Pistorius: Kein militärischer Angriff, aber ein klarer Bruch von Polens Souveränität und Völkerrecht.
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nannte die russischen Drohnen, die heute in Polen abgeschossen wurden, eine "Provokation gegenüber der gesamten NATO und gegenüber unserer europäischen Sicherheitsordnung".
Ihm zufolge gebe es "keinerlei Anhaltspunkte" dafür, dass die 19 Drohnen aus Versehen in der Stückzahl in Polen eingedrungen sind, weswegen dem Minister zufolge "davon auszugehen ist, dass es eine absichtlich durchgeführte Aktion" Russlands war.
Kann Polen nun den NATO-Bündnisfall nach Artikel 5 erklären?
Bei dem Angriff wurden keine Menschen getötet oder verletzt. Es wurde lediglich ein Haus in einer Ortschaft nahe der ukrainischen Grenze schwer beschädigt.
Pistorius erklärte nach seinem Statement gegenüber Journalisten, dass dies ein Angriff war, der den Luftraum Polens verletzt hat, und kein militärischer Angriff im Sinne von zerstörten Einrichtungen oder getöteten Menschen. "Es handelte sich nicht um einen gezielten Angriff, sondern um einen Angriff auf die Souveränität Polens und das Völkerrecht", so der Verteidigungsminister.
Deutschland stehe hinter allen Maßnahmen, die die Sicherheit Europas gewährleisten, so Pistorius, und begrüße in diesem Zusammenhang auch den von Polen initiierten Konsultationsprozess nach NATO-Artikel 4.
Da Polen Mitglied der NATO ist, gilt: Wird ein Mitgliedstaat angegriffen, betrachtet das Bündnis dies als Angriff auf alle Mitglieder. In einem solchen Fall müsste der Nordatlantikrat den Bündnisfall ausrufen. Alternativ kann der betroffene Staat zunächst Konsultationen nach Artikel 4 beantragen, die gegebenenfalls zu einer Entscheidung nach Artikel 5 führen.
"Rücksichtsloses Vorgehen" Russlands
Auch Bundeskanzler Friedrich Merz verurteilte den Drohnen-Vorfall scharf und schrieb in einem Beitrag auf X, dass "die NATO verteidigungsbereit ist und bleibt".
In seinem Statement betonte er, dass sich dieses "rücksichtslose Vorgehen sich ein in eine lange Kette von Provokationen im Ostseeraum und an der Ostflanke der NATO" reiht.
Diese Aussage wiederholte Merz bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit António Costa, Präsidenten des EU-Rates und sagte, es sei eine "inakzeptable Verletzung des polnischen Luftraums durch bewaffnete russische Drohnen" gewesen.
Auch Pistorius bekräftigte, dass Vorfälle dieser Art nicht nur in Polen passieren, sondern "jeden Tag in der Ostsee" und im Luftraum der Ostsee. Russland teste mit solchen Aktionen oder Angriffen gezielt unsere Solidarität, Entschlossenheit und Reaktionsgeschwindigkeit, so Pistorius.
Bei der heutigen Befragung im Bundestag wurde der Verteidigungsminister gefragt, ob Deutschland auf einen solchen Angriff reagieren könnte. Daraufhin sagte er: "Die Streitkräfte, die Luftwaffe, die Luftverteidigung, unsere Verbände, unsere Soldaten und Soldatinnen wissen sehr genau was sie in einem solchen Moment zu tun haben."
Russische Spionage in Deutschland häuft sich
Seit Beginn der großangelegten russischen Invasion der Ukraine häufen sich russische Spionagevorfälle in Deutschland. Drohnen überfliegen kritische militär- oder zivile Infrastruktur und fotografieren oder filmen diese.
Bevor ein Eingreifen gegen russische Spionagedrohnen möglich ist, muss die Zuständigkeitsfrage geklärt werden. Je nach Tatort ist entweder die Polizei oder die Bundeswehr zuständig, aber nur auf deutschem Territorium.
Starten die Drohnen jedoch in internationalen Gewässern, gibt es keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Einschreiten ist lediglich beim Eintreten in den deutschen Luftraum erlaubt, doch "auch hier stellt sich dann die Frage, ob die Zuständigkeitsfrage ausreichend geklärt ist und ob entsprechende rechtliche Grundlagen bestehen", meint der Terrorismus-Experte Hans-Jakob Schindler im Interview mit Euronews.
Das Innenministerium (BMI) erklärte in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber Euronews, dass die zuständigen Behörden von Bund und Ländern "ständig miteinander im Austausch stehen, auch mit Infrastrukturbetreibern und weiteren Beteiligten".
Es existierten demnach etablierte Melde- und Kommunikationswege, aber auch "die Zusammenarbeit wird je nach Bedarf und unter Berücksichtigung der sich wandelnden Bedrohungslage angepasst", heißt es weiter.