sehen, ob Großbritannien sein so genanntes Ruanda-Abkommen abschließen kann. Aber in dieser Hinsicht wäre es meiner Meinung nach viel besser, wenn die Mitgliedstaaten mehr Gelassenheit an den Tag legen würden. Auch die neue niederländische Regierung fordert jetzt ein Opt-out in den Bereichen Inneres und Asyl, wie es Irland und Dänemark haben. Das wird ihnen mehr Spielraum geben, um diese Fragen zu lösen. Und ich würde mir wünschen, dass die EU solchen Modellen gegenüber nachsichtiger wäre.

Euronews: Und die legale Migration? Führende Politiker wie Meloni in Italien fordern legale Wege, weil wir in Europa mit einem starken Bevölkerungsrückgang konfrontiert sein werden. Wir brauchen Arbeitskräfte. Was würden Sie tun, damit Menschen legal zum Arbeiten kommen können?

Anders Vistisen: Es ist Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, welche Art von legaler Migration sie zulassen wollen und wie sie das tun wollen. In Dänemark haben wir in den vergangenen 20 Jahren gute Erfahrungen mit dem sogenannten Blue-Card- und Green-Card-Modell gemacht, wo man kommt, wenn man eine Qualifikation hat, wo man kommt, wenn man aus Ländern kommt, die historisch gesehen leicht in die Gesellschaft zu integrieren sind. Dann erleben wir, dass eine relativ große Zahl von Migranten sehr gut in der Gesellschaft funktioniert. Aber wenn es weiterhin irreguläre Migration gibt, vor allem aus Ländern, die sich als sehr schwer integrierbar erwiesen haben, dann wird es diese Probleme weiterhin geben.

Wer sollte an der Spitze der Europäischen Kommission stehen?

Euronews: Sie haben deutlich gemacht, dass Sie Ursula von der Leyen nicht für eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin unterstützen werden. Wer wäre Ihrer Meinung nach ein besserer Kandidat für das Amt?

Anders Vistisen: Es ist eine locked-in Situation. Es gibt nur eine wirkliche Opposition zum Status quo, und die kommt von rechts. Das ist auch der Grund, warum die anderen Parteien bei diesen Spitzenkandidaten-Debatten nicht wirklich um das Rampenlicht konkurrieren, sondern von der Leyen nur bitten, Garantien zu geben und die Politik oder das parlamentarische Verfahren zu erklären, mit wem sie koalieren soll. Insofern glaube ich nicht, dass das eine umkämpfte Wahl ist. Alle haben mehr oder weniger akzeptiert, dass die EVP ihre Position halten wird, und die einzigen, die gesagt haben, dass sie nicht für von der Leyen stimmen werden, sind die Rechten.

Euronews: Und abschließend: Hoffen Sie, dass der Cordon sanitaire, diese Art Brandmauer, die Sie so lange getrennt hat, niedergerissen wird und Sie in Zukunft vielleicht sogar einen Spitzenjob in Brüssel bekommen?

Anders Vistisen: Ich weiß nicht, ich war der erste stellvertretende Vorsitzende des AFET-Ausschusses (Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten), was eines der höchsten Ämter im Europäischen Parlament ist, und es hat mir nicht wirklich viel bedeutet. Meiner Meinung nach ist es in der Politik das Wichtigste, die Politik zu machen, die die Wähler von einem erwarten. Und wenn die anderen Parteien diese Brandmauer fortsetzen, wird sie meiner Meinung nach zusammenbrechen. Wir haben das in Dänemark gesehen, wir haben das in Schweden gesehen. Jetzt erleben wir es in den Niederlanden. In Frankreich wird es immer schwieriger, sie aufrechtzuerhalten, und auch in Flandern. In Österreich ist sie bereits gescheitert. Die Wähler werden die Brandmauer einreißen, lange bevor etablierte Politiker darüber nachdenken.

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